"Gefällt Euch mein Büro?“, fragt Werner Schuh und blickt erwartungsvoll in die Runde. Diese Frage muss rhetorisch gemeint sein, angesichts der Arbeitsplatzes des Naturpark-Rangers. Denn, wer würde nicht niederknien vor all der Schönheit, hier am Talschluss Kolm Saigurn zu Füßen der Dreitausender, der Goldberggruppe, dem Hocharn und dem Sonnenblick. Im 15. und 16. Jahrhundert war dieses, heute auch „goldene Tal der Alpen“ genannte 30 Kilometer lange Raurisertal der Arbeitsplatz von Tausenden von Goldsuchern.
Mehr als 100 Jahre lang, bis 1927, wurde in Kolm Saigurn, am Fuße des Hohen Sonnblicks das edle Tauerngold systematisch abgebaut. Zur Blütezeit des Bergbaus wurden 10 Prozent des Goldweltvorkommens in der Goldberggruppe zu Tage gefördert. „Das Tal der Gesetzlosen“ nannte man damals den düsteren Ort, wo nur das Gesetz des Goldrausches herrschte. Heute sind es die Ranger des Nationalparks Hohe Tauern, wie Werner Schuh, die das Hochgebirgstal ihre Arbeitstätte nennen dürfen, während sie ihre Gäste auf den alten Goldgräberwegen durch den „Urwald“ führen.
„Urwald“ nennt Schuh den Talschluss liebevoll und betont damit die naturbelassene Schönheit dieses Ortes, wo uralte Bäume, Zirben und Tannen von Menschenhand unbehelligt wachsen können, wo, fast ausgestorbene Tiere wie der Schneehase und der Bartgeier sich wieder ansiedeln. „Schaut, da oben!“. Der Ranger deutet auf die Felswände der Moosenwand. „Hier nistet jedes Frühjahr unsere Alexa. Sie brütet da oben in der Steilwand sicher gerade wieder eines ihrer Küken aus.“ Alexa ist keine künstliche Intelligenz, sondern eine Bartgeierdame.
Die „Königin der Lüfte“ ist der Star des Rauriser Urwalds. Der Nationalpark Hohe Tauern mit seinen 18000 Quadratkilometern ist ihre Bühne. „Sie hat bereits zehn Küken ausgebrütet. So hat sich die Bartgeierpopulation hier wieder angesiedelt. 1986 wurde das Raurisertal zur Wiederansiedlung der Bartgeier in den Alpen ausgewählt.“ Seither zeigen Werner Schuh und seine Kollegen den Gästen die majestätischen Greifvögel und ihre Artgenossen, Gänsegeier und Steinadler, aber auch Murmeltiere, Gämsen und den Schneehasen in freier Wildbahn.
Heute gibt es in diesem Schneeloch das Naturspecktakel auf Schneeschuhen hautnah zu erleben. Es geht mitten hinein in den „Urwald“. Abseits der ausgetretenen Pfade. Plötzlich bleibt der Ranger stehen, beugt sich hinunter in den Schnee und fährt mit seinem Stock die Spuren der scheuen Tiere nach. „Der Schneehase müsste gerade erst hier gewesen sein, er hat uns gespürt, als wir um die Ecke gebogen sind“, erklärt er und verweist auf die frischen Kötteln, die sich schwarz vom Schnee abheben, daneben hat das zierliche Rotwild feine Spuren hinterlassen.
Ein paar Schneeschuhstapfer weiter steckt Werner Schuh seine Finger in den Schnee, nimmt eine Hand voll und steckt ihn genüsslich in seinen Mund: „Schmeckt besser als Champagner!“, lacht er. Champagner-Powder nenne man das in Kanada. Auch dort hat Werner Schuh schon Gäste durch die Nationalparks geführt.
Kasnocken, Rodeln
und Skifahren
Während er uns kreuz und quer durch die Schnee bedeckte Landschaft begleitet, erzählt er alle möglichen Geschichten aus seinem bewegten Leben mit Grizzlybären und Tom Cruise, seinem berühmtesten Gast, vom Heliskiing sowie Eisklettern und beendet seine Tour am Alpengasthof Bodenhaus mit dem Satz: „Glaubst mir, ich hab schon viel erlebt, aber hier im Rauriser Tal ist es am schönsten!“
Dem erfahrenen Ranger glaubt man gerne. Dieses Tal im Bundesland Salzburg mit dem urigen Hauptort Rauris hat noch viele Schätze, die man erkunden kann. Abends steht vielleicht Rodeln auf dem Plan, vorausgesetzt, es ist ein Montag oder Donnerstag. Dann nämlich wird der nostalgische Kreuzboden-Sessellift bei Flutlicht in Bewegung gesetzt. Mit Rodeln behängt gondelt er mit den Liftinsassen hinauf zur Kreuzbodenalm.
Wer anschließend mit dem Rodel über die zwei Kilometer lange Bahn hinunter sausen möchte, sollte sich erstmal an der Spezialität des Hauses stärken: Mit den im ganzen Pinzgau bekannten Kasnocken, die in einer riesigen Pfanne für alle am Tisch serviert werden. Das besondere an dem Bergkäse ist: Seine Fäden dürfen von der Pfanne bis in den Mund nicht abreißen.
Klein aber fein und noch ein Geheimtipp, das ist auch das Skigebiet von Rauris. Zwar gibt es nur 32,5 Pistenkilometer im Skigebiet Hochalmbahnen, doch das Raurisertal ist dank seiner Lage von 950 Metern auch dann noch ein Schneeloch, wenn woanders längst Tauwetter angesagt ist. Der Ausblick auf die umliegenden Berge, wie Goldberggruppe, den Großglockner, den Hochkönig und das Steinerne Meer ist von der Bergstation der Gondeln beeindruckender als von den bekannteren Skigebieten. Diejenigen, die noch höher hinauswollen, begleiten Werner Schuh und seine Kollegen auf einer Ski- oder Bergtour zur höchsten dauerhaft bemannten Wetterstation Europas, auf den Hohen Sonnblick, bis auf 3106 Meter. Ein beeindruckendes architektonisches Zeugnis der Fertigkeit von Bauingenieuren aus dem 19. Jahrhundert.
Aus den Tiefen des Bergmassivs der Goldberggruppe wäscht der Wasserfall im Frühjahr und Sommer seit Jahrhunderten jedes Jahr aufs Neue Spuren von Gold aus. Wer Glück hat, erwischt ein bisschen Goldstaub oder so meint Werner Schuh „auch mal ein Goldfuzerl“. Denn der Klimawandel macht auch vor dem Rauriser Tal nicht Halt und trägt immer häufiger dazu bei, dass ganze Muren abgehen, manchmal durchsetzt mit Goldstaub. Dann bricht regelmäßig jedes Jahr im Sommer das Goldfieber im Rauriser Tal aus. (SONJA VODICKA)
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