Bauen

Der gepflasterte Vorplatz der Würzburger Residenz. (Foto: Klemm)

13.11.2015

Wenn Steine reden

Zur Geschichte des Pflasters auf dem Vorplatz der Würzburger Residenz

Die Besucher der Würzburger Residenz müssen gegen ein leichtes Gefälle angehen, aber sie schreiten meist beiläufig darüber hinweg. „Manche bemerken den Anstieg nicht einmal“, registriert Erich Hubala in seinem 1984 publizierten Residenzbuch; gleichwohl wird dem damals in Würzburg lehrenden Kunsthistoriker zufolge beim Überqueren des Platzes vor der Residenz ein Aufstieg und die Überwindung einer Distanz erfahren. Das gehöre zu den „Hauptsachen“ dieser Architektur.
Hubalas definitionsartige Festlegung wirkt wie bewusst gegen das Pathos der Residenzmonographie des in Würzburg geborenen Kunsthistoriker Richard Sedlmaier und des Architekten Rudolf Pfister gesetzt, die 1923 erschien. „Man muß ihn sehen, man muß diesen Platz erleben, man muß ihn erdulden“, forderten die Autoren und charakterisierten den Platz, als wollten sie ihm durch eine paradoxe Attributierung – „ein in grandioser Öde sich dehnender Steinplatz von monumentalen Ausmaßen“ – eine nicht mehr fassbare Größe und Erhabenheit attestieren und ihn als ebenbürtig mit der Residenz erscheinen lassen, die von dem Kunsthistoriker Georg Dehio als „der vollkommenste Profanbau des 18. Jahrhunderts“ bezeichnet und 1981 zum Weltkulturerbe erhoben wurde.

Profanes Tiefbauprojekt


Aber auch mit greifbaren Größen kann der Platz prunken. Er steigt auf der zu überquerenden Breite von 115 Metern um gut 2,50 Meter an und fällt auf der sich über 190 Meter vor der Schlossfassade erstreckenden Länge nach beiden Seiten etwas ab und ist inzwischen völlig neu gepflastert. Wie gewaltig dieses profane Tiefbauprojekt war, zeigt der Plan, den Gerhard Weiler in seinem Büro im Nordflügel der Residenz auffaltet. Dort hat der Leiter der Würzburger Außenstelle der Bayerischen Schlösserverwaltung die Arbeiten zur Erneuerung des Pflasters mitorganisiert, die man auf dem ausgebreiteten Bauplan mit einem Blick glaubt, erfassen zu können. Der Residenzplatz ist darauf in 25 Felder eingeteilt, die nach und nach neu gepflastert wurden: das erste Feld bereits 1999, das letzte im Mai 2015. Das Pflastern in einem Stück hätte laut Weiler den jährlichen Finanzrahmen weit überstiegen.
Das ersetzte Pflaster bestand größtenteils aus schmalen, sich bereits zersetzenden Muschelkalksteinen, die über den Platz mäanderten und angeblich eine Art Flimmereffekt erzeugten. An diese kurvigen Linien sollte sich die Neupflasterung – wieder mit Muschelkalk – anlehnen. Helmut Schätzlein, der mit seiner Firma Würzburger Pflasterbau viele Felder erneuerte, hat deshalb „geschwungene Reihen“ legen lassen, die das linke und das rechte Drittel des Platzes optisch leicht beleben. Das mittlere Drittel ist durch „gerade Reihen“ beruhigt.
Das nach dem Augenschein älteste und bewusst nicht ersetzte Pflaster liegt in einem schmalen Streifen vor den beiden Gebäudeflügeln und besteht aus eher großen Steinen. In diesem Traufbereich erscheint Pflaster auch erstmals auf graphischen Blättern der Residenz. Sie zeigen den teilweise durch Fahrspuren zerfurchten Platz und 1743 erstmals Pflasterzungen, die sich aus den Einfahrten der Gebäudeflügel herauszuschieben scheinen. Der Grundstein der Residenz war am 22. Mai 1720 gelegt worden. Ende Dezember 1744 stand der Rohbau. Um 1780 war auch der Innenausbau fertig.
Auf einem Blatt von 1775 bedeckt das Pflaster den ganzen Ehrenhof und scheint heraus auf den Platz gequollen zu sein. Ab 1825 gibt es Blätter, auf denen sich im eher groben Pflaster ein feiner strukturiertes Feld abhebt – eine Art inneres Karree. All diese Graphiken sind im Hinblick auf die Residenz unzuverlässig, denn sie reproduzierten oft ältere Bilder und damit Planungsphasen, die bereits überholt waren. Sie wollten imponieren, nicht darstellen, umso seltsamer bleibt das banale Pflaster, das in den zeitgenössischen Architekturtraktaten keinen Platz hat. Es wirkt wie ein Einbruch des Realismus in eine idealisierende Bildgattung und damit zumindest in der Tendenz glaubwürdig.

Immer wieder erneuert


Dafür sprechen auch die ausgegebenen Summen beim Bau der Residenz, die Sedlmaier und Pfister auflisten. Danach waren Pflasterer zwar vom ersten Baujahr an – mit Unterbrechungen – bis zum Bauabschluss beschäftigt; die Rechnungsbücher zeigen aber, dass anfangs vor allem Zufahrten herzurichten waren. Wie der Historiker Herbert Schott in einer Studie darlegt, musste das Pflaster auch immer wieder erneuert werden. Ein Hofkammer-Protokoll von 1781 mahnt deshalb, dass zu viel Sand zum „baldigen Verderben des Pflasters“ beitrage, und verbietet auf dem Residenzplatz „spitze Steine“, da sie zu leicht aus dem Pflasterbett „gedreht“ werden könnten.
Der generelle Zustand des Platzes wird erstmals 1748 angesprochen, als ein „Decretum“ an den „Bürgermeister und Rath“ verfügt, den „verwüstet liegen gebliebenen Vorplatz“ zu pflastern und die Hälfte der Kosten zu tragen. Daraus wurde nichts. Die Versuche der Hofkammer, die Stadt für die Pflasterung des Platzes heranzuziehen, dauerten laut Schott aber bis zu einer Vereinbarung an, in der die Zuständigkeiten abgrenzt wurden. Ein „Extractus“ dieses Dokuments von 1780 rekapituliert auch die Vorgeschichte: „Der ganze Residenz Plaz“, heißt es da, „seyn von 1748 bis hieher nach und nach stückweis gepflastert, die Kosten aber aus dem Herrschaftlichen Aerario bestritten worden“ – also nicht von der Stadt.

Fein strukturiert


Auch nach dem Bauabschluss muss noch gepflastert worden sein: etwa das innere Karree oder die Platzseite vor dem Südflügel, die auf einem Luftbild von 1933 fein strukturiert hervortritt. Thematisiert wurde aber vor allem das 1820 abgebaute Ehrenhofgitter und der 1894 vor dem Ehrenhof errichtete Frankoniabrunnen. Über den Verlauf der Pflasterung wusste man nichts Genaues. Hubala wollte sogar eine Magisterarbeit darüber schreiben lassen, die aber nicht zustande kam und die vielleicht zur Fundierung der „Hauptsachen“ hätte beitragen sollen, die den Platz aus seiner Sicht als „Vorplatz“ erwiesen.
Der Begriff „Vorplatz“ betont die Unterordnung. Er werde „vom Schloßbau erzeugt“, empfange eine Ausrichtung, schreibt Hubala, und charakterisiert ihn damit als bloße Bühne für den Gebäudeauftritt. Womit der Platz selbst Bedeutung hätte generieren können, tat er ab, wie etwa den „riss“, den Balthasar Neumann von einem Pflaster mit Wappen machen sollte. Die Gestaltung von Plätzen galt damals jedoch als unumgänglich. „Der Vorplatz darf nicht leer, nicht dürftig seyn“, dekretiert zum Beispiel der 1795 publizierte Teil der Oeconomischen Enzyklopädie von Johann Georg Krünitz. Die „angenehmste Bekleidung der Vorplätze“ sei grüner Rasen.
Diese Grundsätze sollten allerdings für Lustschlösser gelten. Residenzen waren meist Stadtschlösser vom älteren Typus der Vierflügelanlagen, die wie der Louvre in ihrer Geschlossenheit wehrhafte Züge bewahrten. Die offenen Dreiflügelanlagen, die in der Regel als Jagd- oder Lustschlösser auf dem Land konzipiert wurden, übernahmen wie Versailles zunehmend aber auch die Residenzfunktion. Dazu kamen Mischformen wie die Würzburger Residenz. „Sie ist“, so Georg Dehio, „Stadt- und Landschloß zugleich.“ Ihre „überzeugende Verschmelzung“ der beiden Bautypen begründe ihre besondere Stellung, schrieb der Würzburger Kunsthistoriker Stefan Kummer.
Trotz der „Verschmelzung“ von Funktion und Typus ist Rasen auf Vorplätzen dem Kunsthistoriker Ulrich Schütte zufolge eine Ausnahme. Er nennt Karlsruhe. Zu ergänzen wären Stuttgart, Bruchsal, Schleißheim – auch Münster. Dort wurde 2012 im Stadtmuseum in einer Ausstellung über das Schlossplatzensemble und in einer begleitenden Publikation eindrucksvoll dargelegt, dass Rasen von Anfang an geplant und in verschiedenen Varianten angelegt war. Die ab 1767 gebaute Dreiflügelanlage mit zentraler Zufahrt und Ehrenhof – beide gepflastert – weist als fürstbischöfliche Residenz und im Hinblick auf ihre Lage Ähnlichkeiten mit der Situation in Würzburg auf – nicht als Baukörper.

Nie systematisch untersucht


Als generelles Phänomen seien Schlossplätze „nie systematisch untersucht“ worden, sagt der Kunsthistoriker Matthias Müller; man wisse aber, dass der politisch-dynastische Status eines Hofs und das damit verbundene Hofprotokoll für den Zuschnitt eines Vorplatzes entscheidend gewesen sei – nicht die Schlossarchitektur. Deshalb waren „riesenhafte leere Vorplätze“ laut Müller „durchaus gewollt“. Je nach Anlass habe man sie temporär markiert, geschmückt, bebaut. Einen Eindruck von solchem Aufputz vermittelt eine 1731 entstandene Zeichnung von der Ankunft des neuen Würzburger Bischofs vor der Residenz, auf der vor dem fertigen Nordflügel eine Art Lustgarten angelegt ist und der Südflügel sich noch im Baustadium befindet.
Derartige Aufzüge hatte schon das Gutachten im Blick, das vor Baubeginn der Residenz für ihren späteren Standort warb. Nur dort, heißt es, „liget ein großer vorplatz, uf welchem alle fürnehme actiones beschehen können“. Die Ambitionen der Bauherren – der Schönborns – waren einkalkuliert, denn „der königlich vorplatz“ sei „nicht bald an einem ort in Teutschland zu finden“. Erst mit dem als genial gefeierten Schwenk der Residenz um etwa 30 Grad in die rückseitige Bastionsachse gewann der Platz jedoch seine Monumentalität, aber er prallte nun gewissermaßen gegen die Stadtmauer und verlor in der frontseitigen Achse die lange Perspektive, in der eine zentrale Anfahrt am Stadtkern vorbei mit Grünflächen hätte gestaltet werden können.
Auch die Lehre von der gewollten Leere scheint in Würzburg nicht ganz aufzugehen, denn auf dem Platz sollten Brunnen die essenzielle fürstliche Wasser- und Lebensspende symbolisieren. Wie bei vielen derartigen Projekten ging die Planung aber in Improvisationen über – in eine „Minimallösung“, meint der Kunsthistoriker Jarl Kremeier. Auf diesem Niveau dürfte auch das Pflaster liegen. Es scheint das zivilisatorische Minimum in den Raum gewesen zu sein, der für das denkbar höchste Protokoll bei einem Kaiserbesuch bereitgehalten und dabei auch als Abstellraum für Kutschen genutzt wurde – sonst lag er brach.
Für eher profane Motive bei der Platzgestaltung spricht auch der Plan, anstelle der zwei von Neumann skizzierten Brunnen zentral auf dem Platz eine Pferdetränke zu errichten. Sie sollte nicht ohne „Zier“ bleiben wie damals alle Bauwerke und vielleicht auch das Pflaster, in dem das Barockzeitalter die Spur seiner „unbezähmbaren Kurvenlust“ – so Sedlmaier und Pfister – hinterlassen haben könnte. Johann Prokop Mayer, der nach 1770 die Residenzgärten betreute, bezeugte in einer „fast schrillen Polemik“, so Stefan Kummer, gegen die „krumme Linie der Wege“ in englischen Gärten sogar eine weitere Schönheitslinie. Solche Linien im Pflaster sind auf einen Foto des bayerischen Königs Ludwig III. zu sehen, als er 1914 auf dem Residenzplatz eine Ehrenfront abschritt. Diese Kurven wurden wie die Pflasterzungen vor den Einfahrten und die Antrittslinien für die Garde nachgebildet.
Die Freunde der Würzburger Residenz wollten das Pflaster nur ausbessern lassen. „Neupflasterung“, warnten sie, „bedeutet Zerstörung des Originalzustandes“. Der Verein führt die Bestrebungen fort, die Authentizität des Platzes zu erhalten. Dazu gehörte stets die Rekonstruktion des Ehrenhofgitters, die Beseitigung des Frankoniabrunnens und der Kampf gegen das „Gerümpel des ruhenden Verkehrs“, so Hubala. In dem jahrzehntelangen Kleinstkrieg um mehr oder weniger Parkplätze ist auch die Lösung von Otto Mayer erprobt worden, der als Leiter des Staatlichen Bauamts in Würzburg 1962 eine An- und Abfahrt für Autobusse zum Ehrenhof anlegen ließ und die Parkplätze stark begrenzte.

Kulissenartig überbaut


In Mayers „Umfahrt“ berühren sich die zwei Haltungen, die nach den politischen und semantischen Umbrüchen um 1800 gegenüber dem funktionslos und fremd gewordenen Platz eingenommen wurden. Man versuchte, ihm zu geben, was ihm vermeintlich fehlte, etwa eine Auffahrt oder ihm zu nehmen, womit er angeblich entwürdigt worden war. Letztlich liefen die Kämpfe darauf hinaus, die Leere zu füllen oder zu bewahren; den Platz zu beleben oder als reinen Erlebnisraum stillzulegen. Von diesen beiden Seiten sieht sich auch Gerhard Weiler, der Schlossverwalter, noch in die Zange genommen. Er ist deshalb nicht unglücklich darüber, mit dem behutsamen Parkplatzbetrieb – das mittlere Drittel bleibt von Autos frei – die nie versiegenden Verbesserungs- und Nutzungsphantasien abwehren zu können.
Zuletzt hatte der ehemalige Dombaumeister Hans Schädel in Aussicht gestellt, aus dem Residenzplatz sei „einer der schönsten Festplätze Europas“ zu machen. Dazu sollte er wie etwa der Vorplatz vor dem Dom mit hellen und dunklen Steinen gepflastert werden, „um dem Platz einen Maßstab zu geben“, so Schädel. In diesem Argument regt sich die Intuition, die schon frühe Fotografien aufzurufen scheinen: dass der strukturlose Platz zerfließt – man wusste nie, wo man ihn befahren und betreten sollte – und zur Gestaltung auffordert. Eingelöst wurde diese Option allerdings nur einmal in der Perversion aller gestalterischen Aspekte, als er 1944 mit Wegen und gartenähnlichen Anlagen kulissenartig überbaut wurde, um ihn für die Luftaufklärung unsichtbar machen.
Von weiteren Gestaltungsversuchen gibt es nur spärliche Informationen. Es ist nicht bekannt, ob das innere Karree im Zusammenhang mit dem 1803 von Johann Andreas Gärtner entworfenen Plan eines „neu zu errichtenden Paradeplatzes“ auf dem Residenzplatz stand; und man wird vielleicht niemals wissen, was den Würzburger Verleger Thomas Memminger bewogen haben könnte, den Vorplatz als Vorgarten zu phantasieren: „Es muß ein bezaubernder Anblick gewesen sein“, schwärmte er 1911 in einem in der Stadt weitverbreiteten Buch, „wenn vor den beiden stolzen Schloßflügeln inmitten grüner Rasenflächen zwei Fontänen plätscherten.“
Memminger hatte die Anlagen angeblich „auf alten Kupferstichen“ gesehen – sonst anscheinend niemand. Allerdings könnte der gepflasterte Platz ihm auch von dem Traum erzählt haben, ein Garten zu sein. Memminger glaubte jedenfalls, dass „die Steine reden“. (Helmut Klemm) (Kupferstich der Residenz mit dem unvollständig gepflasterten Platz - Foto: Mainfränkisches Museum Würzburg - das augenscheinlich älteste Pflaster liegt in einem schmalen Streifen vor den beiden Gebäudeflügeln; Kurven im Pflaster - Fotos: Klemm)

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