Freizeit und Reise

Die im Kern mittelalterliche Burg Pergine im Trentino. (Foto: Angelika Irgens-Defregger)

22.08.2023

Mittelalter trifft Moderne

Zu Gast im Schlosshotel Pergine im Trentino

Keine Burg ohne ihre dunklen Geheimnisse: Der Legende nach spukt im Castel Pergine im Suganertal/Valsugana im Trentino der Geist der namenlosen, weißen Dame, die hier zum Opfer ihres gewalttätigen Ehemanns wurde. Zum Glück gibt es im „Tropfkerker“ zwei Stockwerke unter dem (nur im Rahmen einer Schlossbesichtigung zugänglichen) „Saal der weissen Dame“ keine Gefangenen mehr, die Qualen durch stetig fallende Wassertropfen erleiden müssen. Wer in der auf der Spitze des 650 Meter hohen Tegazzobergs gelegenen, im Kern noch mittelalterlichen Burg, Abenteuer und Erholung sucht, praktiziert Reisen auf sanfte Art – im Sinne eines in die Zukunft weisenden, nachhaltigen Tourismus.

Die Anreise zu der mit einer äußeren und inneren Mauer umschlossenen Fluchtburg, die in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts nach ihrer Zerstörung wieder aufgebaut wurde, wird zum Erlebnis. Hat man es geschafft, die Anhöhe zu erklimmen und den schmalen Eingangswachturm (für Hotelgäste und Restaurantbesucher auch mit dem Auto) zu passieren, geht es nur zu Fuß leicht aufwärts weiter. Man gelangt zum Madonnenturm mit drei sichtbaren Kreuzen einer „Mater dolorosa“ als Restspuren der Wandmalerei aus dem 19. Jahrhundert.

Zwischen seitlich hoch aufragendem Herrenhaus und innerer Ringmauer führt der Weg weiter zu einen Gittertor, das den Blick freigibt auf eine Grünoase, den Burginnenhof, der nur den Hotelgästen zur Verfügung steht. Übernachten kann man im Cles´schen Flügel, wo sich einst Lagerräume und Stallungen befanden, oder etwas elitär großzügiger im Bergfried mit eigener Terrasse (www.castelpergine.it).

Ohne TV und WLAN

Die noch erhaltene neogotische Ausstattung der holzverkleideten Zimmer im Turmbau sowie im ersten und zweiten Stock des Cles´schen Schlosshotelflügels mit Mobiliar um 1900, inklusive den originalen Holzbetten (mit hochwertigen Matratzenauflagen aus echtem Rosshaar), macht es möglich, in die Welt eines Burgfräuleins oder Ritters einzutauchen. Ganz ohne Fernseher und WLAN. Stattdessen ein letzter Blick auf die in der Dunkelheit leuchtende Stadt Pergine quasi aus der Vogelperspektive.

Umwölkt vom abendlichen Duft blühender sowie Bienen anlockender Lorbeerbäume und am Morgen geweckt von Geräuschen hungriger Jungfalken, die neben Jungkäuzen in den hoch aufragenden Mauern des Herrenhauses ihre Nistplätze gefunden haben, wird einem schnell klar, dass man hier einen Natur- und Kulturort gefunden hat, an dem man rasch den Alltag hinter sich lassen kann.

Fürstbischof Bernhard von Cles veränderte im 16. Jahrhundert nicht nur das Gesicht der nahen Bischofsstadt Trient, sondern nahm die Burg 1531 in Besitz, die zuvor den Tiroler Grafen gehörte. Über Jahrhunderte blieb die Festung in Besitz der fürstbischöflichen Würdenträger, deren gemalte Wappen sich im Rittersaal der Beletage erhalten haben. Dieses Schmuckstück der Gesamtanlage, das sich über dem Waffensaal erhebt und vom zweiten Stock des im rechten Winkel angrenzenden Cles´schen Hotelflügels zu erreichen ist, gewährt Einblick in die mittelalterliche Sankt Andreaskapelle mit frisch renovierten Altargemälde.

Hat man sich kulturell erst einmal gesättigt, genehmigt man sich gerne an der gegenüberliegenden Bar einen Aperitif, bevor man in den herrschaftlichen Räumen des Richter- oder Schwarzen Saales bei knisterndem Kaminfeuer zur Tafel geladen wird. Der Trentiner Küchenchef Manuel und die aus dem Piemont stammende Patissière Sofia verwöhnen im Gourmetrestaurant Semola Fina al Castello ihre Gäste mit einem haubenverdächtigen Fünfgänge-Verkostungs-Menü. 

Die Burg samt ihrer Besitzungen wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts Eigentum des bayerischen Rechtsanwalts Ferdinand Putz (1863 bis 1926), der unter anderem als Geschäftsführer der Münchner Ortsgruppe des „Alldeutschen Verbandes“ fungierte und im Dunstkreis zwischen prodeutschen und pangermanischen Vereinigungen agierte. In diese deutschnationale Ära datieren die Glasmalereien in den Fenstern des Rittersaals mit Wappenbildern unter anderen der Künstler Oswald von Wolkenstein und Walter von der Vogelweide sowie der bayerischen Herzogin und Tiroler Gräfin Margarethe, genannt Maultasch. Eine zeitlang war die Burg in Margarethes Besitz. In zweiter Ehe war sie mit Ludwig von Brandenburg, dem ältesten Sohn des bayerischen Herzogs und späteren Kaisers Ludwig, verheiratet. Wieder einmal zeigt die Historie, wie eng die Länder Bayern undTirol miteinander verwoben sind.

Wechselnde Ausstellungen

Erst 1920 wurde die Burg von der Gemeinde Pergine übernommen und in ein Hotel umgewandelt, das sich auch mit dem Namen des indischen Philosophen Jiddu Krishnamurti sowie anderer namhafter Vertreter der Theosophischen Gesellschaft verbindet. Später übernahm die Schweizer Familie Oss das Kulturgut.

Als erstes kollektives historisches Kulturgut in Italien überhaupt ist die Burg heute in Besitz der gemeinnützigen, privaten Stiftung CastelPergine Onlus Foundation, erklärt Hotelmanagerin Cristina. Die Herrin über sämtliche Hausschlüssel führt uns durch das Labyrinth historisch bedeutsamer Räume bis hinauf zum Dachstuhl. Neben dem Erhalt der historischen Bausubstanz ist das Haus bemüht, neben laufendem Hotel- und Restaurantbetrieb auch Kulturleben zu ermöglichen. Mit einer jährlich wechselnden Ausstellung bespielen Kunstschaffende Burgräume und Freiflächen.

In diesem Jahr fiel die Wahl auf den aus Unterwössen stammenden Chiemgauer Künstler Andreas Kuhnlein, dessen 28 lebensgroße Holzskulpturen, die, verteilt auf 19 verschiedene Orte der Burganlage, präsentiert werden. Ein Kunstevent, das bereits in der 30. Auflage stattfindet. Auf stimmige wie kongeniale Weise verschmelzen neben Kaisern, Königen und Bauern mythische Gestalten wie Adonis, Aphrodite, Ikarus, Narziß, Sisyphos und Zeus mit dem Genius Loci. Passend zum Ausstellungstitel „Spuren des Menschseins“ fräst der Bildhauer mit der Motorsäge aus toten Holzstämmen verletzliche Gestalten und lotet bis zu unseren Verwandten, dem Neandertaler, die conditio humana aus.

Weit zurück in die Vergangenheit weist auch das Fersental, auf fersentalerisch Bernstol, auf italienisch Valle dei Mocheni oder Valle del Fersina genannt. Das Seitental des oberen Suganertals, das seine Gäste im Mix aus altbaierisch und alemannisch mit „Guat kemmen en Bernsntol“ willkommen heißt, ist eine deutsche Sprachinsel, deren Bewohner bis heute diese einzigartige Kulturlandschaft prägen. Ab dem 13. Jahrhundert fand in dem an Erzvorkommen reichen Tal die von den Grafen von Tirol geförderte Besiedelung durch teutonische Zuwanderer statt.

Wer das Bernstoler Kulturinstitut in Palu/Palai am Ende des Fersentals besucht, erfährt nicht nur einiges über die deutschen Bergleute, sondern auch über die Sprache und Kultur dieser „merkwürdige[n] Leute in diesem Talende“, wie Robert Musil über die Fersentaler festhielt. Ab dem 18. Jahrhundert begann der Wanderhandel als Nebenerwerb zur vieh- und forstwirtschaftlichen Tätigkeit. Produkte wie Hinterglasmalereien, Kurzwaren und Stoffe führte die Wanderhändler in Gebiete des österreichischen Kaiserreichs.

Musils Schuhe

Von der „Geschlossenheit des Tales“ ließ sich Musil verzaubern. Literarisch verarbeitet hat er seine Eindrücke in seiner Novelle Grigia, wo sein Held und Alter Ego „Homo“ ein Liebesverhältnis mit der Bäuerin „Grigia“ eingeht. Im Mai 1915 kam der Schriftsteller des später entstehenden, autobiografisch gefärbten Romans Der Mann ohne Eigenschaften als Leutnant der österreichisch-ungarischen Armee nach Palu/Palai.

Das ortsansässige Kulturinstitut verwahrt noch heute Musils originale Holzschuhe aus der Zeit, als der 34-jährige Kaiserschütze Musil unter dem Kommando des späteren österreichischen Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß, drei Monate lang hier stationiert war. Die Schützengräben des Ersten Weltkriegs sind heute umfunktionierte Erlebniswanderwege in eindrucksvoller Hochgebirgslage.
(Angelika Irgens-Defregger)

www. visittrentino.info
 

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