Beruf & Karriere

Wenn Abschalten doch nur so einfach wäre. Ein Schild im sächsischen Moritzburg. (Foto: dpa)

17.08.2018

Mal wieder zur Besinnung kommen

Die Ferien sollen eigentlich zum Abschalten da sein, aber viele nehmen Stress und Hektik mit in den Urlaub

Raus aus dem Job, rein ins Vergnügen: So stellt man sich die „schönste Zeit des Jahres“ gerne vor. In der Realität bleibt davon oft wenig übrig, wenn der Stresspegel vorher schon zu hoch ist oder das Urlaubsprogramm kaum Zeit für Pausen lässt.

So mancher Urlaub beginnt wie ein ganz normaler Arbeitstag – im Stau. Ob per Auto, Bahn oder Flugzeug, bereits die Anreise zum Wunschziel ist gerade in der Hochsaison häufig kein Spaß. Dabei ginge es genau darum: Runterkommen von als lästig empfundenen Ärgernissen des Alltags, sich über Abwechslung und angenehme Eindrücke freuen können. Was sicher nicht einfacher wird, wenn bis zum letzten Arbeitstag der Schreibtisch noch voller ist als sonst – schließlich muss die Abwesenheit gut vorbereitet sein und einiges den Kollegen übergeben werden.

Arbeitsverdichtung und Unsicherheit sorgen zunehmend dafür, dass ein entspannter Urlaubsstart für immer mehr Beschäftigte auf unterschiedlichen Hierarchieebenen ein Wunschtraum bleibt. Und die Gewohnheit der ständigen Erreichbarkeit macht auch während des Urlaubs viele nervös, statt sich von Tagesgeschäft und Projekten distanzieren zu können. Selbst wenn das Smartphone mal ganz aus ist, bleiben Kopf und Bauch gefühlt im Standby-Modus.

Besonders tückisch wird es, wenn mit dem Mangel an Gelassenheit auch noch der eigene Druck steigt, sich nun endlich zu erholen. Dem Idealbild des entspannt am Strand fläzenden und die freie Zeit in vollen Zügen genießenden Urlaubers will man schließlich gerecht werden. Möglichst von jetzt auf gleich, versprechen doch Wohlfühl-Werbeprospekte und unterschiedlichste Angebote für Fun und Wellness, dass dies problemlos zu machen wäre. Wer allerdings den Urlaub genauso auf Effizienz und vordergründig Wichtiges trimmt wie den Job-alltag, verpasst das Beste: einfach mal Zeit haben für sich selbst und die Menschen, die aus gutem Grund zum engsten privaten Umfeld gehören. Das mag banal klingen, ist jedoch eine ganz wesentliche Grundlage für das, was viele vermissen, und zwar nicht nur während des Urlaubs.

Auszeiten sollten bereits zum Alltag gehören

Mit Vollgas in die Entspannung rauschen, das kann kaum gutgehen. Dennoch wird eher der Leistungsgedanke auf die Freizeit übertragen, statt echtes Nichtstun zum festen Bestandteil des Arbeits- und Privatalltags zu machen. Dabei gibt es längst seriöse Hinweise darauf, dass die Leistungsfähigkeit durch passive Phasen gestärkt und Kreativität regelrecht beflügelt werden kann. Was hindert also die meisten daran, regelmäßig abzuschalten, wenn sogar eine der heute vielfach geforderten Kompetenzen damit verbessert wird?

Die Psychologin und Zenmeisterin Anna Gamma sieht einen der Gründe dafür im menschlichen Bedürfnis verwurzelt, permanent aktiv und nutzenstiftend an Gemeinschaften teilzuhaben. Was an sich positiv wirkt, nämlich eine sozial sinnvolle und aktive Funktion auszufüllen, wird aus ihrer Sicht allerdings durch eine permanente Beschleunigung der Lebenswelt zur Getriebenheit, die zunehmend Probleme verursacht. Psychische Störungen werden häufiger diagnostiziert und auf Belastungen aus dem beruflichen Kontext zurückgeführt, immer mehr Berufstätige fühlen sich den Anforderungen nicht mehr gewachsen. Parallel dazu verleitet wohl der zunehmende Anspruch nach Selbstoptimierung gerade Menschen, die sich ohnehin bereits überfordert fühlen, die Ursachen dafür vor allem sich selbst zuzuschreiben und die Symptome mittels mehr oder weniger geeigneter Maßnahmen „wegarbeiten“ zu wollen. Sinnvoller wären, sofern die Problematik nicht bereits zu weit fortgeschritten ist, manchmal schlicht Mußezeiten. Anna Gamma vergleicht diese bildhaft mit Brachflächen innerhalb bewirtschafteter Landflächen, die quasi zur Erholung eine Auszeit bekommen.

Eigentlich sagt bereits der vielzitierte gesunde Menschenverstand, dass ohne „Auftanken“ nichts auf Dauer laufen kann. Dass Nichtstun und Muße nicht mehr selbstverständlich sind, ja regelrecht gelernt und geübt werden müssen, leuchtet dagegen erst einmal nur schwer ein. Viele Leistungsträger stempeln solche Erkenntnisse denn auch gerne als esoterische Weisheiten ab, mit denen wohl kaum Ernsthaftes anzufangen sei. Insofern sollte nicht der Versuch unternommen werden, jemanden zu bekehren. Wer allerdings nach Möglichkeiten sucht, das Wohlbefinden zu verbessern und die eigene Lebensqualität weiterzuentwickeln, kann auch ohne teure Investitionen ansehnliche Erfolge erzielen.

Statt gut klingenden Etiketten auf zeitgeistigen Wohlfühl-Angeboten zu folgen, könnte „Besinnung“ ein erster Schritt dahin sein. Vielleicht ganz einfach als Frage an sich selbst, wie es gerade so steht mit den eigenen Bedürfnissen und der inneren Tankanzeige. Wer dann den dringenden Wunsch nach Erholung verspürt, sollte mit dem Urlaubszettel nicht mehr lange warten. Und vor allem gleich mal eine kurze Auszeit nehmen – selbst wenn es nur der Weg zur nächsten Parkbank und wieder zurück ist. (Frank Beck)

INFO: Umfrage zu Regeln für Erreichbarkeit in der Freizeit

In einer aktuellen Umfrage der Initiative „Neue Qualität der Arbeit“ gaben zwei Drittel der Befragten an, schon mal nach Feierabend wegen beruflicher Anliegen kontaktiert worden zu sein. 46 Prozent wurden am Wochenende angemailt oder angerufen. 37 Prozent sahen sich auch schon mal im Urlaub mit Arbeitsthemen konfrontiert. Distanz wird unter diesen Umständen zur Herausforderung: Rund jedem fünften Befragten fällt es nach eigenen Angaben schwer oder sehr schwer, nach der Arbeit abzuschalten. Weitere 34 Prozent haben damit manchmal Probleme. Belastet einen die ständige Erreichbarkeit, rät die Initiative zu einem offenen Gespräch mit der Führungskraft. Dabei sollten beide Seiten ihre Erwartungen und Bedürfnisse deutlich machen. Häufig sei nämlich gar nicht klar, was erwartet wird. (dpa)

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