Bauen

Die Talsperre Kibling: Schlauchwehr, Rollschütz, Segment mit Aufsatzklappe (von links). (Foto: DB/Mexis)

07.02.2019

Modernste Technik in historischem Bestand

Das Saalachkraftwerk Bad Reichenhall: Umbau und Modernisierung der Talsperre Kibling

Als Anschluss an die 1860 fertiggestellte Hauptbahn München-Wien wurde 1866 die Nebenstrecke Freilassing-Bad Reichenhall und im weiteren Verlauf 1888 die Weiterführung nach Berchtesgaden eröffnet. Die seit 1899 zum Königlich Bayerischen Staatsbad erhobene Stadt Bad Reichenhall reichte darauf 1905 bei dem Königlichen Bayerischen Staatsministerium für Verkehrsangelegenheiten wegen der unzumutbaren Luftverschmutzung durch die Dampflokomotiven Beschwerde ein.

Zur Elektrifizierung der Bahnstrecke Freilassing-Berchtesgaden wurde somit das Saalachkraftwerk Bad Reichenhall von 1910 bis 1913 errichtet. Das Wasserkraftwerk liefert heute etwa 8,5 MW 16,7-Hz-Einphasen-Bahn- und 50-Hz-Dreiphasenstrom. Das Regelarbeitsvermögen liegt bei etwa 40 GWh/a.
Da sich die Saalach für ein klassisches Laufwasserkraftwerk nicht eignete, entschieden sich die Kraftwerksbauer dazu, sie durch ein Absperrbauwerk südlich von Bad Reichenhall (Kibling) um zehn Meter aufzustauen.

Bei dem Absperrbauwerk handelt es sich um eine Gewichtsstaumauer und zwei bewegliche Verschlüsse – ein Holzgleitschütz in der Mitte (Hochwasserschleuse) und das Walzenwehr (Grundablass). Ganz rechts (im Bereich der weiterführenden Mauer) wurde 2004 ein Restwasserkraftwerk mit einer Leistung von 700 kW eingebaut, das seit 2005 die bis dahin meist vollkommen ausgetrocknete Unterwasserstrecke mit einem kontinuierlichen Wasserdurchfluss versorgt.

Geschiebe-Defizit

Aufgrund technischer und betrieblicher Probleme in der Durchführung von Seespülungen verlandete der See bereits zu Beginn der 1920er Jahre zusehends und im Laufe der Jahrzehnte trat ein Geschiebe-Defizit im Unterlauf auf. Zur Kompensierung werden daher seit über 20 Jahren bis zu 50 000 Kubikmeter Geschiebe jährlich dem Bereich der Stauwurzel entnommen und in das Unterwasser der Talsperre zum Weitertransport eingebracht.

Der Umbau und die Modernisierung wurden notwendig, da nach den Anforderungen der DIN 19700 der Altbestand unter Zugrundelegung des Bemessungsabflusses nicht mehr hochwassersicher und nach aktuellen hydrologischen und hydrometeorologischen Ansätzen dessen Gesamtstandsicherheit auch akut gefährdet war.

In den Jahren 2014 bis 2017 wurde die Talsperre von Grund auf saniert, umgebaut und modernisiert. Bei der Erhöhung der Abflussleistung musste insbesondere darauf geachtet werden, dass die direkt angrenzende Bundesstraße B 21 bei den Bemessungsabflüssen 1 (930 m3/s) und 2 (1300 m3/s) nicht überflutet wird.
Die Maßnahmen an den Wehranlagen sahen zunächst die Sanierung/Verfestigung der historischen Bausubstanz durch horizontal und vertikal angeordnete Betoninjektionen vor.

Die bauzeitige Herstellung der Gesamtstandsicherheit erforderte die Verfüllung des ausgespülten Kolkraums. Zur Schaffung der nach DIN geforderten erhöhten Abflussleistung und -sicherheit wurde das Feste Wehr (Gewichtsstaumauer) auf die Kote –3 Meter abgebrochen und ein luftgefülltes Schlauchwehr aufgesetzt. Hier können nun im Hochwasserfall 215 m³/s (bisher war keine Ableitung möglich) abgeführt werden.

Im Bereich der Hochwasserschleuse wurde die Überlaufschwelle um drei Meter abgesenkt, sodass bei vollständig gehobenem neuen Stahl-Rollschütz nun eine maximale Wassermenge von 250 m³/s (bisher 90 m³/s) durchgeleitet werden kann. Die alte, mechanisch mittels Zugseil einseitig angetriebene 13,6 Meter breite, 8,8 Meter hohe und etwa 83 Tonnen schwere Walze des Grundablasses wurde durch ein modernes Drucksegment mit Aufsatzklappe ersetzt. Der Abfluss bei Stauziel beträgt 590 m³/s. Die Aufsatzklappe öffnet zuerst und führt maximal 135 m³/s ab.

Um die enormen Kräfte in das Bestandsbauwerk sicher einleiten zu können, wurden die Pfeilerflächen 45 Zentimeter und die Sohle 50 Zentimeter abgefräst und durch neue, im Bestand verankerte Betonbauteile ersetzt. Die Auflagerkräfte des Drucksegments werden über die Schalen und Konsolen somit flächig in den durch die Injektionen verfestigten Bestand eingeleitet.

Regelmäßige Überwachung

In Verbindung mit einer neuen, vollautomatisierten Regelung ist nun eine sichere Wasserabführung gegeben. Die gesamte Abflussleistung steigt bei Stauziel, unter Berücksichtigung aller Öffnungen, von 680 m³/s (vor Umbau) auf 1055 m³/s (nach Umbau). Für den Fall, dass der leistungsfähigste Verschluss, das Drucksegment, nicht gehoben werden kann, können immer noch 600 m³/s (früher 90 m³/s) bei Stauzieleinhaltung abgegeben werden.

Für die dauerhafte Standsicherheit der Talsperre wurde im Anschluss an den Altbestand eine 15 Meter lange Schleppplatte auf abschließender, rückverankerter und in den Fels eingebundener Bohrpfahlwand eingebaut.
Die gesamte Talsperre wird regelmäßig überwacht. In den Sohlbereichen befinden sich senkrechte Entlastungstöpfe zur Verminderung des Sohldrucks. Die Pfeiler der Talsperre sind jeweils ober- und unterwasserseitig mit senkrecht gebohrten Sohldruckmessstellen ausgestattet, deren automatisierte Pegelsonden kontinuierlich den Sohlwasserstand unter den Pfeilern messen. Regelmäßige Vermessungen melden horizontale oder auch vertikale Verschiebungen.

Alle Kraftwerksprozesse wurden durch einen übergeordneten Kraftwerksregler automatisiert und optimiert. Die Talsperre erhielt eine eigene SPS zur Steuerung der Wehrverschlüsse und wurde per neu verlegtem Lichtwellenleiter an den Kraftwerksregler (KWR) im Hauptkraftwerk angeschlossen.

Die SPS der Talsperre regelt im Automatikbetrieb die Wehrverschlüsse anhand eines vorgegebenen Durchflusssollwerts, der ihr vom KWR als Summendurchfluss mitgeteilt wird. Die einzelnen Verschlüsse öffnen in einer definierten Reihenfolge. Fail-save-Komponenten (Komponenten mit sehr hoher Versagenssicherheit) leisten einen weiteren Beitrag zur Risikoreduzierung. (Christoph Mexis)

(Historische Ansicht der Talsperre (um 1930) - Foto: DB/DB Museum Nürnberg. Schal- und Betonarbeiten am Grundablass - Foto: DB/Mexis)

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