Beruf & Karriere

Frauen in Partnerschaften akzeptieren einen um bis zu 20 Prozent geringeren Stundenlohn als weibliche Singles. (Foto: dpa)

23.06.2017

"Frauen wählen freiwillig schlecht bezahlte Jobs"

Die Münchner Soziologin Katrin Auspurg über Lohnunterschiede, Rollenvorbilder und Gehaltstransparenz

Gute Karrierechancen, ein hohes Gehalt: Männer und Frauen starten mit denselben Wünschen ins Berufsleben. Warum Frauen dennoch im Durchschnitt weniger verdienen und sogar Abstriche beim Gehalt in Kauf nehmen, untersucht die LMU-Soziologin Katrin Auspurg. BSZ: Frau Auspurg, Sie forschen über Diskriminierung, unter anderem den sogenannten Gender Pay Gap, wonach Frauen weniger verdienen als Männer – woran liegt das?
Katrin Auspurg: Der Stundenlohn von Frauen ist in Deutschland 23 Prozent niedriger als der von Männern, bei vergleichbareren Tätigkeiten sind es noch etwa zehn bis zwölf Prozent weniger. Das hat eine ganze Reihe von Ursachen. Zum Teil lässt sich die Lücke etwa durch Unterschiede in der Qualifikation, bei der Berufserfahrung und der Berufswahl erklären. Aber es verbleibt eine Lohnlücke, bei der auch Diskriminierung eine Rolle spielen könnte, wonach also gleiche Leistung unterschiedlich vergütet wird. Das ist schwierig festzustellen, da man nie ganz sicher sein kann, ob man wirklich alle möglichen Faktoren, die zu Produktivitätsunterschieden führen können, berücksichtigt hat. Zunehmend wird diskutiert, dass unterschiedliche Arbeitszeiten eine Rolle spielen. Insbesondere in den USA gehört dazu die Vergütung von Überstunden, die zum Beispiel in der IT-Branche seit der Jahrtausendwende überdurchschnittlich gut entlohnt werden und überwiegend von Männern geleistet werden. In Deutschland gibt es empirische Hinweise, dass geringere Arbeitszeiten mit niedrigeren Stundenlöhnen einhergehen.

BSZ: Sie haben in einer Umfragestudie untersucht, welche Rolle unter anderem der Umfang der Arbeitszeit für die Jobwahl Jobs spielt. Was kam heraus?
Auspurg: Generell gibt es wenig Unterschiede zwischen Männern und Frauen, vor allem, wenn sie alleinstehend sind: Beide sind an einem höheren Gehalt interessiert, an guten Karriereaussichten, einer unbefristeten Stelle und möglichst geringer Pendelzeit. Aber bei Frauen, die in Partnerschaft leben und bereits aktuell weniger verdienen als ihr Mann, zeigt sich, dass ihnen Teilzeitstellen wichtiger sind, sie weniger bereit sind, Überstunden zu machen, und sich stärker für Angebote der Kinderbetreuung interessieren. Dafür sind sie auch bereit, Abstriche beim Gehalt in Kauf zu nehmen. Für kürzere Arbeitszeiten akzeptieren sie einen um bis zu 20 Prozent geringeren Stundenlohn. Das spricht dafür, dass Frauen nicht per se weniger Gehalt wollen, sondern dass Restriktionen wie zeitliche Einschränkungen durch die Betreuung von Kindern vorgeben, wie viel Arbeit überhaupt möglich ist und welche Gehaltsunterschiede akzeptiert werden. Es sind eher Zweitverdienerinnen, die diese Zahlungsbereitschaft für Teilzeitkonditionen zeigen.

BSZ: In einer anderen Studie fanden Sie heraus, dass zwar eigentlich alle für Gleichberechtigung bei der Bezahlung sind, aber dennoch bei Frauen ein niedrigeres Gehalt als fair ansehen, wenn nach einem konkreten Job gefragt wird. Woher kommt dieser Widerspruch?

Auspurg: In dieser Studie haben wir untersucht, ob dieselben Gehälter für Männer und Frauen als fair bewertet werden. Wir haben den Probanden mehrere Fallbeispiele von fiktiven Beschäftigten vorgelegt und sie gebeten, das Gehalt in einer bestimmten Position in zehn Berufen zu bewerten. Dabei haben wir wieder Merkmale wie Berufserfahrung und Qualifikation variiert. Wenn der Job von Frauen gemacht wurde, wurde das angegebene Gehalt eher als zu hoch empfunden, bei Männern eher als zu niedrig.

BSZ: Woran liegt das?
Auspurg: Unsere Annahme war, dass es an einer statistischen Diskriminierung liegt, also dass bei Frauen weniger Berufserfahrung vermutet und ihnen daher ein geringeres Gehalt zugestanden wird. Aber genau das konnten wir nicht beobachten. Auch wenn bei beiden dieselbe Qualifikation angegeben war, wurde bei Frauen ein niedrigeres Gehalt als fair angesehen. Es scheint also eine als gerecht empfundene Lohnlücke zu geben, die zwischen acht und zehn Prozent liegt und ungefähr dem real existierenden Gender Wage Gap bei vergleichbaren Tätigkeiten entspricht. Dabei fand sich diese gerechte Lohnlücke vor allem dann, wenn die Beschäftigten mit hohen Qualifikationen beschrieben wurden.

BSZ: Warum haben sich die Befragten offenbar diesen tatsächlichen Lohnunterschied zu eigen gemacht?
Auspurg: Es spricht einiges dafür, dass das unbewusste Urteile sind. An sich haben fast alle Befragten, vor allem Frauen, zu Beginn der Studie geäußert, dass das Geschlecht bei der Bezahlung keine Rolle spielten sollte. Wir vermuten, dass es subtile Prägungsprozesse sind. Es ist die normative Kraft des Faktischen, die unsere Gerechtigkeitsvorstellungen prägt. Wir schließen im realen Leben oft vom Ausmaß der Belohnung auf die Leistung, nehmen also an, dass ein Gehalt schon gerechtfertigt ist. Dafür spricht auch, dass in unserer Studie besonders jene, die in ihrem eigenen Umfeld große Gehaltsunterschiede erleben, etwa im Management, geringere Verdienste für Frauen für fair halten.

BSZ: Diese Umfragedaten stammen von 2009. Vielleicht haben sich seither die Einstellungen verändert?
Auspurg: Ich vermute, eher nicht, da auch die faktischen Lohnunterschiede in Deutschland seither unverändert sind. Zugleich gibt es aber auch Hinweise auf Veränderung. Experimente mit Studierenden zeigen, dass es bei ihnen diese als gerecht empfundene Lohnlücke nicht gibt. Das sind aber Ergebnisse von Querschnittsstudien, die nichts darüber aussagen, ob die Studierenden anders eingestellt sind, sich also tatsächlich ein Wandel ankündigt, oder ob es ein Alterseffekt ist, der mit der Zeit verschwindet, und sich ihre Gerechtigkeitsvorstellungen ändern, wenn sie andere Erfahrungen auf dem Arbeitsmarkt machen.

BSZ: Würde mehr Transparenz helfen, diesen Gender Wage Gap aufzulösen?
Auspurg: In Österreich und Deutschland sind inzwischen Gesetze zur Lohntransparenz eingeführt worden, aber die Reformen sind noch recht jung, man muss noch etwas abwarten, bis man verlässliche Evaluationen durchführen kann. Unsere Ergebnisse sprechen jedoch dafür, dass diese Maßnahmen allein nicht ausreichen. Wenn Prägungsprozesse eine Rolle spielen, könnte mehr Transparenz Stereotype sogar eher nähren und damit die als gerecht empfundene Lohnlücke verfestigen. Man bräuchte unseren Ergebnissen zufolge zusätzlich Rollenvorbilder, also Frauen in gut dotierten verantwortungsvollen Jobs. Eine andere Möglichkeit ist es, bei der Arbeitszeit anzusetzen. Für Arbeitgeber ergibt es derzeit Sinn, Teilzeitstellen geringer zu entlohnen, da es für sie oft kostengünstiger ist, einen Mitarbeiter in Vollzeit zu beschäftigen statt zwei, die sich einen Job teilen. Maßnahmen wie steuerliche Vergünstigungen für Unternehmen, die Teilzeitplätze schaffen, könnten einen starken Effekt auf die Lohnlücke haben. Studienergebnisse aus den USA zeigen, dass die Pharmaindustrie dort sehr erfolgreich Arbeitsplätze umstrukturieren konnte und die Lohneinbußen bei der Teilzeit zurückgegangen sind, wovon insbesondere Frauen profitiert haben dürften.

BSZ: Besteht überhaupt Handlungsbedarf?
Auspurg: Frauen scheinen sich ja freiwillig für schlecht bezahlte Jobs zu entscheiden. Einkommen ist ein Schlüssel zu den Lebensbedingungen von Familien und Kindern und hat unter anderem Auswirkungen auf die Rente. Unsere Ergebnisse zeigen, dass es an den Rahmenbedingungen liegt, warum Frauen bereit sind, weniger zu verdienen. Generell haben sie sehr ähnliche Präferenzen wie Männer. Sie sind genauso karriereorientiert. Es ist offenbar eher eine Frage des Zeitbudgets, dass sie für Teilzeitstellen Gehaltseinbußen in Kauf nehmen. Wenn es aber die Möglichkeit gibt, mit flexiblen Arbeitszeiten ein hohes Einkommen zu erzielen, gab es in unserer Studie kaum Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Dann ist Frauen das Einkommen genauso wichtig wie Männern.

BSZ: Führt die derzeitige Situation auf den Arbeitsmarkt, wo noch lange und eher unflexible Arbeitszeiten vorherrschen, also dazu, dass sich Rollenbilder verfestigen?
Auspurg: Ja, für Deutschland spricht vieles ganz klar dafür. Bei vielen Paaren ist das ein schleichender Prozess. Anfangs hat der Partner vielleicht nur einen kleinen Gehaltsvorsprung, zum Beispiel weil er einen anderen Beruf hat oder älter ist. Mit der Familiengründung, bei der vor allem Frauen länger aussetzen, wird der Vorsprung größer und verfestigt sich. Am Ende sind es ökonomische Gründe, welche Karriere den Vorrang hat und warum in der Regel Männer zu Ernährern und Frauen zu Zweitverdienerinnen mit Teilzeitstellen werden. (Interview: Nicola Holzapfel)

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