Für eine Zeitreise in die religiös wie kulturell wirkmächtigen Dekaden der Reformation und Renaissance muss man anderenorts aufwendige Inszenierungen betreiben. Oder viel Phantasie mitbringen. Nicht so in Rothenburg ob der Tauber. Hier ist die Stadt selbst schon die beste Bühne, um die bahnbrechenden Ideen, die Kriegswirren und wirtschaftliche Blütezeit des 15. und 16. Jahrhunderts auferstehen zu lassen. Im Ring der wehrhaften Stadtmauern hütet Rothenburg ein prächtiges Bukett aus herrschaftlicher Architektur, viel Romantik und stolzer Geschichte. Zur Lutherdekade widmen sich zwei außergewöhnliche Ausstellungen der Reformation und ihrer Auswirkungen rund um die Person Martin

Luthers. Während es im Reichstadtmuseum um erste „Likes“ und „Shitstorms“ in der Mediengeschichte geht, dreht sich im Kriminalmuseum alles um Hexenwerk und Teufelszeug, und die historischen Themenführungen leiten Schritt für Schritt durch spannende Stadtgeschichte.
Hexen sind uns heute einfach nur Protagonisten im Märchen, in der Frühen Neuzeit aber grassierte eine leibhaftige Hexenangst: Folter und Verbrennungen standen leider Gottes nur zu oft auf der Tagesordnung. Das Mittelalterliche Kriminalmuseum nimmt sich ab 1. Mai 2016 bis zum Schluss der Reformationsdekade Ende 2018 dieses vielschichtigen Themas an und stellt insbesondere Martin Luther in den Fokus. Der polterte bekanntermaßen oft und gern und wetterte mit Feuereifer über Zauberei und Hexenwerk. Gleichwohl wohnte ihm als Seelsorger auch eine milde Seite inne, weshalb er nicht selten auch mildere und versöhnlichere Töne anschlug, so Museumsdirektor Markus Hirte. Die Sonderausstellung geht anhand zahlreicher außergewöhnlicher Exponate, moderner Museumstechnik und lebendigen Erläuterungen auch auf die juristischen und sozialen Auswüchse der Hexenverfolgung in Franken und Rothenburg ein.
Die Reformation wäre wohl niemals zu einem so umwälzenden Ereignis für Europa, ja für die ganze Welt geworden, hätte es die Fortschritte im Buchdruck nicht gegeben. Luthers Schriften machten in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein Drittel der deutschen Buchproduktion aus, seine Bibel erreichte

eine Auflage von gut 500.000 Exemplaren. Daneben wurden Flugschriften gedruckt, die reißenden Absatz fanden. Den Meistersinger Hans Sachs etwa inspirierten Blätter mit Lutherschriften zu dem Lobgedicht „Die Wittenbergisch Nachtigall“ - ein erstes „Like“ der Neuzeit könnte man sagen. Das Reichsstadtmuseum widmet sich ab Oktober ein Jahr lang dem Glaubens- und Kulturkampf der in diesen neuen Medien zum Ausdruck kommt. Es führt durch den reichen Fundus reformatorischer Flugblätter von Kanzler Georg Vogler und macht auch anschaulich, dass Hasspredigten, Schmähungen und der Aufruf zum Bildersturm – also die Verführung beziehungsweise der Aufruf zu Terror und Zerstörung – keine Erfindung der modernen Medien sind. Die Ausstellung (2. Oktober 2016 bis 30. September 2017) beleuchtet die Konflikte jener Zeit und zeigt, welche Rolle gerade dem gedruckten Wort darin zukommt.
Tagung über Tilman Riemenschneider
Der Bildschnitzer, Bildhauer und Ausnahmekünstler Riemenschneider wird vom 21. bis 23. Juni 2017 zudem die Tagung „Riemenschneider in Situ“ beschäftigen. Seine Werke, insbesondere diejenigen, die sich nicht in Museen befinden, in ihrem räumlichen Kontext zu analysieren, ist denn auch das Credo der Veranstaltung. Der Korrespondenz von Raum, Werk und Betrachter soll anhand von Referaten sowie Exkursionen zu exemplarischen Orten in und um Rothenburg nachgegangen werden. Die Vorträge im Tagungsort Wildbad sind öffentlich, ein detailliertes Programm wird rechtzeitig zur Verfügung gestellt.
Bei einer rund zweistündigen Thementour spaziert man geradezu in Rothenburgs Geschichte hinein. Herrschaftliche Bürgerhäuser reihen sich dicht an dicht, die Rathausfassade mit ihrem eindrucksvollen Arkadenvorbau ist ein Paradebeispiel der neuen Renaissance-Baukunst und gleichzeitig sichtbarer Ausdruck eines erstarkten Selbstbewusstseins der Stadt. Obwohl schon früh den Lehren Luthers zugeneigt, verzögerten die Bauernkriege die Reformationsbemühungen in Rothenburg um gut 20 Jahre, etablierten sich aber schließlich umso fruchtbarer. Davon zeugen die große Lateinschule als Hort humanistischer Bildung ebenso wie die Abbildungen Luthers und Melanchthons in den Kirchenfenstern von St. Jakob. Die ehemalige Wallfahrtskirche birgt zudem das Heilig-Blut-Retabel, ein Meisterwerk des Bildschnitzers Tilman Riemenschneider, anhand dessen Leben auch die dunklen Phasen des Bauernkrieges 1525 verständlich dargestellt werden. Die fachkundig geleiteten Themenführungen auch in Englisch oder Italienisch, sind mehr als lehrreiche Zeitreisen: Durch eine perfekte Organisation, kleine Gruppen und das Ambiente Rothenburgs, werden sie zu einem ganz persönlichen und wahrhaft historischen Erlebnis.
Theater auf dem Marktplatz
Die Reichsstadt-Festtage am jeweils ersten Septemberwochenende zählen seit mehr als 40 Jahren zu den ältesten Historienfesten Deutschlands. 24 Historiengruppen lassen an drei Tagen die bewegte Geschichte Rothenburgs vom Mittelalter bis in die Neuzeit wieder auferstehen. Regisseur Reiyk Bergemann inszeniert jeweils samstags um 14:30 Uhr (3. September 2016 und 2. September 2017) das etwa 45-minütige Theaterstück „Rothenburg 1525“ unter Mitwirkung der Historiengruppen „Schwarze Schar Ohrenbach“, „Schillingsfürster Bauernhaufen“ und Mitgliedern des Schauspiels „Der Meistertrunk“.
Ab Mai 2016 wird – ediert von der städtischen Kulturreferentin Johanna Kätzel – zu dem Thema „Rothenburg in Renaissance und Reformation“ eine begleitende Broschüre erscheinen, die vertiefende Informationen zum Epochenumbruch aber auch zur späten Blüte Rothenburgs im 16. Jahrhundert bieten wird. (
BSZ)
(Die Franziskanerkirche in Rothenburg o.d. Tauber und das Banner zu den Ausstellungen - Fotos: RTS/Willi Pfitzinger)
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