In der norditalienischen Region Trentino treffen zwei Welten aufeinander: das mediterran anmutende Valsugana mit seinen Palazzi, Flusslandschaften und Termen und die Alpe Cimbra, eine Hochebene mit jahrhundertealter Sprachtradition, mittelalterlichen Burgen, Forts aus dem ersten Weltkrieg und Kunstwerken in der Natur.
Einfach mal abbbiegen, von der Brenner-Autobahn, weg vom Stau in Richtung Gardasee. Auf dem Schild der Autobahnausfahrt steht neben “Trento Nord” noch “Valsugana” geschrieben, ganz unauffällig. Doch - so unauffällig und bescheiden das hinter hohen Bergen versteckte Tal ist, so bedeutsam war es in der Vergangenheit. Das Valsugana, flankiert im Norden von der Lagorai-Kette und im Süden von den Vizentiner Alpen zu denen auch die Hochebene von Lavarone und Folgaria gehört -ist noch unentdeckt geblieben vom heutigen Massentourismus, obwohl es in der Vergangenheit sogar ein wichtiges Ziel war, nicht nur für die Habsburger.
Genussradeln entlang der Brenta: Valsugana entdecken
Entdecken kann man das weite, grüne Tal am besten erstmal auf zwei Rädern. Der Valsugana-Radweg, einer der schönsten Radwege Norditaliens, schlängelt sich durch das grüne Tal entlang der Brenta, eines Flusses, der in den Brenta-Dolomiten entspringt und sich dann zwischen Levico Terme und Bassano del Grappa sanft durch das Valsugana windet. Besonders schön ist der Abschnitt von Levico nach Borgo Valsugana. Rund 15 Kilometer lang führt er mit wenig Steigung immer am Fluß entlang durch Auen, Wiesen und kleinen Siedlungen, vorbei an Apfelhainen und alten Mühlen.
Unser Ziel, Borgo Valsugana, zählt offiziell zu den „Borghi più belli d’Italia“ – den schönsten Dörfern Italiens. Und das völlig zu Recht: Entlang der Via Roma reihen sich elegante venezianische Palazzi, schmucke Brücken und kleine Cafés. Die Architektur mit Laubengängen, Innenhöfen und kunstvollen Fassaden erinnert an die Nähe zur venezianischen Handelswelt – auch wenn das Valsugana historisch nie Teil der Republik Venedig war. Der kulturelle Austausch mit der Serenissima, entlang der alten Handelsrouten hat jedoch deutlich sichtbare Spuren hinterlassen.
Nach einem Eis von “Heidi” einer kleinen Eisdiele im Ortszentrum geht es zurück in Richtung Levico – mit seinem dunkelgrünen See, der an einen Fjord erinnert und seinen Parkanlagen aus der Habsburger Zeit.
Levico Terme: Thermaltradition unter habsburgischem Einfluss
Levico Terme ist die zweite Überraschung auf dieser Reise: Das heute eher unbekannte Städtchen mit gepflegten Parks, eleganten Hotels und Promenaden war einst ein bevorzugter Kurort der Habsburger. Im 19. Jahrhundert entdeckte man hier ein hochkonzentriertes Eisenarsenheilwasser, das eine besondere therapeutische Wirkung entfaltet. Die österreichisch-ungarische Monarchie erkannte das Potenzial dieser Quelle und ließ Levico systematisch zum Kurort ausbauen – im Stil der Belle Époque.
Kaiserliche Beamte, Aristokraten und Offiziere reisten aus Wien an, um im Grand Hotel oder im Kurhaus Heilung und Erholung zu finden. Die Stadtstruktur spiegelt diesen Einfluss bis heute wider: breite Alleen, Parkanlagen nach englischem Vorbild und die imposante Architektur der Jahrhundertwende prägen das Stadtbild.
Oberhalb des Städchtchens, In den Lagorai Alpen, auf 1500 Meter entspringt das Heilwasser der Fonte di Acqua Forte (starkes Wasser). Auf Grund von seiner rötlichen Färbung ist sie auch bekannt als Fonterossa-Quelle (rote Quelle).
Damals wie heute ist das Heilwasser aus der Fonterossa-Quelle besonders reich an Eisen, Sulfat, Arsen und anderen Mineralien. Es wirkt entzündungshemmend, stärkt das Immunsystem und wird vor allem bei Hauterkrankungen, rheumatischen Beschwerden und Erschöpfungszuständen eingesetzt. Die Therme von Levico bietet auch heute noch Anwendungen, die auf dieser über hundertjährigen Tradition basieren – alles in einem Ambiente zwischen verwunschener k.und k. Noblesse und italienischer dolce vita.
Arte Sella: Wenn die Natur zur Galerie wird
Die Entdeckung Nummer drei hinter den Bergen von Trento liegt im stillen Valle di Sella, oberhalb von Borgo Valsugana: die Arte Sella. Diese Freiluft-Kunstausstellung ist mehr als ein Museum – sie ist ein Dialog zwischen Mensch, Kunst und Natur. Entstanden in den 1980er-Jahren als kreatives Experiment, hat sich Arte Sella zu einem internationalen Zentrum für Land Art entwickelt.
Mehr als 60 großformatige Skulpturen und Installationen stehen hier zwischen Bäumen, auf Wiesen, an Berghängen. Sie bestehen ausschließlich aus Naturmaterialien – Holz, Steinen, Ästen, Blättern – und fügen sich auf organische Weise in die Umgebung ein. Viele Werke verändern sich im Lauf der Zeit, wachsen mit den Jahreszeiten oder verfallen langsam. Die Natur wird nicht nur Umgebung, sondern auch Mitgestalterin.
Einige der Werke tragen große Namen: Alberto Meda, Aldo Cibic, Matteo Poli. Besonders beeindruckend ist der vegetabile Dom – eine begehbare Kathedrale “Tree cathedal” von Giuliano Muri“ oder das an eine Ruine aus Eisendraht erinnernde Werk “the last bastion of architecture: this is what we have left” von Eduardo Souto di Moura, der Knoten aus zwei Baumriesen “Common root” von Künstler Marc Fornes: eine organisch anmutende Struktur, die an einen riesigen verwobenen Baumknoten oder ein gewachsenes Wurzelgeflecht erinnert. “Sabir”, scheint ein mitten im Wald gelandetes, buntes Ufo zu sein. Es ist eines der neuesten Kunstwerke von Velasco Vitali, zusammengebaut aus Stücken untergegangener Flüchlingsboote.
Der Besuch der Arte Sella ist ein sinnlicher, meditativer Spaziergang, der die Wahrnehmung für Licht, Raum und Landschaft, aber auch den kritischen Umgang damit schärft - still, poetisch und nachhaltig.
Von Burg zu Castel
Nach einem Mittagsstopp im Gartenrestaurant des Arte Sella “All’Ersilia” führt unsere Route weiter durchs Valsugana zum mittelalterlichen Castel Ivano. Hoch über Ivano-Fracena gelegen wachsen an 10 Hektar Weinbergen, auf dem vulkanischen Boden der Lagorai, die Reben von vier Sorten: Chardonnay, Pinot Noir, Kerner und der besonders schädlingsresistente Solaris. In der Cantina Terre del Lagorai werden jährlich 50 000 Flaschen daraus gekeltert. Önologe Stefano Dalledonne erklärt im romantischen, mit Rosen umwucherten Burghof, welchen Einfluß die umliegenden Berge und ihr mineralisches Gestein auf den Geschmack seiner Weine haben.
Gegen Nachmittag geht es weiter zur nächsten Burg, dem Castel Pergine. Das spätgotische Schloss thront über der Stadt Pergine Valsugana. Eine junge Stiftung hat die Burg, die ihre Ursprünge im Jahr 845 hat vor dem Verfall gerettet und es als Hotel, Künstlerresidenz und Veranstaltungsort sanft restauriert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Der Tegazzo-Hügel, auf dem das Ensemble liegt, bietet einen atemberaubenden Panoramablick auf das Valsugana – besonders stimmungsvoll bei Sonnenuntergang.
Alpe Cimbra: Hochplateau mit Sprache und Radare
Wenige Kilometer weiter westlich liegt die Alpe Cimbra – eine Hochebene auf 1000 Metern Höhe mit weiten Wäldern, kleinen Weilern und einer einzigartigen Kultur. In Luserna wird bis heute Zimbrisch gesprochen, ein altbairischer Dialekt aus dem Mittelalter. Die ersten Ansiedlungen gehen auf das 12. Jahrhundert zurück und machen diese Sprachinsel zur ältesten ihrer Art weltweit.
Unsere Wanderung führt von Volgaria, entlang der ehemaligen Grenze, die hier bis zum ersten Weltkrieg zwischen Österreich und Italien verlief, zum Rifugio Baita Tonda, durch Almen und Lärchenwälder, vorbei an einem Relikt des Ersten Weltkriegs, einem verfallenen Fort, der einst den italienischen Soldaten als Stützpunkt diente, dem Forte Dosso delle Somme. Zum Passo Coe ist es noch eine knappe Stunde. Dort, inmitten einer harmonischen Berglandschaft, die hier eher an norwegische Hochebenen erinnert, liegt auf 1600 Metern, der fast kreisrunde, türkisblaue Coe See. Daneben die “Base Tuono”. Radare und Raketen richten sich gegen den stahlblauen Himmel. Ein unglaublicher, fast furchterregender Kontrast in dieser Alpen- Idylle. Während des Kalten Krieges lebten und arbeiteten an dieser Luftabwehrbasis 50 Soldaten der NATO und beobachteten von hier aus den Luftraum um ihn vor einem möglichen Angriff der Luftstreitkräfte des Warschauer Paktes zu schützen. Damals waren die Raketen der Abschussbasis Alfa in ständiger Abschussbereitschaft. Seit 2010 führt der Journalist Maurizio Stuffi, der diese Zeit noch hautnah miterlebt hat, durch die restauraurierte Base Tuono, die heute nur noch als Museum und Gedenkstätte dient. Er erzählt von der F-1045, von Nice-Hercules Abfangjägern, Raktenstarts und Angriffskorridoren, über die schaurige Vergangenheit des Kalten Krieg, din dieser Idylle so absurd und doch aktueller denn jemals zuvor erscheint– erschreckend anschaulich und zum Greifen nahe. (Sonja Vodicka)
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