Bauen

Helmut Schütz und Heinrich Schroeter (v.l.) im Gespräch in der Obersten Baubehörde. (Foto: Sonja Amtmann)

18.09.2015

"Wir sprechen die gleiche Sprache"

Im Gespräch mit dem Chef der Obersten Baubehörde, Helmut Schütz, und dem Präsidenten der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau, Heinrich Schroeter

Vor über einem Jahr wurde Helmut Schütz als Nachfolger von Josef Poxleitner Leiter der Obersten Baubehörde (OBB). Die Bayerische Staatszeitung sprach mit Schütz und dem Präsidenten der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau, Heinrich Schroeter, über das Verhältnis OBB – Kammer, Baukultur, den Bologna-Prozess und das neue Trainee- programm der Kammer.
BSZ Bayern gilt als vorbildhaft und innovativ in vielen Bereichen des Bauens. Herr Schütz, welchen Beitrag leistet hierzu die OBB und wie meistert die Oberste Baubehörde die Balance zwischen Pragmatismus und Vision?
Schütz Das ist in der Tat eine Gratwanderung, da wir auf den Vorwurf der Politik, dass wir als Bauverwaltung häufig zu teuer bauen, reagieren müssen. Ich meine, es muss immer ein angemessener Standard sein. Dabei ist es klar, dass man für den Bau einer Fahrzeugunterstellhalle für eine Autobahndirektion nicht den gleichen architektonischen Materialstandard anwenden muss, wie wenn man ein neues Museum baut. Das erfordert eine ständige Neujustierung unseres Tuns. Allerdings möchte ich darauf hinweisen, dass Innovationen auch vom Staat angestoßen werden müssen. Natürlich ist die erstmalige Anwendung eines neuen Bauverfahrens oder von Bauweisen mit höheren Risiken verbunden. BSZ Welche Risiken sind das?
Schütz Nicht Risiken, dass das Gebäude einstürzt, aber Risiken, dass der Bau mehr kostet, es Nachbesserungen geben muss oder dass er eine kürzere Lebensdauer hat. Da hat natürlich ein Staat finanziell mehr Potenzial, einmal so etwas zu wagen und damit auch Innovationen zu befördern als ein privater Investor. Man muss sich aber schon dessen bewusst sein, dass man, wenn man was Neues ausprobiert, damit Neuland betritt und damit entsprechend umgeht.
Ich bin schon der Meinung, dass es der Staat den Fachleuten ermöglichen muss, neue Bauweisen und Verfahren auszutesten. Dafür gibt es bei der OBB das rechtliche Instrument der Zustimmung im Einzelfall. Was noch nicht in den Baunormen verankert ist, zum Beispiel in weiten Teilen die tragende Verglasung, das kann durch eine bauaufsichtliche Zustimmung im Einzelfall genehmigt werden. Diese Zustimmung wird von der OBB auf Antrag erteilt. Dazu schalten wir Prüfinstitute, Ingenieurbüros und Universitäten zur Begleitung mit ein. BSZ Herr Schroeter, wie sehen Sie die Rolle der Bauingenieure als Motor von Entwicklungen und woran machen Sie diese fest?
Schroeter Um an dem von Herrn Schütz Gesagten anzuknüpfen: Viele Innovationen sieht man gar nicht. Heute baut man zum Beispiel mit Planziegeln, die verklebt werden. Das ist so eine typische Innovation, die eine höhere Produktivität bewirkt, das heißt, der einzelne Arbeiter kriegt viel mehr Quadratmeter Mauerwerk in der gleichen Zeit hin. Ferner ist eine wesentlich bessere Wärmedämmung möglich, weil diese Steine nicht Voll-, sondern Hohlziegel sind, in denen Luft als Isolator ist. Damit ist der Wärmedurchgangswiderstand höher, das ist wiederum gut für die Energiewende. BSZ Das Problem von Ingenieuren ist es also, dass Innovationen häufig gar nicht als solche wahrgenommen werden?
Schroeter Genau so ist es. Wenn wir gut sind, dann machen wir etwas, das niemand sieht. Das Einzige was man immer sieht, ist, wenn uns doch mal ein Fahler unterläuft. Ingenieure suchen immer nach besseren Lösungen. Das Bewährte ist in Ordnung, aber die Frage ist, kann ich höhere Anforderungen erfüllen? Natürlich kann ich eine 60-Zentimeter-Vollziegelwand bauen und dann noch Styropor außen vorkleben. Ich kann aber auch eine 36-Zentimeter-Wand mit modernen Ziegeln fertigen. Dadurch habe ich eine wesentlich größere Nutzfläche innen. So funktioniert das Denken von Ingenieuren: Wir haben etwas Bestehendes, wie können wir es verbessern? In Richtung auf Produktivität, höhere Anforderungen, in Richtung manchmal auch auf die Verwirklichung von Ideen, die bisher nicht verwirklichbar waren. BSZ Sprechen wir hier speziell von Bauingenieuren?
Schroeter Ich spreche lieber von Ingenieuren im Bauwesen. Das kann ein Chemiker sein, der eine Betonrezeptur entwickelt, das kann ein Metallurg sein, der eine Stahllegierung entwickelt, das kann auch ein Physiker sein, der sich mit der Temperaturausdehnung oder Feuerfestigkeit von Materialien beschäftigt. Der konstruktive Ingenieur muss dann das alles im Kopf haben, damit spielen, um ein neues Produkt oder ein neues Bauwerk entwickeln zu können. BSZ Und welche Rolle spielt hierbei die OBB?
Schroeter Die Oberste Baubehörde ermöglicht mit der Zustimmung im Einzelfall, dass man kreativ sein kann, gleichzeitig aber auch den Ansprüchen an die Qualität genügt. BSZ Die Aufgaben in der Planung haben sich in den vergangenen Jahren stark geändert. Welche aktuellen Herausforderungen – Stichworte: Nachhaltigkeit, demografischer Wandel – sehen Sie und welche gemeinsamen Projekte führen OBB und Bayerische Ingenieurekammer-Bau durch?
Schütz Wir entsenden in die jeweiligen Arbeitskreise und Ausschüsse des anderen Mitglieder, sodass wir immer im Austausch und immer auf gleichem Kenntnis- und Wissenstand sind. Es findet ein reger Austausch statt. BSZ Wie sieht die generelle Zusammenarbeit zwischen Oberster Baubehörde und Ingenieurekammer-Bau aus?
Schroeter Das fängt schon an der Spitze an. Wenn es ein Thema gibt, das uns beide beschäftigt, dann reden wir miteinander. Ein Ministerialdirektor ist zwar ein ganz hohes Tier, aber für den Kammerpräsidenten hat er eigentlich immer Zeit. Der alte wie der neue OBB-Leiter, zumal beide ja Ingenieure sind. Ingenieure haben auch eine gewisse Art von Kollegialität und von gemeinsamem Denken. Das führt zusammen, auf vielen Ebenen. So haben wir zum Beispiel eine Arbeitsgruppe, die sich mit der Verdingungsordnung für Freiberufliche Leistungen (VOF) beschäftigt, die ja immer wieder viele Schwierigkeiten macht, weil sie auch zu kompliziert angewendet wird. In dieser Arbeitsgruppe befinden sich selbstverständlich unter anderem auch zwei OBB-Mitarbeiter aus der Vertragsabteilung. BSZ Was macht diese Arbeitsgruppe?
Schroeter Wir erstellen eine Handreichung speziell für kleine Gemeinden, damit diese wissen, wie gehe ich an ein Verfahren einer europaweiten Ausschreibung heran. Ziel ist auch, dass sich die Kommunen nicht schon von Anfang an auf die Dienstleistung eines so genannten VOF-Beraters verlassen müssen, ohne zu wissen, was tut der eigentlich. Das hat zwar weniger mit Technik als mit der Durchführung des Bauens zu tun, aber wir sind daran interessiert, dass regionale Büros eine Chance bekommen. Der Gemeindetag ist daran interessiert, dass die Verfahren einfach und transparent werden für den einzelnen Gemeinderat, die OBB ist daran interessiert, dass es trotzdem rechtlich korrekt und sauber geschieht. Das ist ganz typisch für diese Zusammenarbeit. BSZ Ein Vorteil einer Großen Kammer?
Schroeter Ja. Denn in einer Großen Kammer sitzen nicht nur die Freiberufler, wie es am Anfang vor 25 Jahren mal angedacht war, sondern auch die Angestellten und Beamten. Diese Mitwirkung aller hat sich als segensreich erwiesen.
Schütz Rein formal ist das Innenministerium Aufsichtsbehörde der Ingenieurekammer-Bau. Nur bei groben Verstößen müsste das Ministerium eingreifen, was jedoch noch nie der Fall war. Die Zusammenarbeit ist von daher gesehen absolut partnerschaftlich und mehr als kollegial, zumal wir beide seit vielen Jahren befreundet sind und uns regelmäßig austauschen. BSZ Was heißt für Sie beide Baukultur?
Schroeter Baukultur ist nicht nur das, was sich Feuilleton-Redakteure darunter vorstellen, nämlich schöne Architektur, sondern Baukultur ist Bauen für Menschen, dass Menschen mit der gebauten Umwelt gut leben können. Dazu gehört, dass Plätze zum Aufenthalt geeignet sind und nicht nur, wie zum Beispiel der Plärrer in Nürnberg, eine Verkehrswüste sind. Dazu gehört auch, dass Städte zum zu Fuß gehen einladen. Dass selbstverständlich schöne Gebäude auch dazu gehören, gute Architektur, versteht sich von selbst. Der Architekt hat jedoch die Verantwortung, etwas zu schaffen, was auch erträglich ist. Wenn man Architektur nur dazu benutzt, um aufzufallen, dann sind das meiner Ansicht nach nur begehbare Kunstwerke, aber das ist keine Baukultur mehr.
Schütz Unter Baukultur verstehe ich nicht nur ein konkretes Ergebnis, sondern auch den gesamten Planungs- und Bauprozess. Dazu gehören Termin- und Kostentreue sowie ein guter Umgang mit den Mitarbeitern und allen anderen Handelnden am Bau. Die Fußballstadien, die gerade in Katar für die Fußball-WM 2022 gebaut werden, oder auch der Transrapid in China, wo Anwohner zwangsweise umgesiedelt werden, das sind für mich ganz klare Negativbeispiele. Und noch etwas gehört für mich zur Baukultur: Jedem Bürger muss der Rechtsweg offenstehen. Bauvorhaben über die Köpfe der Bürger hinweg – das ist kein akzeptabler Weg. BSZ Herr Schroeter, welches Projekt beziehungsweise welche Initiative der Staatsbauverwaltung hat den Ingenieur in Ihnen besonders überzeugt?
Schroeter Da tu ich mich mit konkreten Projekten wirklich hart. Ich nenne ein paar Beispiele aus meiner Berufspraxis: Da waren kleine Projekte unheimlich spannend wie zum Beispiel die ständige Sanierung der Burgruine Leuchtenberg. Von den Initiativen gefällt mir mit am Besten die Initiative zum demografischen Wandel.
Die OBB greift das Problem des demografischen Wandels, über das zwar alle klagen, aber nichts tun, auf und zeigt Beispiele auf, wie man zum Beispiel eine Region als lebenswertes Gebiet auch für junge Menschen am Leben erhalten kann. Das hat mich ungeheuer beeindruckt. Das ist, was der frühere Chef der Obersten Baubehörde, Josef Poxleitner, in einem Interview einmal gesagt hat: Die Aufgabe des Beamten ist es, über die Wahlperiode der Politiker hinauszudenken und langfristig Strukturen zu schaffen. Dieses langfristige Denken, das in der Führung der Obersten Baubehörde seit ich sie kenne üblich ist, bewundere ich. BSZ Wie sehen Sie, Herr Schütz, im Gegenzug die Ingenieurekammer-Bau?
Schütz Die Kammer ist ein durch und durch solider und integer aufgestellter Laden (lacht!). Für mich war meine Zeit im Vorstand eine extrem lehrreiche Zeit. Man hat die Sorgen, Nöte und Sichtweisen der unterschiedlichsten Sparten kennengelernt sowie sich ganz offen ausgetauscht. BSZ Bayern ist ein starker Wirtschaftsstandort. Wie sieht es hinsichtlich Bauingenieurexport aus? Was machen Ihre Häuser, um Ingenieurleistungen aus Bayern im Ausland zu vermarkten?
Schroeter Die Kammer hat einen Arbeitskreis, der sich mit diesem Thema beschäftigt. Sie hat früher schon mal wesentlich stärker versucht, das zu puschen. Es hängt im Wesentlichen aber immer an Personen. Export von Ingenieurleistungen hängt von Wissen und Erfahrung ab, vor allem aber von einem langen Atem und guten Netzwerken mit Kollegen. Selber als Ingenieur ins Ausland zu gehen ist für deutsche Ingenieurbüros wahnsinnig schwierig, da dort anders geplant wird wie bei uns. Im Ausland wird eine Planung vollkommen fertiggemacht und dann geht es an eine Firma. Man braucht daher entweder die Verbindung zu Baufirmen oder zu deutschen Firmen, die im Ausland bauen.
Schütz Für die OBB ist es keine institutionalisierte Aufgabe, Ingenieurwissen zu exportieren. Wenn wir gebeten werden, sind wir im Einzelfall schon mal als Türöffner unterwegs. BSZ Herr Schütz, die Ingenieurekammer-Bau sieht den Bologna-Prozess sehr kritisch, da das Niveau und die Qualität damit teils dramatisch gesunken ist. Wie stehen Sie dazu?
Schütz Man muss unterscheiden, welche Erwartungen man in einen Absolventen setzt beziehungsweise wofür man ihn einsetzen will. Die Bauverwaltung sucht in erster Linie den Generalisten, der im Gemeinderat ein Projekt vorstellen und erklären, der beim Verwaltungsgerichtshof die Notwendigkeit des Projekts erläutern kann, der die Beteiligten am Bau an einen Tisch bringt und Vertragsverhandlungen führen kann.
Ich meine, eine grundständige Ausbildung ist sehr wichtig, denn im Laufe des Berufslebens wechselt man vielleicht auch mal in einen Bereich, von dem man als Student gar nicht dachte, dass man dort landen könnte. Wer dann zu stark spezialisiert ist, bekommt Probleme. Das wäre so, als ob man einen Anwalt nur in Erbrecht ausbildet und dann muss er plötzlich Verkehrsrecht machen. Oder nehmen wir die Mediziner. Die machen auch erst nach einer grundlegenden Ausbildung ihren Facharzt.
Schroeter Die Ausbildung in der Spitze ist besser geworden. Ein Masterabsolvent der TU ist meines Wissens etwas besser als früher ein Diplom-Ingenieur, weil er nämlich etwas Wesentliches gelernt hat, er kann seine Ergebnisse präsentieren. Auch das fachübergreifende Denken ist besser geworden. Aber unterhalb dieser Spitze gibt es eine große Masse, gerade Bachelor-Absolventen, die meines Erachtens in geradezu sträflicher Weise in Sackgassen gelockt werden. Ich kann mich Herrn Schütz nur anschließen, man weiß doch nicht zu Beginn eines Studiums, wo man mal landen wird. Eine so enge Spezialisierung zu machen ist ein Verbrechen an den jungen Leuten. Heute gibt es 71 verschieden Bachelor-Studiengänge im Bauwesen, das kann es nicht sein. Unsere Kritik gilt der Atomisierung in Spezialisten. BSZ Herr Schütz, Sie als Leiter der OBB sind auch gelernter Bauingenieur. Segen oder Fluch im Miteinander Kammer – Oberste Baubehörde?
Schütz Absoluter Segen, weil wir auch die gleiche Sprache sprechen.
Schroeter Mit einem Juristen an der Spitze der OBB täten wir uns wahrscheinlich härter. Denn ein Gespräch mit Juristen ist schwieriger. Wir Ingenieure müssen uns an die Naturgesetze halten. Wenn wir dagegen verstoßen, bestraft uns die Natur. Das heißt, bei uns gibt es richtig oder falsch. Ein Jurist beschäftigt sich mit der Auslegung von Gesetzen, die Menschen gemacht haben, die interpretationsfähig sind. Das prägt den Menschen, sein Denken und Verhalten. Und deswegen tun sich Ingenieure und Juristen manchmal schwerer miteinander. Daher ist es, wenn die Leitung die selbe Sprache spricht und auch die gleiche Denkweise hat, natürlich einfacher als mit Juristen, die man erst überzeugen muss. BSZ Herr Schütz, was denken Sie über das neue Traineeprogramm der Kammer, das am 15. Oktober startet?
Schütz Wir in der Obersten Baubehörde sehen das absolut positiv. Inhaltlich gibt es Ähnlichkeiten zur 2. Staatsprüfung, die unsere Beamten durchlaufen. Aus meiner Sicht hat die Kammer mit dem Traineeprogramm eine Marktlücke geschlossen. Eine solche Maßnahme war überfällig. Mich freut’s riesig, dass es dazu gekommen ist. Und ich hoffe, dass ausreichend viele Büros davon Gebrauch machen und ihre Leute hinschicken. (Interview: Friedrich H. Hettler)

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