Bauen

Tradition und Fortschritt in einem, das Allgäuhaus in Oberstdorf. (Foto: Ulrich Probst)

10.01.2020

Wo aus Tradition Fortschritt wird

Das Architekturbüro Noichl & Blüml aus Oberstdorf: Gute Ideen auch mit einfachen Formen umsetzen

Nichts im Leben lernt man umsonst: Auf der Spurensuche nach dem Architekturbüro Noichl & Blüml in Oberstdorf musste der Autor sich seiner Pfadfinderkenntnisse erinnern, um das geplante Gespräch doch noch halbwegs pünktlich in der Tobl führen zu können; Tobl, so nennt sich die Bachschlucht, wo das mittlerweile preisgekrönte Wohn- und Bürohaus steht, in dem das Interview geplant war.
Erst mithilfe lauter Klopfgeräusche an einem der waagerecht geschlitzten Bürofenster im zweiten oder dritten Stock half ein Büromitarbeiter, den Gesprächsort erreichbar zu machen. Mit zunehmender Erwartung stieg auch die Spannung. So klar und stringent, wie ihr vielfach preisgekrönter Baustil ist – wie sich später herausstellte –, war auch ihre persönliche Präsentation: schnörkellos, direkt und ohne Redundanzen.

Und dann dieser überwältigende Talblick. Nach Norden, worauf die Eigentümer Noichl & Blüml offensichtlich noch immer stolz sind, weil ihnen vor Baubeginn alle abgeraten hatten – Makler eingeschlossen. Tatsächlich krallt sich imposant ein leicht etagenversetztes Büro- und Wohnhaus am Hang fest. 200 heimische Weißtannen lieferten die rund 5000 nötigen Holzbohlen, die dieser Immobilie ihren Charme verleihen.

Als Passivhaus angelegt

Ob Anbau, Umbau oder Denkmalsanierung, ob Einfamilienhaus, Mehrfamilienhaus oder Ingenieurbauten, Noichl & Blüml sind zum Markenzeichen alpiner Baukunst geworden. Menschen auf 2000 Meter Höhe zu transportiren und ihnen vor spektakulärer Bergkulisse ein Wohlfühlgefühl zu vermitteln, fordert nicht nur Konstrukteure und Statiker zu Höchstleistungen heraus, nein, auch Architekten sind gefordert, ihre Vorstellungen in die Landschaft hinein zu „komponieren“.

Was Klaus Noichl schon 2013 bei der Fiderepasshütte westlich von Oberstdorf als Bauherr für den Alpenverein – zusammen mit dem Münchner Berufskollegen Rainer Schmidt – gelungen war, gelang ihm auch bei der Kanzelwand-Kabinenbahn (Kleinwalsertal) und ihrem neuen Anbau aus dem Jahr 2017.
Dass Tradition und Fortschritt sich auch in der Architektur nicht ausschließen, sondern, im Gegenteil, sich gegenseitig ergänzen und harmonieren können, zeigt das für eine Familie konzipierte Allgäuhaus in Oberstdorf-Jauchen. Statt Satteldach und Sprossenfenster ein freier Blick in die Landschaft, unter Verwendung von Massivholz und großen Panorama-Glasflächen, das Ganze natürlich energetisch als Passivhaus angelegt; es gewann 2015 beim Florian-Aicher-Wettbewerb den 1. Preis.

Bei Umbauten sind Architekten im alpinen Ambiente nochmal zusätzlich gefordert, weil sie die Eigenheiten und den Charakter der Region einerseits berücksichtigen müssen, andererseits aber auch gehalten sind, Baumaterialien aus der Region zu verwenden. Beim Bau der Zentralen Tourismusinformation in Hirschegg-Mittelberg, Kleinwalsertal, 2003 erbaut, wurde erstmals seit dem Mittelalter wieder Steinmaterial aus der Region innen und außen verwendet; die Glasflächen außen spiegeln obendrein die Bergsilhouette wider.

Kommt dann noch der Denkmalschutz ins Spiel, wie bei der Sanierung der Kreuzkirche in Hirschegg, ursprünglich vom Münchner Architekten Gustav Gsaenger erbaut, der auch die Münchner Matthäuskirche am Sendlinger Tor plante, dann ist Kreativität und Einfühlungsvermögen besonders gefragt. In Zusammenarbeit mit Georg Mack vom österreichischen Bundesdenkmalamt, Abteilung Vorarlberg, konnte diese Aufgabe von Noichl & Blüml schon 2008 zur hohen Zufriedenheit aller Beteiligten bewältigt werden.

Gut vernetzt

Nicht nur sakrale und denkmalgeschütze Bauten hatten Noichl & Blüml bisher zum Umbau auf der Agenda, sondern auch „Alltagsobjekte“ wie etwa den Feneberg-Markt in Rietzlern, einem Nachbarort von Oberstdorf, ebenfalls auf der österreichischen Seite. Der Umbau „mit leichter Hand“ dürfte dem Bauherrn Peter Feneberg, Supermarkt-Unternehmer mit 76 Filialen, 3200 Mitarbeitern und Sitz in Kempten, besonders gefallen haben.

Wer solche Projekte wie die beispielhaft genannten erfolgreich zu Ende führt, muss gut vernetzt sein, die Entscheider und guten Firmen vor Ort kennen und sich, durch zahlreich gewonnene Wettbewerbspreise, auch bestätigt fühlen. Wenn man dann auch noch 2015 den Thomas-Wechs-Architekturpreis für Schwaben erhalten hat, sind offensichtlich keine Wünsche mehr offen. Oder doch?

Während Thomas Wechs noch mit zwei bis drei Mitarbeitern an über 60 Wettbewerben teilnahm und 30 Kirchen umbaute oder erweiterte, und selbst in der Neuzeit ein kleines Architekturbüro namens Meinhard von Gerkan (heute jedoch zur riesigen gmp-Firmengruppe mutiert) 1975 noch den Berliner Flughafen Tegel und von 1991 bis 1995 den Berliner Hauptbahnhof neu bauen durfte, werden, so Noichl und Blüml unisono, heuzutage Referenzprojekte verlangt. Das sei schon deswegen problematisch, weil sie als Architekturbüro in Oberstdorf auch Aufträge für Kindergärten, Schulen, Schwimmbäder, aber auch Sanierungen und Modernisierungen großer öffentlicher Bauten zu übernehmen in der Lage sind, um weiterhin „gute Ideen auch mit einfachen Formen zu erzeugen“; vorzugsweise natürlich in der eigenen Region.
(Ulrich Probst)

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