Beruf & Karriere

Vertrauenswürdig und gerecht – so stellt man sich die ideale Führungskraft gern vor. Hinter den Kulissen sieht es oft anders aus. Auf dem Foto das Lincoln-Denkmal in Washington D.C. (USA). (Foto: dpa)

16.03.2018

Vom Häuptling zum Coach

Gute Führungskräfte bringen Durchsetzungsfähigkeit, Empathie und Selbstreflexion in ein ausgewogenes Verhältnis

Machthierarchien tun Unternehmen gut? „Bullshit“, meint ein Professor der US-amerikanischen Stanford University. Das Bild vom starken Mann auf dem Chefsessel sei längst überholt. Und wenn bei der Besetzung von Führungspositionen doch Ellenbogen statt der sozialen Kompetenz entscheiden, sind die Folgen deutlich spürbar.
Wer angesichts gängiger Anforderungsprofile für Führungspositionen einen Karriereschritt nach oben anstrebt, braucht fast übermenschliche Fähigkeiten. Zumindest scheint dies so – werden doch häufig Kompetenzen gefordert, die eine Person alleine kaum alle in sich vereinen kann. Von den fachlichen und inhaltlichen Qualifikationen mal ganz abgesehen, gehören ausgeprägte Zielfokussierung und Durchsetzungsstärke ebenso zum zeitgemäßen Repertoire wie eine partizipative Grundhaltung, starkes Interesse an Kooperationen nach innen und außen und, nicht zuletzt, die Fähigkeit, ungeachtet der Hierarchieebenen stets „auf Augenhöhe“ zu kommunizieren und zu agieren.

Vertrauenswürdig und gerecht – so stellt man sich die ideale Führungskraft gern vor, und gleichzeitig souverän im Umgang mit der Macht, die eine exponierte Position mit sich bringt. Schaut man hinter die Kulissen von Politik und Wirtschaft wie auch von sozialen Einrichtungen, wird schnell klar, welchen Spagat diese Erwartung in der Praxis fordert. Selbst wenn jemand all die genannten Eigenschaften weitgehend in sich vereinen kann, ist noch lange nicht sicher, dass diese auch zum Tragen kommen. Informelle Rollenzuweisungen sorgen in vielen Organisationen dafür, dass starre Muster und Machthierarchien eingehalten werden und erhalten bleiben.

Unternehmen, Führungskräfte und Mitarbeiter schaffen gemeinsam eine Win-win-Situation? Alles „Bullshit“, meint deshalb Jeffrey Pfeffer, Wirtschaftswissenschaftler und seit 1979 Professor für Organisationstheorie an der Graduate School of Business der renommierten Stanford University. In seinem 2015 erschienenen Werk Leadership BS – BS steht für das eben zitierte Bullshit – zeigt er anhand der Erkenntnisse aus zahlreichen Studien auf, dass die Mehrzahl der Führungskräfte nicht von ethischen Grundprinzipien, sondern vielmehr durch profundes Eigeninteresse und letztlich sogar von Narzissmus getrieben sei. Dies durchsetze die Organisationen von oben nach unten.

Chefs müssen keine Helden sein

Ob man diese Sicht teilen möchte oder nicht, sei dahingestellt. Fakt ist jedoch, dass gerade weibliche Führungskräfte, denen eher die Fähigkeit zur Empathie und zu einem rücksichtsvollen Umgang mit Beschäftigten zugeschrieben wird, nicht selten in eine ganz andere Richtung gebracht werden. In den USA hat vor Kurzem eine Gallup-Untersuchung, für die Befragungsdaten von immerhin 27 Millionen Angestellten aus einem Zeitraum von vier Jahrzehnten ausgewertet wurden, weiblichen Führungskräften einen klaren Vorsprung hinsichtlich der sozialen Fähigkeiten attestiert, die beispielsweise eine höhere Mitarbeitermotivation bewirken und das Engagement in Teams fördern.

Expertinnen wie die Betriebspsychologin und Organisationsentwicklerin Martina Aron-Weidlich weisen allerdings darauf hin, dass die Qualität von Führung sich nicht automatisch aus Eigenschaften wie männlich oder weiblich ableiten lässt. In ihrem Buch Essenz der Führung führt sie aus, wie ein individueller Mix aus Leidenschaft, Menschlichkeit und einem ausgeprägten Gestaltungswillen gute Führung beeinflusst. Wobei Tugenden wie Weitsicht und Einfühlungsvermögen helfen und nicht zuletzt auch Durchsetzungsstärke notwendig sei, um sich in einer zunehmend komplexen Umwelt zu behaupten. Ganz ohne Ellenbogen geht es also nicht – die Frage ist eher, wie häufig und mit welcher Haltung diese eingesetzt werden. Führen heißt auch immer sich selbst führen und weiterentwickeln. Gerade vielen Fachkräften, die meist ohne fundierte Kenntnisse und Hilfen zur Führungskraft aufsteigen, mangelt es an dieser Ressource.

Folgt man dem Führungskräfte-Berater Frederic Laloux, der das Innenleben vieler Unternehmen und Organisationen auch als ehemaliger McKinsey-Partner kennt, gibt es durchaus funktionierende Alternativen zu den klassischen Hierarchie- und Machtprinzipien, nach denen die meisten Unternehmen arbeiten – vielfach mit unzureichend motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Statt „Häuptlingen“, die aus einer uneingeschränkten Machtposition heraus über Wohl und Wehe aller entscheiden, sind Personen mit einem integrativen Anspruch gefragt.

Das Empowerment anderer und eine wertorientierte Kultur gehören dazu, und zwar nicht als modisches Deckmäntelchen über die bestehenden Strukturen, sondern als ernstgemeinter Anspruch an eine zukunftsfähigere Organisation. Dabei gilt es, Leistungen und Leistungsträger nach bisheriger Lesart nicht schlecht zu machen oder abzuwerten. Sondern ihnen vielmehr die Möglichkeit zu geben, ihre Rolle schrittweise zu verändern. (Frank Beck)

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