Weiße Gebäudeensembles, jedes von ihnen ein Paradebeispiel für Architektur der Klassischen Moderne, prägen wichtige Plätze Münchens: Am Goetheplatz steht ein Wohngebäude mit geschwungener Fassade und integriertem Postamt. Am Harras ein zweigeschossiges Postamt, links daneben ein Gebäude mit halbrundem Vorbau, dem ehemaligen „Stummen Postamt“. Hier waren früher Briefmarken- und Postkartenautomaten, heute eine Tanzschule. Das dahinterstehende Wohnhaus folgt in leichtem Schwung dem Verlauf der Plinganserstraße. Es hat ein flaches Dach und symbolisierte schon zu seiner Erbauung, dass es den Sprung ins 20. Jahrhundert geschafft hat.
Wäre es nach dem Architekten Robert Vorhoelzer gegangen, würde es am Harras sogar ein Hochhaus geben, ein Hotel mit Dachterrasse und Alpenblick. Am Tegernseer Platz in Giesing gibt es die stadtbekannte „Tela-Post“, auf der denkmalgeschützten Fassade steht das Wort „post“ – in einer Zwanziger-Jahre-Schrift. Alle drei Ensembles wurden zwischen 1928 und 1933 realisiert, jedes von ihnen reguliert städtebaulich markante und komplizierte Bereiche. Der Architekt Robert Vorhoelzer plante die Häuser zusammen mit seinem Architektenteam im Münchner Bauressort, der Abteilung VI des Reichspostministeriums, besser bekannt als Bayerische Postbauschule.
Robert Vorhoelzer wurde am 13. Juni 1884 in Memmingen geboren. Ab 1904 studierte er an der Technischen Hochschule (TH) München Architektur. Zu seinen Lehrern zählten Friedrich von Thiersch, Erbauer des Münchner Justizpalasts, und Carl Hocheder, Architekt des bayerischen Verkehrsministeriums. Unter den Kommilitonen waren Otho Orlando Kurz, Karl Badberger, Robert Poeverlein und Hermann Leitensdorfer, eine Architektengeneration, die für die Anfänge des Neuen Bauens in Bayern steht.
Bereits an der Hochschule arbeiteten die Studenten an vielen Entwürfen gemeinsam, die Zusammenarbeit prägte Vorhoelzer und wurde zum Leitbild für die Arbeit der Postbauschule. 1910 trat Vorhoelzer eine Assistentenstelle an der TH München an. Ein Jahr später durfte er den Titel Regierungsbaumeister tragen. 1911 wurde er Anwärter für den Betriebs- und Verwaltungsdienst bei der Eisenbahndirektion München, dafür gab er seine Assistentenstelle wieder auf.
1913 wurde das einzige Gebäude, das er vor dem Krieg geplant hatte, eröffnet, die Realschule in Straubing, mit streng gegliederter Fassade und stark reduzierter Motivik. Die Schule war Ergebnis eines Architekturwettbewerbs, in dessen Jury unter anderem Max Littmann, Theodor Fischer und Hans Grässel saßen. Der überaus erfolgreiche Berufseinstieg Vorhoelzers wurde durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen, in den er freiwillig zog. Nach dem Krieg folgten zwei weitere Jahre bei der Eisenbahndirektion. Mit nur 36 Jahren wurde Vorhoelzer Oberpostbaurat der Postverwaltung München.
Nach dem Ersten Weltkrieg waren in Bayern radikale Veränderungen eingetreten. Im August 1919 verlor Bayern aufgrund des Inkrafttretens der Weimarer Verfassung nicht nur sein bayerisches Biersteuer-Sonderrecht, auch das bayerische Post- und Telegraphenwesen sollte schrittweise in die Deutsche Reichspost in Berlin überführt werden. Als Zeichen einer dennoch bestehenden Unabhängigkeit, entstand in München eine separate Abteilung des Reichspostministeriums. In einem eigenen Bauressort wurden junge bayerische Architekten für Bauten der Post verpflichtet, auf ältere Postbaubeamte aus dem übrigen Reichsgebiet verzichtete man bewusst.
Aus dem „Trostpflaster“ für Bayern entwickelte sich ein Sammelpunkt für Hochschulabsolventen, die sich für die Moderne engagierten und die Amtsstuben entstaubten. Der Hochbaureferent für Bayern im Reichspostministerium und Leiter der Abteilung VI, Robert Poeverlein, holte sich 1920 Vorhoelzer in seinen Mitarbeiterstab. Gemeinsam begründeten sie die Bayerische Postbauschule. In der Zeit zwischen 1920 und 1935 können ihr etwa 350 Postbauten, verteilt über ganz Bayern, zugeordnet werden. Sie beeinflusste Architektengenerationen und lieferte den bedeutendsten Beitrag zur Architektur der klassischen Moderne in Bayern zur bayerischen Moderne.
Einen der ersten modernen Schalterräume in Deutschland realisierte Vorhoelzer bereits 1920 bis 1922 mit dem Umbau der „Frauengebäranstalt“ (Friedrich Bürklein, 1856) in der Münchner Sonnenstraße zum Postsparkassen- und Postscheckamt. In den folgenden Jahren erbauten Vorhoelzer und seine Mitarbeiter zahlreiche Postämter im Geiste der Reformarchitektur. Beispielhaft dafür die Post Penzberg (1920) sowie in München die Postämter in der Winthirstraße (1924), der Bergmannstraße (1925), das expressionistisch geprägte Postgebäude an der Schwabinger Agnesstraße (1926) sowie die Hauptpost an der Arnulfstraße (1922 bis 1924).
Auch das gegenüber befindliche ikonische Paketzustellamt mit gläserner Kuppel wurde von Vorhoelzer und seinem Team von 1925/26 geplant. Der Grundriss des Gebäudes ist kreisförmig, die Decke wurde von modernen Pilzstützen aus Beton getragen. Ein weiterer Vorhoelzer-Postbau steht an der Fraunhoferstraße, er begeisterte Walter Gropius so sehr, dass er dieses 1930 auf der Werkbundausstellung in Paris als „Bayern-Post“ und fortschrittliches Beispiel öffentlicher Bauten feierte.
In gemeinschaftlichem Zusammenwirken von Robert Vorhoelzer, Hanna Löv, Walther Schmidt und der Haushaltsexpertin Erna Meyer wurde 1928/29 die Versuchssiedlung des Bayerischen Post- und Telegraphenverbands mit Münchner Küche an der Arnulfstraße entwickelt. Die schlichten, in den Formen der Neuen Sachlichkeit gehaltenen Bauten der Versuchssiedlung gruppieren sich um einen großen Innenhof.
1930 wurde Robert Vorhoelzer an die TH München als ordentlicher Professor an den Lehrstuhl für Entwerfen unter Berücksichtigung der mittelalterlichen Baukunst berufen. Selbst im Hochschuldienst blieb er inhaltlich der Postbauschule treu und wirkte weiterhin beratend und planend mit, wie zum Beispiel bei der Post in Fürstenfeldbruck, bei der die Architekten Georg Werner, Lars Landschreiber und Wilhelm Wichtendahl genannt werden.
1933 erfolgte die Relegation und Versetzung in den einstweiligen Ruhestand, ihm wurde „Baubolschewismus“ vorgeworfen. Insbesondere Paul Ludwig Troost, Umgestalter des Münchner Königsplatzes zu einem Aufmarschplatz im Nationalsozialismus und Architekt vom Haus der deutschen Kunst, intrigierte gegen Vorhoelzer. Als freier Architekt konnte Vorhoelzer noch eine zeitlang in Deutschland weiterarbeiten. 1937 wurde die von ihm geplante Kirche Maria Königin des Friedens in Giesing geweiht.
1939 ging er auf Empfehlung des Architekten Paul Bonatz in die Türkei, an die Akademie der Schönen Künste in Istanbul. Er trat dort die Nachfolge des verstorbenen Bruno Taut als Leiter der Architekturabteilung an. Auch viele andere Professoren und Dozenten, darunter Martin Elsaesser, Clemens Holzmeister, Margarethe Schütte-Lihotzky und Wilhelm Schütte, der vorher Referendar bei Vorhoelzers Postbauabteilung war, suchten in Istanbul freie Arbeitsbedingungen in der sich modernisierenden Türkei unter Mustafa Kemal Atatürk oder waren zur Emigration aus Deutschland gezwungen worden.
Nicht immer erfüllten sich ihre Hoffnungen, denn die nationalsozialistische Diktatur streckte ihre Hände bis in die Türkei aus und kontrollierte Einrichtungen wie das Deutsche Archäologische Institut oder Niederlassungen deutscher Unternehmen. Vorhoelzer musste nach zwei Jahren die Türkei wegen Spionagevorwürfen wieder verlassen. Zurückgekehrt nach Deutschland wurde er 1942 vom Luftgaukommando eingezogen.
1945 kam er an in seinen Entwurfslehrstuhl in München zurück, war als „Spezialkommissar“ für den Wiederaufbau der Stadt tätig. Ein Jahr später wurde er Rektor der TH München. Von Mai bis Oktober 1947 folgte die Enthebung aus allen Ämtern zur Prüfung seiner Rolle im Nationalsozialismus. Das Spruchkammerverfahren schloss mit einem Freispruch. Vorhoelzer kehrte auf seinen Lehrstuhl zurück. Er entwickelte zahlreiche Planungen für das Nachkriegs-München, darunter die Idee, aus Kriegstrümmern im Norden der Stadt einen begrünten Naherholungshügel, an der Stelle des späteren Olympiaparks, errichten zu lassen.
Realisieren konnte Vorhoelzer auch den Neubau des Hauptgebäudes der TH München. Den Wiederaufbau der Maxvorstadt plante er im Sinne einer programmatischen Moderne: Die Struktur der historischen Blockrandbebauung sollte durch Zeilenbau ersetzt werden, um so Grünbereiche zu ermöglichen. 1948 wurde ihm die Ehrendoktorwürde der TH Stuttgart verliehen, von 1948/49 war er Dekan der Fakultät für Bauwesen der TH München.
Sein letzter Bau, erst nach seinem Tod vollendet, war die Kirche St. Josef in Dingolfing, in gestalterischer Nachfolge von Maria Königin des Friedens in Giesing. Am 28. Oktober 1954 starb Robert Vorhoelzer in München. Sein Grab befindet sich auf dem Münchner Nordfriedhof, seine Werke sind in München bis heute gegenwärtig. (Kaija Voss)
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