304 km/h blinkt immer wieder über der Wagontür im Hochgeschwindigkeitszug bei der gut vierstündigen Fahrt von Peking nach Luoyang in der Provinz Henan. Genau heißt die Station Luoyang Longmen, was sogleich auf eine höchst wichtige Attraktionen verweist: die rund 1500 Jahre alten Longmen-Buddha-Grotten, seit dem Jahr 2000 UNESCO-Weltkulturerbe.

Henan mit seiner 3000-jährigen Geschichte, gilt ohnehin als Geburts- und Kernland der chinesischen Kultur, sprich des Zen-Buddhismus. Errichtet im 11. Jahrhundert v. Chr. diente Luoyang ab 770 v. Chr. mehreren Dynastien als Hauptstadt und war im 8. Jahrhundert n. Chr. eine der größten Städte der damaligen Welt. Doch der Glanz verblasste und Luoyang schrumpfte zur Kleinstadt. Passé ist die einstige Pracht. In der Altstadt mit ihren Werkstätten und Souvenirläden ist davon nichts mehr erhalten.
Nach wie vor ist Luoyang mit rund 1,5 Millionen Einwohnern im Stadtgebiet – plus Umland sind es sieben Millionen – im Vergleich zu Peking (etwa 25 Millionen) ein Provinzstädtchen, doch es tut sich was. Guide Zhao Wenzhi von China Tours wartet am Bahnhof und weist in die Runde. „Vor zehn Jahren waren hier nur Äcker“. sagt er in bestem Deutsch. Jetzt stehen die Hochhäuser Spalier und weitere sind im Bau. Wie sehr die Stadt in Bewegung geraten ist, zeigt sich im morgendlichen Berufsverkehr. Vater, Mutter, Kind zu dritt auf einer Vespa – ein übliches Bild. Zusammen mit flinken Radlern schlängeln sich solche Dreiergruppen durch das Gewusel von Autos, Lastern und Bussen. Eine Mutter, das schlafende Baby im linken Arm und mit einem Kind auf dem Rücksitz, kurvt einhändig ihren Weg. Hupen dient als Verständigung und alles geht gut.

Für die Erkundung von Henans Kulturschätzen ist Luoyang mit dem modernen Yaxiang Jinling Hotel eine passende Adresse. Der erste Ausflug gilt natürlich den erwähnten Buddha-Grotten von Longmen, begonnen um 495 n. Chr. unter der Herrschaft der Nördlichen Wei-Dynastie. Scharenweise folgen die Chinesen auf dem einen Kilometer langen Treppauf-Treppab-Parcours am Yi-Fluss den Spuren ihrer großen Geschichte, rücken mit Smartphone und Schirm (als Sonnenschutz) den mehr als 100 000 großen und kleinen Buddhas zu Leibe. „Westler“ sind kaum zu sehen, Henan ist noch weitgehend ein Geheimtipp.
Zhao erklärt die Unterschiede der aus dem harten Kalkstein herausgemeißelten Buddhas auf eigene Weise. „Schauen Sie, dieser Buddha in der Grotte der verborgenen Quelle hat ein rundes Gesicht und ein Doppelkinn. Weil die Kaiserin dick war, wurden ihre Formen zum Schönheitsideal.“ Dagegen habe der Buddha in der mittleren der drei Binyang-Grotten (von 505) ein schlankes Gesicht, eine große Nase und hohe Wangenknochen. Ganz besonders mag er die unzähligen, nur zwei Zentimeter großen „Minis“ in und an der im Jahr 680 vollendeten Zehntausend-Buddha-Grotte.
Schließlich mühen sich viele die Stufen zum Fengxian-Tempel aus dem Jahr 672 (Tempel der

Ahnenverehrung) mit dem Vairocana-Buddha hinauf. Oben angekommen imponiert dieser 17,14 Meter hohe, sitzende Buddha. „Der Kaiser hat das Gesicht nach dem seiner Frau Wu Zetian gestalten lassen. Ihre 1,92 Meter langen Ohren sind ein Zeichen für Glück“, erklärt Zhao.
Altersmäßig hat jedoch der schon im Jahr 68 errichtete „Tempel des weißen Pferdes“, der älteste in ganz China, die Nase vorn. Das weiße Steinross vor dem roten Eingang soll an die indischen Mönche Matanga und Gobharana erinnern. Auf einem Schimmel reitend brachten sie angeblich die ersten buddhistischen Schriften nach China. Es ist eine angenehm ruhige Anlage mit diversen Hallen unter hohen Bäumen und einem hübschen Pavillon. Hier wird intensiv gebetet. In Gold oder Bronze zeigt sich Shakyamuni, der Begründer des Buddhismus, teils in Begleitung von grimmigen Wächtern oder friedlichen Bodhisatvas, die den Menschen auf dem Weg ins erstrebte Nirwana helfen. Als Kontrast ein dicker lachender Buddha, der sich offensichtlich lieber den Bauch vollschlägt als fastend zu meditieren.
Eine Show, die die Zuschauer begeistert
Der trifft den Hang der Chinesen, möglichst dreimal täglich eine warme Mahlzeit zu essen. Das darf auch billig am Imbissstand sein. In guten Hotels und Restaurants biegen sich die Tische von all den frisch zubereiteten Gerichten. Was ebenso verblüfft, ist die allgemeine Sauberkeit. Es gibt sogar Familien-Toiletten für Vater, Mutter und Kind.

Rummel herrscht dagegen in dem 495 von Kaiser Xiao Wen gegründeten Shaolin-Kloster am Fuße des Song Shan Gebirges. „Hier leben noch 90 echte Mönche“, betont Zhao. Ob sie wohl alle Kampfkunst betreiben, durch die dieses Kloster berühmt wurde? Zu verdanken ist diese dem indischen Mönch Bodhidharma. Gemäß der Legende soll er im 6. Jahrhundert neun Jahre in einer nahen Höhle meditiert haben. Die hiesigen Mönche taten es ihm nach. Da aber stunden- und tagelanges meditatives Sitzen ungesund ist, soll sich Bodhidharma eine Gymnastik ausgedacht haben, die sich bald zur Kampfkunst entwickelte. In der Tang Dynastie kämpften die Mönche sogar für den Kaiser.
Heutzutage ist der „Shaolin Kung Fu“ ein friedlicher, aber höchst rasanter und risikoreicher Sport. Schon draußen auf dem Gelände trainieren die Schüler von Sportschulen für die erhoffte Kung Fu-Karriere. Zugegeben, was in der Halle gezeigt wird, ist eine Show, doch sie begeistert die Zuschauer. Es macht halt einen Unterschied, solches hautnah am Ursprungsort und nicht vorm Fernseher zu erleben.

Dicht an der Bühne sitzend, fasziniert einen die fabelhafte Geschmeidigkeit des Jüngsten ebenso wie die Wahnsinnsgeschwindigkeit herum wirbelnder Stöcke und Schwerter durch die Größeren. Die starke Konzentration, die das ermöglicht, ist deutlich spürbar. Einer biegt gar mit dem Hals eine lange Holzstange um. Ein durchtrainierter Kung-Fu-Kämpfer kennt weder Angst noch Schmerz.
Es ist kein „Fake“, wenn sich zuletzt einer mit der Nadel in der Hand auf eine Glasscheibe stürzt und diese durchbohrt, sodass der dahinter gehaltene Luftballon platzt. „Nein“, sagt Zhao, der früher selbst Kung Fu gemacht hat. „Das geht alles mit der Atemtechnik und braucht mindestens sieben Jahre hartes Üben.“ Die zierlichen tierischen Wasserspeier auf einem der geschwungenen Dächer haben den leichteren Job.
Nach Kampfsport live wollen auch die eigenen Beine ihre Fitness beweisen. Tatort wird der von der UNESCO geadelte Yuntaishan Weltgeopark. Nur 2,9 Kilometer lang ist der Wanderweg, hat aber fast 1000 Stufen. Immer geht’s auf und ab, entlang an rötlich braunen Felswänden mit Blick auf türkisfarbene Seen und rauschende Wasserfälle. Ständig wechselnde Bilder, ein einprägsames Naturerlebnis trotz der Menschenschlange.
Alle sind bester Stimmung, laufen alleine oder mit Freunden. Mütter schleppen ihre Babys, manch jüngere Leute bugsieren die Großeltern sicher über die geländerlose Felsbrücke. Zuletzt noch eine Schmalstelle mit steil ansteigenden Stufen. Ein Griff in die beiderseitigen Kletterketten hilft enorm. Nun noch hinauf zur Straße, denn dort warten der Bus und leider auch der Abschied aus dieser grandiosen Natur.
(Ursula Wiegand)
(Zwei große Bodhisatva im Fengxian-Tempel. Die Altstadt von Luoyang. Im Weltgeopark Yuntaishan. Kung Fu-Truppe im Shaolin-Kloster. Familie unterwegs auf einem Roller - Fotos: Ursula Wiegand)
(Hinweis der Redaktion: Diese Recherche wurde vom Spezialveranstalter China Tours, Hamburg, unterstützt)
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