Beruf & Karriere

Blick in den Münchner Justizpalast, wo auch Petra Morsbachs gleichnamiger Roman spielt. (Foto: dpa/Sven Hoppe)

13.09.2019

Den Menschen hinter den Paragraphen sehen

Law-&-Literature-Seminare sollen Juristen helfen, einen neuen Blick auf Recht und Verfassung zu bekommen

Juristen haben viel mit Menschen zu tun. Daher kann zur Urteilsbildung praktische Lebenserfahrung nicht schaden. Vielen fehlt aber vor lauter Paragraphen der sogenannte Blick über den Tellerrand. Das wollen Law-&-Literature-Seminare in Bayern ändern.

„Andauernd richtest du über andere, aber niemand richtet über dich. Kannst du da normal bleiben?“ Die Schriftstellerin Petra Morsbach liest in der Universität München aus ihrem Roman Justizpalast. Zehn Jahre hat die Wahl-Starnbergerin an dem Buch gearbeitet, das einen schonungslosen Blick hinter die Kulissen der Justiz wirft. Entsprechend viele Fragen hatten die angehenden Juristen nach der Lesung. „Spielt Einsamkeit in der Justiz eine große Rolle?“, will eine Studentin wissen. „Fördert die Justiz charakterliche Defizite?“, fragt ein Student. „Und sind die Richtertypen im Buch realistisch?“, hakt eine andere Studentin nach. Vereinfacht gesagt beantwortet Morsbach alle Fragen mit „Ja“.

Die Lesung war der Abschluss des Seminars „Literarisches Verfassungsrecht“. Law & Literature entstand Anfang der 70er-Jahre als Gegenbewegung zur Ökonomisierung des Rechts. Dabei ging es nicht nur darum, Literatur mit den Augen eines Juristen zu lesen, sondern auch zu ergründen, wie Normen entstehen und Recht in der Gesellschaft wirkt. In den USA bieten rund 100 Law Schools Kurse in Law & Literature an – darunter Universitäten wie Harvard, Yale, Stanford und Princeton. In Deutschland hingegen gibt es bisher kaum universitäre Angebote. Das wollten die Münchner Professoren Birgit Schmidt am Busch und Jens Kersten ändern.

Die Idee zu Law & Literature kam den Juraprofessoren, als sie über die Frage nachdachten, welche guten politischen Romane es gibt, die das Verfassungsrecht in Deutschland reflektieren. „Mir fiel spontan nur Lion Feuchtwangers Erfolg und Heinrich Bölls Frauen vor Flusslandschaft ein“, erinnert sich Kersten. Doch Schmidt am Busch war sich sicher: Da gibt es noch mehr. Also begannen sie, eine Literaturliste zu erstellen. Darauf landeten unter anderem Yassin Musharbashs Radikal, Konstantin Richters Die Kanzlerin oder Lukas Hammersteins Video.

Dann haben Schmidt am Busch und Kersten beschlossen, Studierende durch das Grundlagenseminar „Literarisches Verfassungsrecht“ näher an Law & Literature heranzubringen. Und Autor Hammerstein kam, um seinen Roman mit den Studierenden zu diskutieren. Die Teilnehmer sollten vergleichen, wie Recht dort dargestellt wird und wie nah das an der Rechtswirklichkeit ist. „Dadurch bekommen die Teilnehmer nicht nur einen anderen Blick auf Recht und Verfassung, sondern können auch einen sensibleren oder radikaleren Blick entwickeln“, erklärt Kersten. Dieser würde den auf Ausgleich und Abwägung bedachten Juristen oft fehlen.

Themen: Mensch-Tier-Hybride, künstliche Intelligenz und Virtual Reality

In Zukunft soll es weitere Law-&-Literature-Seminare geben. Auch die Universität Regensburg bietet solche an. In München soll es aber künftig um spezifischere Fragen gehen, zum Beispiel zur Leihmutterschaft oder zum Kindeswohl. Denn Richterinnen und Richter müssen regelmäßig darüber entscheiden, zu welchem Elternteil das Kind kommt. „Das sind dann Fragen ganz konkret am Fall“, erläutert Kersten. Aber auch Literatur zu Mensch-Tier-Hybriden, künstlicher Intelligenz und Virtual Reality wird Thema sein. Dadurch werde auch die anschließende Diskussion intensiver. Das helfe den Studierenden zu erkennen, welcher juristische „Typ“ sie sind. „Wer auf Ausgleich bedacht ist, sollte eher nicht zur Staatsanwaltschaft“, sagt Kersten. „Wer sich schnell eine Meinung bildet, sollte besser Anwalt und nicht Richter werden.“

Zum Schluss der Lesung will eine Studentin noch wissen, ob Morsbach Reaktionen von Juristen auf Justizpalast bekommen hat. „Viele“, sagt die Autorin und lacht. Gute, in Form vieler Lesungs-Einladungen an Universitäten und Gerichten. „Aber auch harsche.“ So schrieb Ex-Bundesrichter Thomas Fischer, Morsbach verstehe die juristische Sprache nicht. „Die meisten Briefe begannen mit: ‚Ich will ja nicht kleinlich sein, aber …’“, erzählt sie. So habe ein Leser darauf hingewiesen, dass es „Schadensersatz“ mit „s“ und nicht „Schadenersatz“ heißen müsse. Der Streit um die Verwendung des „Fugen-s“ spaltet die juristische Zunft. Morsbach nimmt es zu Recht mit Humor: „Diese Akkuratesse hat mir unglaublich gefallen.“ (David Lohmann)

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