Am 4. November 2016 war es endlich soweit. Erstmals durften die Besucher in die Elbphilharmonie und auf die offene Plaza zwischen ihrem Backsteinsockel – dem früheren Speicher A – und dem vom Baseler Architektenteam Herzog & de Meuron konzipierten Neubau mit der glitzernden Glasfassade. Nach fast

zehnjähriger Wartezeit auf die Fertigstellung wurde der Superbau gestürmt. An jenem ersten Wochenende kamen rund 25 000 Menschen.
Dass solch ein spektakuläres Bauwerk auch zur Konjunkturlokomotive wird, zeigt die Beherbergungsstatistik. 535 000 Besucher kamen im letzten November, eine Plus von 6,3 Prozent gegenüber dem November 2015. In den nebligen Wintertagen 2017 ist der Andrang etwas abgeebbt.
Fürs erste Aha in der Elbphilharmonie sorgt die 82 Meter lange Rolltreppe, englisch Tube genannt. Diese helle, dekorierte Röhre verängstigt nicht, und dass sie in sich leicht konvex gebogen ist, fällt kaum auf. Für die Konstrukteure und Inbetriebnehmer war sie jedoch eine knifflige Angelegenheit.
Die Tube landet direkt vor dem großen Panoramafenster mit tollem Blick auf den Hafen. Doch die knapp 4000 Quadratmeter große offene Plaza übertrifft mit ihrem fast 360-Grad-Panorama diesen Eindruck noch deutlich. Bis zu 9000 Besucher pro Tag dürfen dort in 37 Meter Höhe flanieren und schauen. Das beeindruckt selbst bei Nebel, wenn sich die Hafenanlagen weit unten wie durch einen Schleier präsentieren.
Gut gefällt der in Rot- und Brauntönen abgestimmte Ziegelboden, nicht nur auf der Plaza. Staunenswerter sind jedoch die geschwungenen Glaswände der Plaza, die sich sogar öffnen sowie

schließen lassen und im Foyer ungewöhnliche Lichtbrechungen verursachen. In diesem gläsernen Musikpalast ist alles unaufdringlich durchgestylt.
Zum Großen Saal, dem am 11. Januar 2017 eröffneten Schmuckstück, steigen die Konzertbesucher auf feinem Parkett empor. Dass dieser Saal mit seinen 2100 Plätzen 12 5000 Tonnen wiegt und zur Abschottung gegen Wetter, Wellengang und Hafengeräusche auf 362 Stahlfederpaketen schwebt, wissen nur wenige. Doch wohl alle halten beim ersten Schritt in diesen lichten, modernen Saal bewundernd den Atem an. Gestaltet ist er nach dem Weinberg-Prinzip. Wie die Terrassen eines Weinbergs steigen rings herum die Zuschauerränge an. Das Orchester sitzt in der Mitte und ist von jedem Platz aus zu sehen.
Visionen baubar gemacht
Dieser Anblick fasziniert selbst einen Profi wie Harald Krumpöck von den Wiener Philharmonikern, der viele Konzertsäle kennt. „Da finde ich fast keine Worte, das ist unglaublich, der zieht sofort in seinen Bann, der ist ein Ereignis“, schwärmt er. Auch die Akustik, geplant von Yasuhisa Toyota, lobt er: „Es klingt ganz fantastisch.“
Doch auch hier gilt, „erst kommt die Arbeit, dann das Vergnügen“. Für den Ausbau des Großen Saals (und auch des Kleinen Saals mit rund 500 Plätzen) war Projektleiter Werner Kuhn verantwortlich, einer, der das Bauen von der Pieke auf gelernt hat. Nach dem Studium schlug er die klassische Laufbahn vom Bauleiter über den Oberbauleiter bis zum Projektleiter ein und seit April 2009 hat er im Projektteam Elbphilharmonie gearbeitet. Ehrlich bekennt er gegenüber der Bayerischen Staatszeitung: „Der Ausbau

des Großen Konzertsaals war die bisher größte berufliche Herausforderung für mich. Er wurde komplett auf der Basis von 3D-Modellen geplant und gebaut, weil er organisch geformt ist und fast keine geraden Linien hat. Diese neue Technologie war für mich und die meisten beteiligten Unternehmen neu.“
Diese Methode hatte Vorteile. „Wir konnten schon vor dem Baustart Planungskollisionen erkennen und frühzeitig beseitigen“, so Kuhn. Zumal im Großen Konzertsaal „fast keine Teile von der Stange verbaut wurden. Selbst die Bestuhlung wurde speziell für die Elbphilharmonie entwickelt. Unsere Aufgabe bestand darin, die Visionen der Architekten mit unseren Partnern baubar zu machen. Dazu haben wir viele neue Verfahren entwickelt, etwa zur Füllung der 15 Kilometer Fugen im Großen Saal. Weitere Herausforderungen ergaben sich aus den individuellen Bauabläufen, der extrem komplizierten Geometrie, die mit hohem Aufwand vermessen werden musste, und aus den hohen Qualitätsanforderungen.“
Werner Kuhn hat auch den fast zweijährigen Baustopp erduldet. „Das Projekt war zwischendurch in einer schwierigen Phase“, räumt er ein. „An unserer Leistungsfähigkeit und an der Fertigstellung der Elbphilharmonie habe ich aber nie gezweifelt“, betont er. Nach all den Schwierigkeiten wird die Elbphilharmonie bereits als Jahrhundertbauwerk bezeichnet. Wird sie so lange überdauern? „Ich bin sicher, die Elbphilharmonie wird mehr als die 100 Jahre überdauern. Mit der gebauten Qualität haben wir den Grundstein für die Langlebigkeit gelegt“, ist Kuhn überzeugt.
Hochverdichteter Gips
Hat sie auch die Vokabel „genial“ verdient? „Die Elbphilharmonie begeistert mit ihrer Architektur und den Einblicken und Ausblicken. Das erlebe ich fast täglich, wenn Besucher zum ersten Mal in der Elphi sind“, erklärt Kuhn. Auch beim Besuch seiner 23-jährigen Tochter Lena habe er ihre Begeisterung

miterlebt. Kuhn nennt dafür folgende Gründe: „Die Fahrt mit Europas längster gebogenen Rolltreppe, der Blick über den Hafen, der Rundgang auf der Plaza mit dem wunderbaren Blick über den Hafen sowie Hamburg und dann das Staunen beim Betreten des Großen Konzertsaals. Die Grenzen des Machbaren sind nach meiner Auffassung nach bei der Elbphilharmonie in jeder Hinsicht erreicht.“
„Natürlich ist auch der Klang der Musik genial und ein Erlebnis“, fügt er hinzu, und das ist der Weißen Haut zu verdanken. „Auch die Elemente der Weißen Haut wurden aus den 3D-Modellen heraus produziert. Diese etwa 10 000 individuell gefrästen Elemente wurden danach mit einer Genauigkeit von fünf Millimetern auf einer Gesamtfläche von etwa 6000 Quadratmetern montiert. Von Dezember 2013 bis Januar 2016 hat das gedauert.“
Die Weiße Haut besteht hauptsächlich aus hochverdichtetem Gips, doch Kuhn hat keine Bedenken, wenn die Besucher sie befühlen. Die Oberfläche ist mit einem transparenten Lack beschichtet und daher sehr unempfindlich gegen Verschmutzungen. „In Bezug auf die Dauerhaftigkeit mache ich mir keine Sorgen“, betont der Projektleiter. „Das hat sich bereits in der Bauphase so bestätigt. Sollte doch einmal ein Element defekt sein, muss eine Austauschplatte auf der Basis der vorhandenen 3D-Pläne neu angefertigt werden. Die dazu notwendigen Rohplatten sind eingelagert.“
Nach all der jahrelangen Arbeit hat Kuhn auch einen Lieblingsplatz. „Das ist das westliche Ende der Plaza-Besucherplattform mit dem Fast-Rundumblick über den Hafen und Hamburg.“ Den liebt er auch spätabends, wenn drunten die Lichter leuchten.
Den Besuchern leuchtet die Elbphilharmonie ebenfalls bei Tag und Nacht. Dafür sorgt die Glasfassade mit insgesamt 1096 Glas-Elementen, die ihrerseits aus zwei Scheiben bestehen. Von denen sind zahlreiche unterschiedlich gewölbt und gebogen. Zum Sonnenschutz und aus gestalterischen Gründen ist außerdem jede Scheibe mit einem individuellen Raster bedruckt und daher jede ein Unikat. Nach Aussage der Architekten soll so der Eindruck eines riesigen Kristalls, der den Himmel, das Wasser und die Stadt immer wieder anders reflektiert, erweckt werden. Die Hamburger drücken sich knapper aus und nennen ihr neues Wahrzeichen wie Werner Kuhn Elphi. Aus dem Sorgenkind ist ein Lieblingskind geworden.
(Ursula Wiegand)
(Der Große Saal vor Konzertbeginn; der Schallreflektor mit der Weißen Haut; die 82 Meter lange, konvexe gebogene Rolltreppe; Lichteffekte durch geschwungene Glaswände- Fotos: Ursula Wiegand)
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