Es klingt gut, wenn Führungskräfte über Fehlerkultur sprechen und Mitarbeitende dazu einladen, nach dem „Trial-and-error“-Prinzip neue Erfahrungen zu machen. Passieren tatsächlich Fehler, gelten diese häufig als Tabu und werden möglichst lautlos aus dem Weg geräumt. Lerneffekte lassen sich dadurch kaum erzielen.
Wo bereits kleine Ausrutscher katastrophale Folgen haben können, macht man sich um deren Vermeidung besonders viele Gedanken. Ein Beispiel dafür ist die zivile Luftfahrt. Das sogenannte und ursprünglich von der NASA entwickelte „Crew Resource Management“ (CRM) ist einer von vielen Bausteinen im weitreichenden Sicherheitsnetz, das den Luftverkehr vor technischem und menschlichem Versagen schützen soll und dabei weltweit nachweislich Erfolge erzielt. Am Anfang des Konzepts steht die Erkenntnis, dass Fehler jedem und überall passieren und selbst die hochentwickeltsten Systeme und Routinen nicht 100-prozentig davor bewahren können. Insofern sind die ständige Analyse und Beobachtung grundlegend – und vor allem der offene Dialog über jeden erkannten Mangel. Würden sich Piloten im Cockpit nicht sachlich und nach klaren Regeln über Unregelmäßigkeiten austauschen, sondern erst mal über Schuld und Unschuld diskutieren oder eigene Fehler zu vertuschen versuchen, wären die Unfallstatistiken wohl deutlich voller von dramatischen Vorfällen.
Der Berufspilot Philip Keil überträgt seine einschlägigen Erfahrungen aus der Flugpraxis mittlerweile als Autor und vielgefragter Redner auf Unternehmen jeder Branche. Aus seiner Sicht geht es weniger um eine „Null-Fehler-Kultur“, sondern vor allem um ein frühzeitiges Erkennen von Risiken und den systematischen Umgang mit wahrgenommenen Unregelmäßigkeiten und jeglichem Fehlerpotenzial. Nur dadurch wären schwerwiegende Folgen, beispielsweise durch eine Verkettung von Fehlentscheidungen, zu vermeiden. Eine besondere Rolle spielen dabei Hierarchien: Co-Piloten müssen größere emotionale Hürden überwinden, um den Ranghöheren im konkreten Fall auf einen Fehler aufmerksam zu machen – „top-down“ fällt dies leichter. Um die möglicherweise fatalen Folgen solcher hierarchischen Muster aufzubrechen, wurde im Cockpit das „Pilot Monitoring“ eingeführt. Sie sollen dadurch, ungeachtet ihres Rangs, auf Augenhöhe miteinander umgehen.
In der Industrie gehören prozessorientierte Tools und Methoden wie Six Sigma oder FMEA (Failure Mode and Effects Analysis) seit Jahren zum Standard im Qualitätsmanagement. Selbst eine entsprechende deutsche Norm fehlt nicht: Die DIN 55350-11 regelt unterschiedliche Belange hinsichtlich Fehlerverhütungs-, Prüf- und Fehlerkosten. Keine Frage: Mit solchen Instrumenten lassen sich wirksam Prozesse verbessern und Regelkreisläufe installieren. Insbesondere Six Sigma definiert unterschiedliche Rollen für die Mitarbeitenden auf allen Hierarchie-Ebenen. Inwieweit es zu den vielfach gewünschten „Learnings“ kommt, hängt indes sehr stark von der persönlichen Haltung der Beteiligten ab. Die zur Organisation passende Fehlerkultur muss sich aus den vorhandenen Strukturen und formalen Gegebenheiten heraus entwickeln können. Ein gelegentliches „Laissez-faire“ bringt dabei ebenso wenig wie gut gemeinte Workshops, die losgelöst vom Tagesgeschäft einen „Kulturwandel“ begründen sollen. Der Umgang mit Fehlern sollte stattdessen einen festen und dennoch flexiblen Platz auf der internen Agenda erhalten, gleichberechtigt mit den üblichen wirtschaftlichen und technischen Kernthemen.
Bereits an der Definition scheiden sich häufig die Geister: Was sind nach interner Lesart überhaupt „Fehler“, wie werden Abweichungen vom erwarteten Maß oder Zustand genau beschrieben? Erst wenn es hierfür klare und für alle nachvollziehbare Regeln gibt, lassen sich Veränderungen im Kleinen wie im Großen sinnvoll angehen. Als besonders wertvoll für die Praxis erweisen sich Fallbeispiele, die Fehler und Fehlverhalten zusammen mit konkreten Lösungen beschreiben und so die Möglichkeit bieten, intern anhand real gemeisterter Situationen zu lernen. Solche Sammlungen schlagen gewissermaßen zwei Fliegen mit einer Klappe: Zum einen ermöglichen sie, das Thema ohne mahnenden Zeigefinger eng mit dem Tagesgeschäft zu verzahnen. Zum anderen lassen sich Fehleranalyse und Lösungswege ohne Schuldzuweisungen abbilden. Dies ist ein äußerst wichtiger Aspekt für den ehrlichen und konsequenten Umgang mit Fehlern, der insbesondere für Führungskräfte eine permanente Herausforderung darstellt. Zur Fehlerkultur gehört es, die Handlungsoptionen Konsequenz, Toleranz und Förderung aus der Führung heraus bewusst zu differenzieren und einzusetzen. Abhängig vom jeweiligen Kontext ist es erfolgsentscheidend, dabei immer wieder die richtige Balance zu finden. Denn nur so gibt man den Betroffenen die Chance, dazuzulernen. Sanktionen gehören ebenso unabdingbar zum präventiven Repertoire wie Verständnis, Eigenverantwortung und das Annehmen von Verbesserungsvorschlägen. (Frank Beck)
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