Beruf & Karriere

Ein Fachkräftemangel führt zu weitreichenden Folgen in puncto Innovation und Zukunftsfähigkeit. (Foto: dpa)

20.04.2018

Talente dringend gesucht

Der Fachkräftemangel schränkt Wachstumspotenziale in Deutschland ein – quantitativ wie qualitativ

Etwa 30 Milliarden Euro pro Jahr könnten deutsche Unternehmen zusätzlich erwirtschaften, stünden mehr passende Arbeitskräfte zur Verfügung. Diese Zahl errechneten Experten des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln mit Blick auf 440 000 fehlende Fachkräfte. Was tun? Mit knapp einem Prozent der deutschen Gesamtwirtschaftsleistung hält sich der potenzielle monetäre Verlust durch den Fachkräftemangel, den die Forscher des IW Köln per Hochrechnungen ermittelt haben, derzeit noch in Grenzen. Was die Zahlen nicht direkt vermitteln, ist der qualitative Aspekt: Zu viele fehlende fähige Köpfe in Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung sind mittelfristig gleichbedeutend mit einem weitreichenden Mangel an Innovation und Zukunftsfähigkeit.

Es zählt nicht nur, was nachweislich oder nachrechenbar bereits verloren geht – viele Potenziale lassen sich gar nicht quantifizieren, weil sie noch nicht entwickelt sind und deshalb auch nicht dokumentiert werden können. Dass es an qualifizierten Arbeitskräften mangelt, ist schon lange nichts Neues mehr. Wenn es vielerorts an „Talenten“ fehlt, um mit den Herausforderungen durch Digitalisierung und globale Marktveränderungen adäquat umzugehen, kommt dies erschwerend hinzu.

Beschäftigt man sich mit dem Thema, begegnet man immer noch Wortschöpfungen wie „War for Talents“ oder trifft auf Methoden wie Talentmanagement. Talentierte Arbeitskräfte werden demnach als ein umkämpftes Gut betrachtet, vergleichbar mit wertvollen Rohstoffen, und können mit entsprechenden Tools professionell „gemanagt“ werden. Ob sich mit einer solchen Betrachtungsweise alle Betroffenen identifizieren, sei dahingestellt. Die Frage ist vielmehr, ob eine in erster Linie an wettbewerbs- und wertschöpfungsorientierten Leitlinien ausgerichtete Sicht auf Human Resources künftig noch beibehalten werden kann, wenn die Personalprobleme weiter zunehmen.

Es gibt kein klare Definition, was Talent ist

Darüber, was Talent überhaupt ist und wer dieses in welcher Form mitbringt, gibt es eine unüberschaubare Vielzahl an fachlich mehr oder weniger qualifizierten Informationen. „Talent ist die Veranlagung oder Prädisposition, eine bestimmte Fähigkeit aufzubauen, die noch nicht ausgeprägt ist“, sagt Gerald Hüther, Professor für Neurobiologie und Vorstand der Akademie für Potenzialentfaltung. Gemeint ist damit eher die Begabung, sich etwas besonders gut und erfolgreich anzueignen, als eine bereits abrufbare Qualifikation.

Folgt man dieser Lesart, steht bei der Rekrutierung von „Talenten“ weniger die Akquise und Selektion von ausgeprägten Merkmalen im Vordergrund, sondern der Blick auf noch ausbaufähige Ressourcen von Menschen – die vielleicht sogar bereits in der Organisation sind, aber ihre Stärken noch nicht voll entfalten können.

Michelle Weise, die an der Southern New Hampshire University im Bereich Strategie und Innovation forscht, hat festgestellt, dass es in vielen Personalabteilungen keinen systematischen Überblick über die im eigenen Haus vorhandenen Kompetenzen gibt. Entsprechend existieren zwar Anforderungsprofile für neue Stellen und häufig auch Stellenbeschreibungen für vorhandene Positionen.

Inwieweit Menschen auf einer bestimmten Stelle jedoch „Talent“ für andere Aufgaben hätten, lässt sich nicht beurteilen. Manchmal verlassen solche Menschen einen Arbeitgeber, ohne dass jemand sich intern damit beschäftigt hat, wie sie gefördert und in ihrer Entwicklung unterstützt werden könnten. Nach außen gerichtete Maßnahmen gehen an diesen Fällen vorbei, zumal es vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ohnehin an Motivation und Perspektiven fehlt.

Oftmals werden Hochschulabschlüsse, insbesondere mit herausragenden Noten, als Beleg für besondere Talente gewertet und als Auswahlkriterium bei der Stellenbesetzung zugrunde gelegt. In der Praxis erweist sich dies häufig als wenig relevant. Studien bei großen Arbeitgebern haben gezeigt, dass besonders gute Studienabsolventen nicht automatisch besonders erfolgreich im Job sind. Ohnehin gibt es viele Aufgaben, für die ein akademischer Abschluss nicht unbedingt erforderlich wäre, bei der Stellenbesetzung jedoch vorausgesetzt wird. Viel wichtiger erscheint eine gute Passung zwischen den Anforderungen der Position und den Begabungen der Person, die sie übernimmt. Erst dann können sich Talente entfalten und, bei entsprechender Förderung, auch langfristig umfassend nutzbar werden.

Denn: Für Talent gibt es keine festen Maßeinheiten, die sich per Schablone prüfen und entsprechend anfordern lassen. Besser ist es, langfristig zu handeln und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufzubauen. Wer es schafft, vorausschauend und sogar „auf Vorrat“ Talente zu fördern und zu binden, wird gerade im Zuge der Digitalisierung personell die Nase vorn haben. Und ganz nebenbei die Wertschöpfung erhöhen, die sonst verloren geht. (Frank Beck)

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