Freizeit und Reise

Der Huttornado im Hutmuseum Lindenberg. (Foto: Friedrich H. Hettler)

12.11.2019

Hüte, Glasperlen und Kuchen

Das Allgäu ist reich an Geschichte und auch Handwerkskunst

Die Geschichte des Allgäus und ihrer Städte kann der Besucher auch bestens mittels des dort ausgeübten Handwerks erleben. Früher waren Handwerker in Zünften vereint und schufen eine Kultur, die uns heute noch prägt. Stolze Zunfthäuser in den historischen Städten zeugen davon. Manches Handwerk hat sich bis heute an Ort und Stelle erhalten. So etwa die Bäcker, die sich heute als Allgäuer Bäcker übrigens wieder vereint haben.
Den eigenen Hut bei der Modistin – ein Beruf, den es schon fast nicht mehr gibt – kreieren, bei der Glasbläserin selbst kreativ werden und Glasperlen zu Schmuck verarbeiten und nach Omas alten Rezepten backen, das Alles ist hier im Allgäu möglich.

Die Stadt Lindenberg liegt auf einer natürlichen Sonnenterrasse oberhalb des Bodensees und zu Füßen der Hochalpen. Der Luftkurort in quasi nebelfreier Höhe (750 bis 824 Meter über dem Meer) ist mit ihren rund 11 500 Einwohnern der wirtschaftliche und kulturelle Mittelpunkt des Westallgäus. Ihre Tradition als einstmals führende Hutmacherstadt in Deutschland pflegt die Kommune jährlich am Lindenberger Hut-Tag, der im Frühling stattfindet.

Darüber hinaus befindet sich in Lindenberg auch das Deutsche Hutmuseum. Auf einem Rundgang in einer der größten Hutfabriken jener Zeit, der ehemaligen Hutfabrik Ottmar Reich, kann der Besucher auf zwei Etagen mit rund 1000 Quadratmetern Ausstellungsfläche barrierefrei eintauchen in 300 Jahre Hutherstellung, Hutmode und Hutstadt. Dabei erfährt man, unter welchen Bedingungen die Hüte einst im Allgäu produziert wurden, insbesondere die Strohhüte, und wie es war, als beinahe tout le monde Hüte aus Lindenberg trug. Zu den drei Themen wird natürlich immer der passende Hut aus der Museums-Sammlung gezeigt.

Millionen Strohhüte

Bereits 1755 wurde die erste Hut-Compagnie in Lindenberg gegründet. Sie teilte die einzelnen Herstellungsschritte auf und übernahm die Organisation und den Vertrieb, sodass nicht mehr die ganze Familie den Hut von der Ernte bis zum Verkauf betreute. Borten wurden jetzt angekauft und zum Nähen an die Heimarbeiterinnen und Heimarbeiter weitergereicht. Für die Menschen vor Ort war das der Wechsel hin zu Lohnarbeit. Der Strohhut konnte jetzt in großer Zahl hergestellt und verkauft werden.

Die ersten Hutfabriken wurden in Lindenberg um 1830 gegründet; bis 1900 gab es dann im Ort und der näheren Umgebung bereits 34 Strohhuthersteller, darunter 14 Hutfabriken mit rund 3000 Beschäftigten. Sie produzierten viele Millionen Strohhüte im Jahr.

Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen aber weniger die Exponate als vielmehr die Menschen – fleißige Heimarbeiterinnen, mutige Huthändler und mächtige Fabrikanten.

Und ein besonderes Zuckerl bietet das Hutmuseum (www.deutsches-hutmuseum.de) für Besucher darüber hinaus: Als Gruppe kann man nach vorheriger Anmeldung einen Workshop belegen und unter Anleitung selbst kreativ werden und ein eigenes, neues Hutmodell kreieren und garnieren. Ein Spaß, den man sich nicht entgehen lassen sollte.

Im Glasmacherdorf Schmidsfelden bei Leutkirch hat sich diese alte Handwerkskunst wieder etabliert. Hier kann man beispielsweise der Glasbläserin Gabriele Hummel über die Schulter schauen und sogar ein eigenes persönliches Schmuckstück gestalten und anfertigen.

„Kreative Arbeiten begleiten mich schon seit meiner Schulzeit. Immer wieder habe ich neue Leidenschaften entdeckt und ausprobiert, zum Beispiel Stricken, Sticken, Laubsägearbeiten und Tiffany. 2005 habe ich mich selbstständig gemacht und fertige seither Modeschmuck, Holz- und Floristikartikel in reiner Handarbeit an. Da ich nun mein eigener Chef bin, sind und waren meiner Kreativität keinerlei Grenzen gesetzt und so konnte ich in den vergangenen Jahren meine Fähigkeiten immer mehr verbessern“, erklärt Gabriele Hummel. 2007 belegte sie zwei Kurse im „Perlen Drehen“, seither ist sie ihren eigenen Worten zufolge „dem Perlenfieber verfallen“ und stellt jetzt ihre Glasperlen selbst her. Jede handgedrehte Perle ist daher ein Unikat.

In ihrer Werkstatt (www.glasstudio-schmidsfelden.de) verwendet sie für den Großteil ihrer Perlen Glas aus Murano. Weitere Gläser bezieht Hummel von namhaften Glashütten aus Deutschland und Amerika. Durch die große Farbpalette kann sie somit auf fast jeden Kundenwunsch eingehen. „Mit der Eröffnung des Ateliers mit Werkstatt ging für mich ein lang ersehnter Traum in Erfüllung“, so die Glasbläserin. Mittlerweile hat sie auch ihren Mann mit der Leidenschaft fürs Glasblasen angesteckt.

In ihrem Glasstudio – im historischen Oberhaus in Schmidsfelden – mit offener Werkstatt entstehen in liebevoller Handarbeit Glasperlen, Glasmurmeln und mundgeblasene Glasobjekte an speziellen Brennern. Mit diesen Brennern wird das Glas bei einer Temperatur von etwa 1400 bis 1800 Grad erhitzt und zum Schmelzen gebracht. Zur Herstellung der Glasperlen werden Farbglasstäbe in verschiedenen Farbtönen verwendet. Aus den Glasperlen entstehen dann einzigartige Schmuckstücke.

Handgedrehte Unikate

Für kleine Gruppen (maximal sechs Personen) bietet Hummel Workshops an. In rund drei Stunden wird man in die Welt der Glasperlen eingeführt, entführt und entdeckt wunderbare Farben sowie Formen. Jeder Teilnehmer fertigt hoch konzentriert unter ihrer fachkundigen Anleitung einige Glasperlen. Nach dem Abkühlen wird aus diesen Glasperlen ein kleines Schmuckstück (zum Beispiel Schlüsselanhänger, Anhänger oder Makrameearmband) gefertigt. Ein absolut handwerkliches Highlight für jeden Teilnehmer.

Lebendig und voller Geschichte: Die quirlige Einkaufs- und ehemalige Römerstadt Kempten (Cambodunum) ist die Metropole des Allgäus. Die Stadt kann auf eine 2000jährige Historie zurückblicken. Hier lassen sich daher viel Geschichte und moderne Bauwerke entdecken, beispielsweise am St.-Mang-Platz, dort führen 23 Stufen hinab in Kemptens Geschichte und die unterirdische Erasmuskapelle, die eine spannende Multivisionsshow bereithält.

Die Mauern der ehemaligen Erasmuskapelle wurden mit stimmungsvoller Beleuchtung, mit Projektionen und Hörbildern zum Sprechen gebracht. Sie erzählen von fast acht Jahrhunderten wechselvoller Geschichte – vom Beinhaus zur Kapelle St. Erasmus, von der Kapelle zur Trinkstube, vom Weinkeller zum Schützengraben, von der Ruine zum Schauraum.

Im Vorfeld der Neugestaltung des St.-Mang-Platzes waren archäologische Untersuchungen notwendig. Dabei entdeckte man 2008, wie gut das untere Geschoss der ehemaligen Michaelskapelle, das dem hl. Erasmus geweiht war, noch erhalten ist: Mit verputzten Wänden, Resten von Wandmalereien und zahlreichen Ausstattungsdetails wie Gewölbeansätzen, Treppen, Fenstern und Wandnischen ist es ein dreidimensionales Geschichtsbuch vom Mittelalter bis zur Neuzeit.

Sehr interessant und sehenswert ist aber auch der Archäologische Park Cambodunum. Der antike griechische Geograf Strabon (etwa 63 v. Chr. bis 23 n. Chr.) erwähnt „Kambodounon“ als Stadt (Polis) des keltischen Stamms der Estionen im Zusammenhang mit der Eroberung des Voralpenraums durch die Römer. Strabon überliefert damit das älteste schriftliche Zeugnis einer städtischen Siedlung zur Römerzeit im heutigen Deutschland. Trotz archäologischer Forschungen im Raum Kempten seit 1885 fehlt jedoch bis heute jede Spur dieser keltischen Siedlung.

Nachgewiesen wurde dagegen die römische Stadt Cambodunum (bedeutet soviel wie „Burg oder Siedlung an der Flusskrümmung“) auf dem östlichen Hochufer der Iller im heutigen Kempten. Sie wurde unter Kaiser Augustus um die Zeitenwende gegründet und lag in der römischen Provinz Raetien im heutigen Bayern. Im 1. Jahrhundert nach Christus erlebte Cambodunum ihre größte Blütezeit.

Der Archäologische Park Cambodunum (APC) präsentiert heute das unüberbaut gebliebene Zentrum der Römerstadt mit dem gallorömischen Tempelbezirk, den kleinen Thermen und dem Forum.

Ein besonderes Highlight im Archäologischen Park Cambodunum ist das Römerfest, das 2020 bereits zum vierten Mal stattfindet. Während der zweitätigen Veranstaltung am 1. und 2. August erfüllen bekannte römische Darstellergruppen aus Deutschland und Europa das Gelände der römischen Stadt Cambodunum mit regem Leben. Neben rasanten Reiterspielen und atemberaubenden Gladiatorenkämpfen erhalten die Besucher Einblicke in das Leben der Römer vor 2000 Jahren und können sich neben antiken Handwerkstechniken auch über den letzten Schrei in Sachen römischer Mode informieren. Ergänzt wird das Rahmenprogramm von vielen Mitmachstationen für Kinder. Hier können die Kinder „echte“ römische Kleinigkeiten unter fachkundiger Anleitung herstellen und mitnehmen. Dies alles macht das Römerfest zu einem einmaligen Erlebnis.

Backverrückte Schwestern

Und in diesem geschichtsträchtigen Kempten haben sich die beiden backverrückten und süßkramsüchtigen Schwestern Monika Kreisel und Elisabeth Ostheimer ihrer Leidenschaft fürs Backen verschrieben (www.zwei-schwestern.net). Die beiden haben sich ihren eigenen Aussagen zufolge schon seit sie denken können fürs Backen interessiert – „den Grundstein hierfür hat wohl unsere Mutter gelegt“. Bereits als kleine Zwerge waren sie mit Backformen, Spritzbeutel und Teigrolle am Werk. Weiter ausgebaut haben Moni und Elisabeth dieses Interesse in Ferienjobs in einer Bäckerei. Und seit September letzten Jahres bieten sie einzigartige Backkurse an.

Allerdings haben Monika und Elisabeth ihr Hobby nicht zum Hauptberuf gemacht, sondern ihre Festanstellungen behalten. „Wir wollten, dass unser Projekt ein Nebenberuf bleibt, damit wir unsere Kurse weiter mit Idealismus und Liebe zum Detail gestalten können, ohne uns Gedanken darüber zu machen, ob wir uns rein wirtschaftlich die Zeit für bestimmte Dinge nehmen dürfen“, erklären die beiden.

Wer auf der Suche nach einem besonderen Event ist, bei dem man in entspannter Atmosphäre etwas lernen kann und außerdem auf leckeres Gebäck steht, der ist in einem Backkurs der ZweiSchwestern perfekt aufgehoben. „Bei uns findest du Backkurse die absolut nicht Mainstream sind – denn wir gestalten sie mit viel Herzblut, Kreativität und Liebe zum Detail“, so Moni und Elisabeth unisono.

Das Kursangebot variiert je nach Jahreszeit und Saison – in dem sich aber alles um leckeres, selbstgemachtes Gebäck dreht. Alle Rezepte dieser Kurse entstehen in den Köpfen der beiden und werden exklusiv nur mit den Teilnehmern geteilt. Und da sie ihre Heimat, das Allgäu, sehr lieben, verwenden sie für ihre Rezeptkreationen gerne saisonale Produkte aus der Region.

Mit ihrem gemeinsamen Projekt wollen sie ihre Begeisterung und Ideen mit den Kursteilnehmern teilen und freuen sich auf eine gute Zeit und jede Menge Leckereien.

Mittlerweile haben die beiden auch ihr erstes Backbuch herausgebracht (Mit Liebe gebacken. Das Backbuch fürs ganze Jahr). Darin befinden sich auf 160 Seiten über 70 tolle Rezepte für das ganze Jahr, die die Schwestern mit ganz viel Liebe und Leidenschaft zusammengestellt haben. „Wir versprechen euch, es wird fruchtig, süß und in jedem Fall richtig lecker.“ (Friedrich H. Hettler)

(Die Modistin Marita Prestel beim Hut-Workshop. Unterschiedlichste Strohhüte in der Ausstellung. Gabriele Hummel beim Anfertigen einer Glasperle. Die ZweiSchwestern Monika (l.) und Elisabeth. Monika hilft beim Backkurs - Fotos: Friedrich H. Hettler)

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