Beruf & Karriere

Psychische Erkrankungen gelten als häufigste Ursache für Frühverrentungen. (Foto: dpa)

21.09.2018

Erschöpft, schlaflos, ausgebrannt

Die Fehlzeiten durch arbeitsbedingten Stress nehmen zu – trotzdem unternimmt man zu wenig, um das zu ändern

Der aktuelle Fehlzeiten-Report, der gemeinsam vom Wissenschaftlichen Institut der AOK, der Universität Bielefeld und der Beuth Hochschule für Technik Berlin herausgegeben wird, bringt alarmierende Zahlen. Wo es aus Sicht der Beschäftigten am Sinn der Arbeit mangelt, breiten sich seelische und körperliche Symptome besonders häufig aus.

Von den rund 2000 Beschäftigten, die im Rahmen der diesjährigen Studie bundesweit befragt wurden, leidet fast die Hälfte nach eigenen Angaben immer wieder unter schweren Erschöpfungssymptomen. Dazu kommen bei vielen Befragten Schlafstörungen und körperliche Beschwerden wie Rücken- oder Gelenkbeschwerden und Kopfschmerzen. Rund 50 Prozent der Teilnehmenden führen dies direkt auf den Job zurück. Verbreitet ist der Studie zufolge gleichzeitig der sogenannte Präsentismus. Experten bezeichnen damit die Anwesenheit am Arbeitsplatz entgegen dem ärztlichen Rat – auf immerhin 20 Prozent traf dies zu. Einige gehen also noch krank zur Arbeit, obwohl sie der Meinung sind, dass die Umstände am Arbeitsplatz wahrscheinlich ihre Beschwerden auslösen.

In Zeiten von steter Verdichtung und ständig neuen inhaltlichen Anforderungen könnte man glauben, dass die schiere Masse an Arbeit für viele kaum mehr erträglich ist. Gesundheitswissenschaftler wie Bernhard Badura von der Universität Bielefeld, der an dem aktuellen Fehlzeiten-Report beteiligt war, bringen eher die persönliche Bewertung in Zusammenhang mit der gesundheitlichen Situation: Menschen, die ihre Arbeit als „sinnhaft“ erleben, neigen deutlich weniger zu den genannten Symptomen, selbst wenn sie genau wie andere unter stressigen Arbeitsbedingungen leiden.

Was individuell Sinn macht, hängt wiederum weniger von der Art der Tätigkeit ab, als vom Maß an Anerkennung und Wertschätzung, das seitens Vorgesetzten und Kollegen wahrgenommen wird. Die Rückmeldung von außen ist für die meisten Beschäftigten ein wesentlicher Gradmesser dafür, wie sie die Qualität und den Wert ihrer Arbeit einschätzen. Ein hoher gesellschaftlicher Nutzen, wie beispielsweise bei sozialen Tätigkeiten oder der Feuerwehr, impliziert die Sinnhaftigkeit per se.

Dennoch können auch hier psychische Belastungen durch die Tätigkeit oder das Umfeld verursacht werden. Kaum verwunderlich: Das soziale Klima innerhalb der Arbeitsstelle gilt als wesentlichste Quelle für die eigene Bewertung der Arbeitsumstände. Fühlt man sich gut aufgehoben, steigt die Widerstandsfähigkeit deutlich – und umgekehrt. Parallel dazu ist es wichtig, dass Ziele transparent, erreichbar und mit den persönlichen Ressourcen vereinbar erscheinen. Dies gilt für die persönlichen Arbeitsziele genauso wie für die „großen“ Ziele des Unternehmens oder der Organisation.

Permanente Enttäuschung kann ein Krankmacher sein

Alles Dinge, die eigentlich selbstverständlich erscheinen, an denen es dennoch oftmals gravierend mangelt. Ein ständiges „Vor und zurück“ auf der Führungsebene macht es Fachkräften zunehmend schwer, die Richtung zu erkennen und für sinnvoll zu erachten. Getrieben durch Digitalisierung und Kostendruck herrscht vielerorts hektischer Aktionismus, dem ein beständiger Kurs geopfert wird. Das Schlagwort „Agilität“ dient zudem nicht selten dazu, die Anforderungen an die Beschäftigten in der Linie höher zu schrauben, ohne in der Führung die Voraussetzungen für das Gelingen zu schaffen und den Verantwortungsrahmen maßvoll auf die Teamebenen zu erweitern.

Die Lösung liegt sicher nicht auf Seiten der Führungskräfte allein. Organisationen brauchen auf allen Ebenen Mündigkeit, also die Fähigkeit zu Selbstbestimmung und Eigenverantwortung, um mit zunehmendem Druck von innen und außen besser umgehen zu können. Auf Seiten der Beschäftigten sollte es selbstverständlicher werden, sich und andere nach dem Sinn dessen zu fragen, was im Job gerade passiert. Fehlt eine schlüssige Antwort auf längere Sicht, müssen Konsequenzen folgen – möglichst bevor es zu den beschriebenen Krankheitssymptomen und damit einer Einschränkung der eigenen Handlungsfähigkeit kommt.

Führungskräfte brauchen immer weniger die inhaltliche „Chefbrille“, mit der Arbeitsweisen und der Weg zum Ziel distanziert betrachtet und beurteilt werden. Wer stattdessen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus einer verantwortungsvollen Position heraus konsequent den Rücken stärkt, trägt damit automatisch zur gesundheitlichen Prävention bei. Das gar nicht so neue Prinzip des „Förderns und Forderns“ macht in unsicheren Zeiten mehr denn je Sinn.

Dies bedeutet auch, dass Erwartungen möglichst klar kommuniziert und ausgehandelt werden, wenn es sein muss. Dass Probleme auf den Tisch kommen, statt den Beteiligten zu lange im Magen zu liegen. Und dass im gemeinsamen Austausch realistische Forderungen an Leistung und Ergebnisse abgesteckt werden, um Über- und Unterforderung möglichst wenig Raum zu lassen. Gesunder Menschenverstand und ehrliches Interesse helfen manchmal mehr, um ernsthafte Symptome zu vermeiden, als gut gemeinte Gesundheitsprogramme. (Frank Beck)

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