Bauen

Der Neubau besteht aus zwei identisch großen Baukörpern, die parallel zur Straße zueinander verschoben wurden. (Foto: Norman Radon)

27.11.2020

So besonders wie nötig, so normal wie möglich

Wohnhaus für Menschen mit Behinderung in Augsburg-Hochzoll

Der Neubau der Heimstatt-Stiftung in der Oberländer Straße in Augsburg-Hochzoll hat zum Ziel, den Bewohnern einer Betreuungseinrichtung für Menschen mit erhöhtem Hilfsbedarf zu ermöglichen, selbstverständlich und anerkannt zu einem Teil des normalen tagtäglichen Lebens eines Augsburger Wohngebiets zu werden.

Die Entwicklung des Neubaus eines Wohnheims für Menschen mit erhöhtem Hilfsbedarf innerhalb eines Wohngebiets in Augsburg-Hochzoll ist das Resultat der langjährigen Entwicklung der Heimstatt-Stiftung. Die Stiftung wurde mit dem Gedanken, Menschen in einer erschwerten Lebenssituation Hilfe und Geborgenheit zu geben, im Jahr 1979 am selben Ort gegründet. Im Jahr 1991 wurde das ursprünglich bestehende Haus für die familienähnlich strukturierte Wohngemeinschaft bedarfsgerecht umgebaut.

Kleinteilige
städtebauliche Struktur

Nun benötigte die Stiftung eine an die heutigen Vorgaben der Heimverordnungen und Barrierefreiheit besser angepasste Heimstätte. Dieses Gebäude sollte nicht nur organisatorische Verbesserungen mit sich bringen, sondern trotz der zunehmenden Größe der Stiftung für die Bewohner sicherstellen, weiterhin als ein gleichberechtigter Teil der Nachbarschaft wahrgenommen zu werden. Denn für Menschen mit erhöhtem Hilfebedarf ist gesellschaftliche Teilhabe noch immer nur bedingt möglich.

Der Neubau sollte daher vor allem insofern im Sinne des Stiftungszwecks stehen, als dass er anhand der Gestaltung des Hauses auch die Integration der Bewohner in die Nachbarschaft und deren Infrastruktur ermöglicht. Damit steht der Neubau auch exemplarisch als Beispiel für eine gelungene Umsetzung des sogenannten „Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen” aus dem Jahr 2006, die besagt, dass Bewohner nach Möglichkeit dieselbe Infrastruktur der Nachbarn ohne erhöhten Hilfsbedarf nutzen können sollten und dass gerade auch ein Gefühl der Zugehörigkeit in der Nachbarschaft zu erhalten und weiter auszubauen ist.

Vorherrschend im Wohngebiet sind Einfamilien- und Doppelhäuser. Planungsrechtliche Vorgaben erforderten daher ein Gebäude, welches sich so weit als möglich in die kleinteilige städtebauliche Struktur des Wohngebiets einfügt. Die Architektur des Gebäudes wurde vom Architekturbüro UTA Architekten und Stadtplaner aus Stuttgart in enger Abstimmung mit dem Bauherrn und dem Stadtplanungsamt entwickelt. Sie setzten darauf, zum einen durch die Planung eines „Architektenhauses“ mit einer hohen architektonischen Qualität eine Besonderheit zu schaffen. Andererseits können die Bewohner durch die an das übrige Wohngebiet angepasste architektonische Ausprägung auf die bestehende Nachbarschaftsgeschichte zurückgreifen und so die Identifikation auf beiden Seiten innerhalb der Nachbarschaft stärken.

Fußläufig ist der Neubau des Gebäudes drei Minuten vom bestens erschlossenen Naherholungsgebiet Kuhsee entfernt, welches nicht nur für die Anrainer, sondern allen Augsburgern ein Naherholungsziel ist.

Der Neubau interpretiert die Bauweise der Wohngebäude in der Nachbarschaft neu. Giebelständige Bauweise prägt das Stadtbild in der Oberländer Straße. Dies nahmen die Architekten mit in die Neuplanung auf. Zwei identisch große Baukörper wurden parallel zur Straße zueinander verschoben, wodurch sich ein überdachter Eingangsbereich bildet. Als dritter Baukörper schiebt sich das Treppenhaus zwischen beide Baukörper. Ein weiteres Gebäude im idyllischen Garten wird über einen offenen Steg angebunden.

Faltschiebeläden
mit Fenstertüren

Ein scharf geschnittenes Dach aus Aluminiumpaneelen ist mit minimalen Dachüberständen ausgeführt und zeichnet den Charme des ursprünglichen Baus an dieser Stelle nach. Eines der ursprünglichen giebelständigen Dächer mit minimalen Dachüberständen und Fensterläden wird gestalterisch raffiniert übernommen und interpretiert die seit Langem an diesem Ort gewohnte Kubatur neu. Die Dachneigung von 45 Grad ist eine optische Einbindung in die kleinteilige Struktur der umstehenden Wohngebäude, um den Bewohnern das Gefühl zu vermitteln, unter „demselben Dach“ zu wohnen wie die Nachbarn.

Neben dieser architektonischen Qualität zeigen neue Elemente, wie die Faltschiebeländen mit Fenstertüren, dass Öffnungen nicht nur funktionale Qualität haben müssen, sondern als ein besonderes gestalterisches und räumliches Argument in herkömmliche Wohnhäuser eingebaut werden können. Denn sie ermöglichen nicht nur die Aussicht im Sitzen – für Rollstuhlfahrer wichtig –, sondern sind auch einfach zu bedienen. So hat letztlich auch jedes Zimmer einen kleinen Balkon.

Eine besondere Qualität in der Planung und Umsetzung des Bauvorhabens von den Architekten ist die Erfüllung aller Regeln innenräumlicher Barrierefreiheit und setzt auf eine möglichst hohe Aneignung der Innenräume durch ihre zukünftigen Bewohner. Architektonische Elemente wie Türrahmen, Geländer und Lichtschalter sind möglichst kontrastreich ausgeführt, um die Orientierung zu erleichtern.

Normalerweise unterliegt diese Detailarbeit strengen funktionalen Anforderungen. Die Gestaltung der Räumlichkeiten ist hingegen zusätzlich bewusst zurückhaltend, um den Raum visuell möglichst wenig zu stören. Betreuende und Betreute sollen die Möglichkeit haben, sich innerhalb der neu entstehenden Wohngemeinschaften gemeinsam wohlzufühlen, indem die Aufenthaltsqualität nicht nur durch funktionale, sondern auch gestalterischen Anforderungen bestimmt wird. Funktional notwendige Kontraste in der Farbgebung sind daher beispielsweise an Wänden durch Goldtöne auf weißem und grauem Hintergrund ausgeführt. Graue Türrahmen setzen sich von weiß gehaltenen Wänden ab.

Die vier Wohngruppen für vier bis sieben Personen sind jeweils in Kombination von zwei Gruppen aufgeteilt und so organisiert, dass alle Bewohner ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen können. Tagtägliche Interessen, wie beispielsweise über ein eigenes Bad oder und einen Vorraum in der eigenen Wohnung zu verfügen, ist durch den Neubau möglich. Darüber hinaus ermöglicht eine gemeinschaftliche Küche und Terrasse gemeinsames Wohnen.

Das Projekt ist ein gefördertes Wohnheim des Freistaats Bayern für die Integration von Menschen mit Hilfsbedarf. Die Stiftung Sankt Johannes ist Betriebsträger für die Heimstatt-Stiftung. (Hannes Schwertfeger)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Sollen Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisiert werden?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.