Bauen

Statt Neues zu bauen, sollten in erster Linie Bestandsbauten gepflegt sowie erhalten und die Nutzungsdauer von Gebäuden verlängert werden. (Foto: Michaela Thiede/pixabay.de)

30.06.2023

Nachhaltigkeit am Bau durch Reduce, Reuse, Recycle

Tagung in der Akademie für Politische Bildung Tutzing zu „Wie viel ökologischen Umbau schaffen wir überhaupt? Bauen und Gesellschaft in der Transformation“

In der Tagung „Wie viel ökologischen Umbau schaffen wir überhaupt? Bauen und Gesellschaft in der Transformation“ haben die Bayerische Ingenieurekammer-Bau und die Akademie für Politische Bildung Tutzing gemeinsam mit Fachleuten aus den Ingenieurswissenschaften und anderen Disziplinen in vier Workshops nach neuen Ideen für ein nachhaltiges, ökologisches, bezahlbares und generationengerechtes Bauen gesucht und vier Lösungsansätze sowie Handlungsempfehlungen für das Planen und Bauen der Zukunft entwickelt.

Um das Ergebnis schon mal kurz vorweg zu nehmen: Bauen muss nachhaltig, ökologisch, bezahlbar und generationengerecht sein. Soweit waren sich alle einig. Bisher fehlt es in vielen deutschen Städten und Gemeinden sowie in der Baubranche allerdings an Ideen und Reformen, wie die Transformation gelingen kann.

Die Bau- und Immobilienwirtschaft ist der größte Wirtschaftssektor in Deutschland. Sie trägt mit etwa 40 Prozent zum CO2-Ausstoß und mit rund 60 Prozent zum Abfallaufkommen bei. Die Bauwirtschaft spielt daher hinsichtlich der Ziele der Klimaneutralität und Nachhaltigkeit eine wesentliche Rolle. In Bayern gilt dies umso mehr, als die Staatsregierung sich das Ziel gesetzt hat, bereits bis zum Jahr 2040 klimaneutral zu sein – fünf Jahre früher als der Bund.

Die Tagung warf die Frage auf, auf welchen Wegen eine ökologische und digitale Transformation gelingen kann. Es wurden grundsätzliche Aspekte betrachtet sowie Ideen für neue bauliche Gestaltungen und Prozesse vorgestellt. Im Blickpunkt standen zudem die sozialen und psychologischen Dimensionen, die bei den notwendigen Veränderungen zu beachten sind.

Mehr alternative
Baustoffe verwenden

Martin Stuchtey, Professor für Ressourcenstrategie und -management an der Universität Innsbruck, begann seinen Vortrag mit einem Überblick über die weltweiten Ressourcensysteme, deren Produktivität abnehme, wohlstandserzeugende Systeme jedoch zunehmen. Er sprach ebenso über den bebauten Raum, wobei die Raumnutzung in Europa immer höhere Emissionen erzeugt. Aufgrund der vielfältigen Umweltprobleme setzt Stuchtey auf Transformation, die zum Beispiel einen neuen Generationenvertrag durch neue Formen der Führung, der Finanzierung, der Definition von Wohlstand bedarf. Dazu gehöre seiner Meinung nach auch, dass der Konsum neu zu definieren sei. Mit einem Aufruf zur Mäßigung spricht er von: „Nutzen statt besitzen“ und nennt Wege, den bebauten Raum neu zu denken.

Das Vorbeugen gegen Klimarisiken beinhaltet laut Stuchtey das Optimieren der Nutzung von Land, Räumen, Verkehr und das Reduzieren von emissionsintensivem Material. Er fordert die Verwendung von mehr alternativen Baumaterialien und weniger Kohlenstoff bei Heizung und Kühlung. Wichtig sei auch der Gebrauch von erneuerbarer Energie bei Gebäuden. Als positives Beispiel nannte Stuchtey Zürich mit ihren zahlreichen grünen Räumen und dem effizienten Verkehr.

Werner Sobeck, Professor am Institut für Leichtbau, Entwerfen und Konstruieren, Universität Stuttgart, erklärte: „Von Menschen gemachter Klimawandel, anhaltendes Wachstum der Weltbevölkerung und der weiter ansteigende Verbrauch natürlicher Ressourcen sind globale Herausforderungen, die uns alle betreffen. Dabei kommt dem Bauwesen bei der Bewältigung der vor uns liegenden Probleme eine besondere Rolle zu, weil es weltweit für einen großen Teil der Emissionen und Ressourcenverbräuche steht.“ In seiner Schlussfolgerung setzt er vor allem auf das Bauen für künftige Generationen, Revitalisierung der Bauwerke, Natur in der Stadt und Grünfassaden. 

Reduce, Reuse, Recycle – weniger ist mehr, lautete der Appell der Gruppe um Emanuel Lucke von Architects for Future e. V. der Architektenkammer Berlin. Für ein einfacheres, nachhaltiges und bezahlbares Bauen und Wohnen sei es unabdingbar, alle Wertstoffe nach dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft wiederzuverwerten. Wenn Recycling nicht möglich ist, müssen die Baustoffe zurückgenommen und der Abfall in Rechnung gestellt werden.
Ein flexibleres Baurecht, das den Kommunen individuelle Ausgestaltung ermöglicht, forderte die von Baubiologin Gisela Raab geleitete Workshopgruppe. Die Innenentwicklung müsse Vorrang vor der Ausweisung von Neubaugebieten haben, um Leerstände zu vermeiden. 

Raab entwickelt seit Jahren Wohnkonzepte für ein lebendiges und soziales Miteinander. Das Flexi- und Inklusionswohnen soll die Zielsetzung sein, um in der Heimat wohnen zu bleiben. Dabei setzt sie auf umweltfreundliche Baustoffe, moderne Heiztechnik und die Nutzung der Sonnenenergie. Es sollen durchdachte Baukonzepte sein, die die Bedürfnisse von Menschen und Umwelt berücksichtigten.
Für eine langfristige Stärkung der wirtschaftlichen Entwicklung und Attraktivität des ländlichen Raumes müssen Vorgaben zur Bauleitplanung und baurechtliche Auflagen flexibler gehandhabt und Abweichungen von Standards und Gesetzen zugelassen werden. Um Leerstände sowohl bei gewerblich als auch wohnwirtschaftlich genutzten Immobilien zu vermeiden, sollten die Kommunen ein Vorkaufsrecht erhalten. An den Beteiligungsprozessen bei der Aufstellung von Bebauungsplänen sollten die Bürgerinnen und Bürger deutlich früher aktiv eingebunden werden.

Zur Sicherung von Innovationsfähigkeit und Generationengerechtigkeit beim Planen und Bauen braucht es den Sachverstand und die Digitalkenntnisse der Nachwuchskräfte in Planungsbüros, Behörden und Ministerien. Dieses Potenzial müsse besser genutzt und konsequent einbezogen werden, bilanzierte die Arbeitsgruppe um den Politikwissenschaftler Jörg Tremmel von der Eberhard Karls Universität Tübingen.

Bestandsbauten
müssen erhalten bleiben

Tremmels Vorschlag lautet, die Kosten für den Ressourcenverbrauch und die entstehenden Emissionen in den Baupreis einzukalkulieren. Er setzt auf die junge Generation von Bauingenieurinnen und Bauingenieuren, die mit ihrer Innovationskraft, den neuesten technischen Standards und gemeinsam mit der Erfahrung von Ingenieurbüros den Bausektor nachhaltig verändern könnten.
Daniel Deimling, Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Heilbronn, erteilte in seinem Workshop dem Drang nach Wachstum eine klare Absage. Etwa 75 Prozent des Konsums seien überflüssig. Der Verzicht an Überflüssigem steigere die Lebensqualität, ohne dass Abstriche bei Grundbedürfnissen gemacht werden müssten.

Statt Neues zu bauen, müssen Bestandsbauten gepflegt und erhalten und die Nutzungsdauer von Gebäuden verlängert werden. Es müssen mehr multifunktionale Gebäude und Quartiere mit Mischnutzungen und gemeinschaftliche Infrastrukturen für das Zusammenleben geschaffen werden.

Darüber hinaus müsse der Gebäudetyp „E“ für einfaches und experimentelles Bauen gesetzlich und bauordnungsrechtlich verankert werden, so Deimling. (Eva-Maria Mayring, Friedrich H. Hettler)
 

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