Bauen

Thermografie einer WDVS-Fassade zum Nachweis von Brandriegeln. (Foto: Matthias Horn)

04.10.2017

Vorbeugender Brandschutz

Die Brennbarkeit der Fassade bei Feuer ist oft nicht das Problem, sondern das Fehlen zweier unabhängiger Rettungswege

Ziegel und Mauerwerk brennen nicht. Kaiser Ludwig der Bayer verfügte im Jahr 1342, dass Neubauten in München gemauert oder zumindest mit Ziegeln zu decken seien. Ihn veranlassten tragische Erfahrungen mit Brand und Feuer zu dieser Festsetzung. Weil Holz als Baustoff in seinen Augen im Brandfall ein Risiko darstellte, wurde mit gesiegelter Urkunde die Verwendung nichtbrennbarer Baustoffe verordnet. Wäre es nun nach dem katastrophalen Hochhausbrand in London nicht an der Zeit, brennbare Baustoffe vollständig zu verbieten?
Neben den brennbaren Baustoffen stehen nichtbrennbare und damit nicht entzündliche Baustoffe wie Beton oder Metall. Brennbare Baustoffe werden heute nach ihrem Brandverhalten in die Klassen „leicht entflammbar“, „normal entflammbar“ und „schwer entflammbar“ eingeteilt. Leicht entflammbare Baustoffe dürfen grundsätzlich nicht verwendet werden. Normal entflammbar werden Baustoffe genannt, die nach ihrer Entzündung selbstständig weiterbrennen und unter Abgabe von Wärme an Substanz verlieren. Schwer entflammbare Baustoffe verzehren sich beim Brand unter Abgabe von Wärme und leisten einen Beitrag zum Brandgeschehen, ohne stützende Beflammung erlöschen sie aber von selbst. Auch Kunststoffe, welche aus Erdöl hergestellt werden, können schwer entflammbar sein. Dazu gehört auch der Dämmstoff expandiertes Polystyrol (EPS), der vielfach in Wärmedämmverbundsystem-Fassaden (WDVS) Verwendung findet. Die aus heutiger Sicht richtige Verwendung der Baustoffe regelt die Bauordnung. Vereinfachend gesagt, dürfen niedrige Gebäude unter sieben Metern Fußbodenhöhe im obersten Geschoss normal entflammbar sein. Mittelhohe Gebäude von sieben bis 22 Meter müssen mindestens schwer entflammbar sein und Hochhäuser ab 22 Metern müssen nicht brennbar sein. Für Hochhäuser gilt diese Anforderung in Bayern übrigens bereits seit 1958. Weil schädliches Feuer überall entstehen kann, muss der Ausbreitung von Feuer und Rauch vorgebeugt werden. Die horizontale Brandausbreitung wird durch Gebäudeabstände von mindestens fünf Metern verhindert. Kann dieser Abstand nicht eingehalten werden, müssen Brandwände gebaut werden.
Die Behinderung des vertikalen Brandüberschlags von Geschoss zu Geschoss wird im Gebäude durch feuerwiderstandsfähige Bauteile wie Decken, Treppenraumwände oder Schächte erreicht. Feuer und Flamme entwickeln sich aber auch entlang der Fassade nach oben. Je nach Wind und äußeren Bedingungen beträgt bei einem Zimmerbrand die Flammenlänge an der Fassade bis zu fünf Meter. Selbst bei geschlosse-nen Fenstern oberhalb des Brandraums kann es zu einer Entzündung beispielsweise von Vorhängen im darüberliegenden Geschoss kommen, ausgelöst allein durch Wärmestrahlung. Das zeigt, dass ein Brandüberschlag über die Fassade also unabhängig von der Wahl der Fassadenbaustoffe möglich ist. Hier wäre ein vertikaler Abstand von übereinanderliegenden Fenstern von fünf Metern brandschutztechnisch wirksam, bautechnisch allerdings unsinnig.

Akzeptiertes Risiko

Weil Räume ausreichend mit Licht und Luft versorgt werden müssen, dürfen Fenster auch mit geringerem Abstand übereinander liegen. Der vertikale Brandüberschlag über die Fassade ist dabei ein baurechtlich akzeptiertes Risiko. 20 Zentimeter dicke Fassadendämmungen sind heute eine übliche Bauweise. Die Energie, welche in der Dämmung steckt und bei einem Brand freigesetzt werden kann, heißt Brandlast und wird in Kilowattstunden gemessen. Die Brandlast eines mit EPS gedämmten Einfamilienhauses kann so groß sein wie 500 Liter Heizöl. Nicht nur die Flammen, die aus einem brennenden Zimmer aus dem Fenster schlagen, entzünden brennbare Fassaden, sondern auch Brände davor, wie brennende Müllcontainer oder Fahrzeuge. Besonderes Augenmerk muss auch der Baustelle gelten, solange der brennbare Baustoff in großen Mengen gelagert wird oder noch unverputzt an der Fassade klebt.
Die wirksame Brandbekämpfung einer brennenden Fassade unterliegt wesentlichen Voraussetzungen. Die Feuerwehr kann mit der 30 Meter langen Drehleiter nur Gebäude unterhalb der Hochhausgrenze von außen mit Wasser benetzen. Aufstellflächen für Drehleiterfahrzeuge vor einem Gebäude müssen mindestens 5,5 Meter breit, elf Meter lang und für ein Fahrzeuggewicht von 16 Tonnen ausgelegt sein. Straßenseitig mag das meistens der Fall sein, aber hofseitig ist dies eher die Ausnahme. Der gestiegenen Verwendung von brennbarem Fassadenmaterial muss in Verbindung mit möglichen Brandgefahren aus Brandschutzgründen Rechnung getragen werden. Brandversuche haben gezeigt, dass die vertikale Ausbreitung von Feuer in WDVS-Fassaden mit EPS-Dämmung durch den Einbau von nichtbrennbaren Mineralwoll-streifen, den sogenannten Brandriegeln, deutlich behindert werden kann. Mindestens 20 Zentimeter hoch und in der gleichen Dicke wie die brennbare Dämmung, umschließen sie das Gebäude horizontal wie ein Gürtel. Dies ist in den allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassungen von WDVS im Sturzbereich von Fenstern seit Langem geregelt. Neu sind zusätzliche Brandriegel im Sockelbereich zur Behinderung des Ein-brands von unten und am Übergang der Fassade zur brennbaren Dachkonstruktion.
Brandriegel in WDVS-Fassaden lassen sich zerstörungsfrei über thermografische Aufnahmen gut belegen. Doch auch der von Kaiser Ludwig dem Bayer im 14. Jahrhundert so verschmähte Baustoff Holz ist wesentlicher Teil unserer Baukultur und identitätsstiftend. Nach-wachsend, unbegrenzt verfügbar, leicht, robust, handwerklich und industriell verarbeitbar, gute Festigkeitseigenschaften, angenehme Optik und Haptik. So vieles und mehr spricht für diesen traditionellen Baustoff. Aus Brandschutzgründen lässt der Gesetzgeber allerdings auch heute die Verwendung von Holz in Bauwerken nicht unbegrenzt zu. Selbst die 2008 eingeführte Feuerwiderstandsklasse „hoch feuerhemmend“, die Holz als tragendes Bauteil in Gebäuden bis 13 Meter Fußbodenhöhe ermöglicht, hat aufgrund der aufwendigen Kapselbauweise zu keinem echten Durchbruch für Holzbauten geführt. So muss das Holz bei der Kapselbauweise mit nichtbrennbaren Baustoffplatten eingehüllt werden, dass der besondere Charme des Holzes nur im Verborgenen wir-ken kann. In der Regel müssen bei mehrgeschossigen Holzbauten über sieben Meter Fußbodenhöhe mit sichtbarem Holz technische Anlagen zum Brandschutz gebaut werden. Sprinkleranlagen sind dafür beispielsweise geeignete Maßnahmen. Dies steht so zwar nicht in der Bauordnung, ist aber über Abweichungen und einen schutzzielgerechten Brandschutznachweis genehmigungsfähig. Aufgrund unserer Tradition und Baukultur legen wir nach wie vor viel Wert auf das sichtbare Holz auch in der Fassade. Der Brennbarkeit wegen bleibt die Holzfassade aber lediglich den kleineren Gebäuden vorbehalten.

Hitze im Luftspalt

Ob die Wärmedämmung Hauptverursacher der Brandkatastrophe von London war, ist fraglich. Über die Tragödie sind mittlerweile die ersten Veröffentlichungen in der Fachpresse erschienen. Daraus lässt sich lesen, dass die dortige Fassade aus dünnen Verbundplatten aus Aluminum mit normal entflammbarem Polyethylen, dem Hinterlüftungsspalt und der schwer entflammbaren Wärmedämmung bestand. Das Feuer breitete sich beim Brand rasant schnell aus, da sich die Hitze im Luftspalt aufstaute, solange wie die Aluminiumhülle noch intakt war. Vergleicht man das Schreckensszenario allerdings mit anderen Brandkatastrophen, fällt eines auf: Als nur acht Wochen nach dem Feuer in London in Dubai der „Torch Tower“ brannte, loderten auch dort die Flammen an der Fassade über mehr als 20 Geschosse. Und obwohl sich die Bilder der beiden Feuer an der Fassade durchaus glichen, so unterscheiden sich die Opferzahlen in einem erschreckenden Ausmaß. Während in Dubai 475 Menschen das Hochhaus unverletzt verlassen konnten und es bei einem Sachschaden blieb, kamen in London 80 Menschen ums Leben.

Nicht brennbare Brandriegel

Die Tragödie von London war vor allem mitverursacht durch den fehlenden 2. Rettungsweg oder Sicherheitstreppenraum nach hiesigen Standards. Die Brennbarkeit der Fassade war in London offensichtlich nur einer der Gründe für die vielen zu beklagenden Todesopfer. Zusammenfassung:
1) London liefert keine Argumente für die Verschärfung von Vorschriften, weder für Hochhäuser noch für Häuser unter der Hausgrenze. Die Brandkatastrophe ist vielmehr ein Argument für die Richtigkeit der Forderung von zwei unabhängigen Rettungswegen.
2) Brennbare Dämmungen in WDVS-Fassaden haben eine hohe Brandlast. Mit nicht brennbaren Brandriegeln wurde bereits auf die damit verbundene Gefährdung reagiert und im Prüfstand haben sie sich bewährt. Die langfristige Er-fahrung bleibt abzuwarten.
3) Fassadenbrände werden durch die Feuerwehr gelöscht. Die Einsatzgrenzen sind durch Leiterlängen, Aufstellflächen und die Wurfhöhe des Löschwassers begrenzt. Das Risiko, eine brennende Fassade nicht löschen zu können besteht. Bauherrn können durch die Verwendung von Mineralwolle als Dämmstoff darauf reagieren.
4) Solange der Putz noch nicht auf einer brennbaren Wärmedämmung aufgebracht ist, stellt die hohe Brandlast der Dämmung auch eine hohe Brandgefährdung dar. Dem muss durch eine achtsame Baustellenlogistik Rechnung getragen werden.
5) Holz ist ein genialer Baustoff, der im Brandfall seine Schwächen hat. Kaiser Ludwig hat vor 675 Jahren direktiv darauf reagiert und die Verwendung verboten. Durch nichtbrennbare Beplankungen oder durch anlagentechnischen Brandschutz können wir heute allerdings die Vorzüge von Holz nutzen, weil wir auf die Brandgefährdung kreativ reagieren können. (Thomas Herbert - Der Autor ist Vorsitzender des Ausschusses Baurecht und Sachverständigenwesen der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau) (Brandriegel aus nicht brennbarer Mineralwolle - Foto: Oehmke+Herbert; der brennende Grenfell Tower in London - Foto: Natalie Oxford)

Kommentare (1)

  1. Thomas Herbert am 07.10.2017
    Die Unterüberschrift stammt nicht vom Autor und ist mißverständlich. In London kam es zur Katastrophe wegen der brennbaren Fassade und wegen des fehlenden zweiten Rettungsweges. Das gilt für Deutschland nicht. Bei uns sind 2 Rettungswege Pflicht und nur in wenigen Ausnahmefällen ersetzbar, bespielweise durch einen Sicherheitstreppenraum. Die Überschrift erweckt den Eindruck bei uns würden regelmäßig die zweiten Rettungswege fehlen, was so nicht stimmt.

    Aufgrund des verfügbaren Platzes in der gedruckten Ausgabe musste der Text gekürzt werden. Deshalb ergänze ich hier eine Zusatzinformation zur Thermographie. Brandriegel in WDVS-Fassaden lassen sich zerstörungsfrei über thermografische Aufnahmen gut belegen. Bild 1 zeigt den Neubau einer Wohnanlage, die bei sonnigem Wetter mit einer Wärmebildkamera und einer thermischen Auflösung von 30 Millikelvin hochauflösend thermografiert wurde. Die Brandriegel zeichnen sich über dem EG, über dem 2.OG und unter dem Dach erkennbar über jedem zweiten Geschoss entsprechend den geltenden Forderungen ab. Dies ist zwar noch kein Beweis für einen nichtbrennbaren Baustoff, aber doch die Erkenntnis über bauphysikalisch unterschiedliche Eigenschaften des Untergrundes, die bei Temperaturänderungen von nur einem Grad in der Thermografie bereits sichtbar werden. Bild 2 vom gleichen Haus aus der Bauzeit belegt dann den Brandriegel aus nichtbrennbarer Mineralwolle.
    Thomas Herbert
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