Freizeit und Reise

Panorama von Nagasaki. (Constanze Mauermayer)

29.07.2025

Fat Man und ein Bayer

Nagasaki ist eine weltoffene Stadt mit bewegter Geschichte

Wenn der Name Nagasaki fällt, denken die meisten Menschen sofort an eines der düstersten Kapitel der Menschheitsgeschichte, den Abwurf der zweiten Atombombe auf Japan am 9. August 1945, der sich heuer zum 80. Mal jährt. Dass Nagasaki zugleich die Wiege des Katholizismus in Japan ist, ist hingegen kaum bekannt. In der Stadt auf der subtropischen Insel Kyushu begegnet man vielerorts Spuren des Christentums – eine Besonderheit in einem Land, das viele eher mit buddhistischen Tempeln und Shinto-Schreinen in Verbindung bringen. Besonders ist auch, dass in der Stadt der Bayer Philipp Franz von Siebold ein hochverehrter Mann ist.

Kyushu ist die südlichste und drittgrößte Insel Japans und begeistert durch ihre landschaftliche Schönheit. Besonders sehenswert ist die an der Westküste der Insel, beidseits der Mündung des Urakami-Flusses gelegene Hafenstadt Nagasaki. Die Stadt empfängt ihre Besucher mit einer heiteren, weltoffenen Atmosphäre, in der die Wunden der Atomtragödie zumindest äußerlich verheilt zu sein scheinen. Die drei Straßenbahnlinien, die alle wichtigen Sehenswürdigkeiten verbinden, sind die beste Möglichkeit, die Stadt zu erkunden. Empfehlenswert ist ein Aufenthalt von zwei bis drei Tagen. Bei der Buchung einer Unterkunft empfiehlt es sich – wie überall in Japan – darauf zu achten, dass das Hotel ein reichhaltiges japanisches Frühstück anbietet und über ein Thermalbad (Onsen) verfügt. Diese Kombination macht den Aufenthalt zu einem Erlebnis.

Friedenspark und Atomic Bomb Museum

Einen Rundgang durch Nagasaki startet man am besten im Friedenspark, der sich um das Epizentrum der atomaren Explosion erstreckt. Dort befindet sich auch das Atomic Bomb Museum. Es war Zufall, dass Nagasaki Opfer der Atomkatastrophe wurde. Die Stadt stand ursprünglich nicht auf der Liste möglicher Ziele. Die US-Luftwaffe hatte vielmehr Kokura im Norden Kyushus ausgewählt. Doch am Tag des Unglücks hüllten dichte Wolken die Stadt ein. Nagasaki hatte 1945 rund 260.000 Einwohner und war ein wichtiger Standort des Mitsubishi-Rüstungskonzerns. In den Werften des Unternehmens wurden unter anderem die Torpedos hergestellt, mit denen die japanischen Marinestreitkräfte im Dezember 1941 den US-Stützpunkt in Pearl Harbor angegriffen hatten.

Die Plutoniumbombe detonierte am Vormittag des 9. August 1945 um exakt 11:02 Uhr über Nagasaki. Aufgrund ihrer bauchigen Form wurde sie von der US-Army „Fat Man“ genannt. Mit einem Gewicht von viereinhalb Tonnen verfügte die Bombe über eine Sprengkraft, die etwa 22.000 Tonnen TNT entsprach. Innerhalb weniger Sekunden verloren rund 40.000 Menschen ihr Leben; bis Ende 1945 stieg die Zahl der Toten auf 74.000 und in den Folgejahren starben Zehntausende weitere Menschen an den Spätfolgen der Strahlenbelastung. Die Gesamtzahl der Opfer liegt Schätzungen zufolge bis heute bei 140.000 Menschen.

Anlässlich des 80. Jahrestags des Atombombenabwurfs am 9. August 2025 bereitet sich die Stadt derzeit auf eine große internationale Gedenkfeier vor. Geplant ist eine zentrale Zeremonie im Friedenspark, bei der zum Zeitpunkt der Detonation eine Schweigeminute gehalten wird. Erwartet werden Vertreterinnen und Vertreter aus über 70 Ländern, darunter Persönlichkeiten aus Politik, Gesellschaft und den Vereinten Nationen. Vorgesehen ist auch ist ein gemeinsamer Appell zur atomaren Abrüstung. Die zentrale Botschaft lautet: Die Erinnerung darf nie enden.

Das „Nie wieder“ wird im Atomic Bomb Museum auf eindrucksvolle Weise deutlich. Eine Uhr, die exakt um 11:02 Uhr stehen blieb, sowie persönliche Gegenstände der Opfer – geschmolzene Flaschen, Lunchboxen, Rosenkränze, ein Helm mit Schädelresten – zeugen vom Ausmaß der Zerstörung. Auch Überreste der einst größten katholischen Kirche Asiens, der Urakami-Kathedrale, dienen heute als Mahnmal gegen Krieg und Gewalt. Ergänzt wird die Ausstellung durch Fotos und Videos. Besonders eindringlich sind die Erinnerungen der Überlebenden. Der damals fünfjährige Fujio Tsujimoto flehte: „Bring mich in die Vergangenheit zurück, nur einmal. Ich möchte meinen Vater, ich möchte meine Mutter, meinen Bruder, meine Schwester zurück.“ Und Sumiteru Taniguchi, einer der bekanntesten Zeitzeugen, erinnerte sich: „Die Haut meines Rückens war wie zerschmolzenes Fleisch. Ich konnte meine eigenen Knochen sehen.“

Sonnenuntergang auf dem Inasa-Berg

Die Worte der Überlebenden geben dem unfassbaren Leid bis heute ein Gesicht und eine Stimme. Um die Schwere abzuschütteln, fahren wir anschließend zum Sonnenuntergang auf den Inasa-Berg. Von der Seilbahnstation Fuchijinja aus gelangt man schnell auf eine Höhe von 333 Metern. Auf dem Gipfel erwartet uns eine weitläufige Aussichtsterrasse, die einen 360-Grad-Panoramablick über die Stadt bietet. Die Abendstimmung hier gilt als eine der schönsten Japans. Tatsächlich blickt man auf eine zerklüftete Küste, vor der hunderte kleiner Inseln liegen. Die Sonne taucht sie in orangerotes Abendlicht. Malerisch breitet sich das Lichtermeer rund um die Bucht von Nagasaki mit Schiffswerften, Bootshafen und den Terminals der Kreuzfahrtschiffe aus – Romantik pur.

Anschließend ist es Zeit für ein Abendessen in der kleinen Chinatown Nagasakis, der ältesten chinesischen Siedlung des Landes. Ein Spaziergang durch das Viertel führt an einen Ort, an dem sich Jahrhunderte fernöstlicher Kultur auf engstem Raum verdichten. Während der jahrhundertelangen Abschottung Japans durften neben den Niederländern nur die Chinesen in der Hafenstadt Handel treiben. Das kulturelle Erbe der chinesischen Einwanderer prägte Nagasaki über Jahrhunderte. Schon beim Betreten von Shinchi Chinatown taucht man in eine andere Welt ein. Vier imposante, rote Tore, die jeweils von einer mythischen Kreatur bewacht werden, markieren die Himmelsrichtungen und laden ein, die wenigen Gassen und kunstvollen Tempel zu entdecken. Hier wacht der azurblaue Drache über den Osten, der weiße Tiger über den Westen, der rote Vogel über den Süden und die schwarze Schildkröte über den Norden. Sie sind die Wächter dieser Verbindung zwischen chinesischer Tradition und japanischer Geschichte.

Christentum, Handel und ein Bayer

Am zweiten Tag begeben wir uns auf die Spuren des niederländischen Ostindien-Handels und des frühen Christentums in Japan – und eines Bayern, der in Nagasaki Geschichte schrieb. Im Jahr 1571 erreichten die ersten ausländischen Schiffe den damals einzigen offenen Handelshafen Japans: Nagasaki. Mit an Bord waren nicht nur Händler, sondern auch jesuitische Missionare aus Portugal und Spanien, die viele Seelen für den katholischen Glauben gewinnen wollten. Und das machten sie mit Erfolg: Ende des 16. Jahrhunderts bekannten sich auf Kyushu und in Zentraljapan fast 300.000 Menschen zum Katholizismus.

Doch die religiöse Freiheit fand ein jähes Ende. Bereits 1587 war das Christentum erstmals verboten worden, ab 1614 folgte dann unter Shogun Tokugawa die systematische Verfolgung der Gläubigen. Dennoch hielten viele Gläubige im Verborgenen an ihrer Religion fest. Auf Kyushu entstanden geheime Enklaven, in denen der katholische Glaube im Untergrund weiterlebte. Noch heute zeugen versteckte Kapellen und Andachtsräume von dieser Zeit – ebenso wie die imposante Oura-Kathedrale in Nagasaki vom Wiederaufleben des Katholizismus. Der weiß-blau getünchte Holzbau wurde 1864 in einer Phase der vorsichtigen Öffnung Japans gegenüber der Welt errichtet. Dank ihrer Entfernung zum Epizentrum überstand die Kirche die atomare Katastrophe von 1945 nahezu unversehrt. Heute hat sie den Rang eines Nationalschatzes – und ist ein lebendiger Ort des Glaubens, an dem sich Gläubige aus aller Welt zum Gottesdienst versammeln.

Tor zur Welt

Shogun Tokugawa ordnete auch eine strenge Isolation des Landes an. Doch Nagasaki blieb Japans Tor zur Welt. Ab 1630 war es der einzige Hafen, über den offiziell Außenhandel betrieben wurde. Ausländische Händler durften sich jedoch nicht frei in der Stadt bewegen, sondern mussten auf der künstlich angelegten Insel Dejima leben. Heute rekonstruiert man dort die historische Bebauung mit Tatami-Häusern, Werkstätten und der Niederlassung der Niederländischen Ostindien-Kompanie, die den Handel und das Leben auf der Insel prägte.

Bayer in Japan

Einer der bekanntesten Bewohner Dejimas war Philipp Franz von Siebold. Der in Würzburg geborene Arzt kam 1823 auf Einladung der Ostindien-Kompanie nach Japan, um die niederländischen Händler medizinisch zu versorgen. Aufgrund seiner medizinischen Erfolge wurde ihm sogar erlaubt, sich außerhalb der Dejima anzusiedeln – eine Ausnahme in der Zeit der Abschottung. Er bildete Ärzte aus, führte Pockenschutzimpfungen und Staroperationen durch, gründete eine Schule und erforschte die Flora und Fauna des Landes. Siebold trug wesentlich dazu bei, Japan und Europa einander näherzubringen. In der Wissenschaft gilt er als Begründer der modernen Japanforschung. Bis heute wird er in Japan hoch verehrt.

In Nagasaki erinnert ein Museum in seinem ehemaligen Wohnhaus an Philipp Franz von Siebold, eine Straße trägt seinen Namen und sein Porträt ziert die Straßenbahnen der Stadt – eine erstaunliche Präsenz für einen Mann, der in Deutschland nur bei historisch Interessierten bekannt ist. Siebold fand seine letzte Ruhestätte übrigens auf dem Alten Südlichen Friedhof in München. Aus seiner Verbindung mit einer Japanerin ging 1827 seine Tochter Kusumoto Ine hervor. Als Siebold 1829 Japan verlassen musste, blieb sie zurück. Erst 30 Jahre später, bei seiner zweiten Japanreise im Jahr 1859, sah er sie wieder. Ine trat in die Fußstapfen ihres Vaters und widmete ihr Leben ebenfalls der Medizin. Als erste japanische Frauenärztin und Geburtshelferin nach westlichem Vorbild wirkte sie am kaiserlichen Hof in Tokio.

Lese- und Serientipp

Shogun. Der historische Roman von James Clavell beschreibt den Aufstieg des Fürsten Toranaga zum Shogun Anfang des 17. Jahrhunderts. Toranaga ist dem tatsächlichen Shogun Tokugawa nachempfunden. Auf Disney+ gibt es eine mit 14 Emmys prämierte Neuverfilmung des Romans in 10 Episoden. (Constanze Mauermayer)

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