Rothenburg ob der Tauber ist einzigartig. Wie in kaum einer anderen deutschen Stadt blieb hier das romantische Flair des Spätmittelalters erhalten. Dicht aneinandergedrängt umsäumen liebevoll herausgeputzte Häuser mit hohen Giebeln die Gassen und Plätze. Die beeindruckenden, gut erhaltenen und restaurierten Stadtbefestigungsanlagen mit hohen Mauern, Wehrgängen, Türmen, Toren und Bastionen prägen schon von weitem das Stadtbild und signalisieren Wehrhaftigkeit sowie Bürgerstolz. Rothenburg ist aber keine Stadt für nur einen Tag oder eine bestimmte Jahreszeit.

Zahlreiche Kulturangebote laden das ganze Jahr über zu einem längeren Aufenthalt ein. Zu Pfingsten erinnert die Stadt jährlich mit einem großen Heereszug in historischen Kostümen an die Legende von Altbürgermeister Nusch, der drei und ein Viertel Liter Wein getrunken haben soll und so die Stadt vor der Zerstörung im Dreißigjährigen Krieg bewahrte – der so genannte Meistertrunk.
Im Spätsommer laden während des Rothenburger Weindorfs fränkische Weinsorten und Spezialitäten zum Probieren ein und auf den Reichsstadtfesttagen im September wird die gesamte Stadt zur Bühne ihrer bewegten Geschichte. Zum Jahresende hin verwandelt Rothenburgs berühmter Weihnachtsmarkt die Stadt in ein traumhaftes Wintermärchen. Mit seiner 500-jährigen Tradition zählt der Rothenburger Reiterlesmarkt zu den ältesten Weihnachtsmärkten in Deutschland.

Gotische Kirchen, prächtige Patrizierhäuser aus dem Mittelalter und der Renaissance sowie Museen in geschichtsträchtigen Gemäuern beherbergen einzigartige Schätze. Eines dieser Museen ist das Mittelalterliches Kriminalmuseum. Immer schon haben Gesetze, Verordnungen und Vorschriften versucht, die öffentliche Ordnung zu sichern und dem Miteinander der Menschen Regeln zu geben. Wie unterschiedlich diese Regeln ausfielen und welche praktischen Auswirkungen sie auf das Leben der Menschen zwischen dem Hochmittelalter und dem 19. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum hatten, dies dokumentiert ausführlich das Kriminalmuseum in seinen zwei gebäuden, auf sechs Etagen und über 3500 Quadratmetern Ausstellungsfläche.
Instrumente der Schandstrafen, wie etwa Halsgeigen, Schandmasken und Trinkertonnen verpassten Schwatz- oder Streitsüchtigten nur einen „Denkzettel“. Auf eine andere, inhumane Qualität weisen die zahlreichen Instrumente der Folter oder des Vollzugs von Leibes- oder Lebensstrafen hin. Sie machen bewusst, welche ganz anderen Vorstellungen über Menschenrechte und -würde zu Beginn der frühen Neuzeit herrschten. Zahlreiche Bilddokumente, Originalgrafiken sowie Originalurkunden, Siegel und Rechtsbücher aus dem 15. bis 19. Jahrhundert dokumentieren in einmaliger Weise die Rechtsentwicklung der zurückliegenden Jahrhunderte. Daneben wird der Rechtssymbolik, dem Ursprung von Rechtssprichwörtern und sprichwörtlichen Redensarten mit rechtlichem Inhalt nachgegangen. Diese „Strafexpedition“ sollte man sich auf keinen Fall entgehen lassen.

Das Reichsstadtmuseum, das Heimatmuseum Rothenburgs, in den ehemaligen Gebäuden des Dominikanerinnenklosters untergebracht, zeigt Sammlungen zur Kunst und Kultur der ehemaligen Reichsstadt. Hervorzuheben sind die Klosterküche aus dem 13. Jahrhundert, die Rotheburger Passion von 1494 sowie die Sammlungen Baumann, bestehend aus Fayencen und Waffen.
Im Nordhof des Reichsstadtmuseum befindet sich seit 2008 auch das kleine Toppler Theater, das in Kennerkreisen bereits als die „schönsten Kammerfreilichtspiele Bayerns“ gelten und das zu Recht. Der Charme des Theaters liegt nicht allein in der historischen Kulisse, sondern vor allem auch an den Produktionen und dem fabelhaften Ensemble. Insbesondere die Eigenproduktion Mondlicht und Magnolien – das Bühnenstück erzählt auf amüsante und zum Teil urkomische Art und Weise die Entstehungsgeschichte des Flimklassikers Vom Winde verweht – besticht nicht nur durch seine Geschichte, sondern vor allem durch die hervorragende schauspielerische Leistung und Umsetzung des Stücks. Wer die Zeit und die Möglichkeit hat, sollte sich die Aufführung keinesfalls entgehen lassen. Ein Theatergenuss vom Feinsten.
Staatsverlies und Topplerschlösschen
Wer es jedoch etwas blutrünstiger möchte, sollte sich das Historiengewölbe mit Staatsverlies im Rathausinnenhof nicht entgehen lassen. Die Historiengewölbe geben Einblick in die Epoche des Dreißigjährigen Kriegs, der auch in Rothenburg deutliche Spuren hinterlassen hat. Dem Besucher wird diese Zeit in anschaulicher Weise nahegebracht. Einen Schwerpunkt bilden die Ereignisse des Jahres 1631, als kaiserliche Truppen unter dem Feldherrn Graf Tilly die Stadt eroberten.

Landsknechte, Ratsherren und Patrizier treten dem Besucher in Lebensgröße gegenüber. Gleichzeitig liegt eine besondere Atmosphäre über diesen Szenen. So wird Geschichte zur lebendigen Vergangenheit. Die einzelnen Darstellungen werden durch wertvolle Exponate ergänzt. Zu sehen sind unter anderem eine Wachstube mit würfelspielenden Landsknechten, eine Darstellung der Befestigungsanlagen der Stadt zur Zeit des Dreißigjährigen Kriegs oder Informationen über die Standesordnung und die soziale Konstellation der Freien Reichsstadt Rothenburg ob der Tauber.
In Verbindung mit den Historiengewölben ist das Verlies des früheren Stadtstaats unterhalb des Rathauses zu besichtigen. Es gilt als das älteste Gefängnis der Stadt. Auch heute noch wird ein Hauch jener Stimmung spürbar, der die Gefangenen von damals in diesem Verlies ausgesetzt waren, Zu sehen sind die Wachstube, der Folterraum und die Gefängniszellen. Hier wurde auch Rothenburgs großer Bürgermeister Heinrich Toppler 1408 nach mehr als zweimonatiger Kerkerhaft hingerichtet. Er wurde Opfer innerstädtischer Selbstjustiz.

Nicht komplett ist ein Rothenburg-Aufenthalt, wer das „Weihnachtsdorf“ von Käthe Wohlfahrt und das „Deutsches Weihnachtsmuseum“ nicht gesehen hat. Im „Weihnachtsdorf“ im Herzen der Altstadt gibt es über 30 000 traditionelle deutsche Weihnachtsartikel im größten Weihnachtsfachgeschäft zu sehen und zu kaufen. Im Museum werden historische Weihnachtsdekorationen präsentiert. Darüber hinaus erfährt man bei einem Rundgang Wissenswertes und Interessantes über die Geschichte des traditionsreichsten Familienfests und die Entwicklung seiner Dekoration bis in die 1950er Jahre. Ein besonderer Höhepunkt ist die Ausstellung von 150 historischen Weihnachtsmännern.
Ein wahres Kleinod ist das so genannte Topplerschlösschen, ein kleines mittelalterliches burgartiges Gebäude im Taubertal, das vom Rothenburger Bürgermeister Heinrich Toppler 1388 im Bautyp eines so genannten Festen Hauses oder Weiherhauses errichtet wurde. Es besteht aus einem steinernen Unterbau in der Art eines Wehrturms und Obergeschossen aus Fachwerk. Es ist mit einem Garten umgeben, der bei Bedarf geflutet werden konnte. Das vollständig erhaltene Gebäude ist mit Möbeln aus dem 16. bis 19. Jahrhundert eingerichtet. Es kann besichtigt werden und gibt interessante Einblicke in spätmittelalterliche Lebensumstände.

Ein absolutes Hightlight eines Rothenburg Besuchs ist der nächtliche Rundgang mit dem Nachtwächter Hans-Georg Baumgartner, einem der wichtigsten Imageträger der Stadt, wie Johann Kempter, stellvertretender Direktor des Rothenburger Tourismus Service, betont.
In der Zeit des Mittelalters war es Hauptaufgabe der Nachtwächter, für Ruhe und Sicherheit der Bürger innerhalb der Stadtmauern zu sorgen. Obwohl sie mit diesem Polizeidienst eine wichtige städtische Aufgabe erfüllten, gehörten sie zu den zahlreichen unehrenhaften Berufen. Dabei war ihr Dienst durchaus gefährlich, denn auf ihren nächtlichen Rundgängen hatten sie es immer wieder mit Dieben, Betrunkenen und lichtscheuem Gesindel zu tun.
Zu ihrem Schutz und als Zeichen ihres Amts führten sie eine stattliche Hellebarde mit sich. In Rothenburg gab es sechs Wachbezirke, für die je ein Nachtwächter Sorge trug. In der dunklen Jahreszeit waren sie – von kurzen Pausen unterbrochen- von acht Uhr abends bis fünf Uhr morgens im Einsatz.
Immer wenn die Turmuhr zur vollen Stunde schlug, gaben sie mit dem Horn Signal und riefen dann laut ihren Nachtwächter-Ruf, wobei es stündlich ein anderes Lied gab. Die Bürger hat dies eher beruhigt denn gestört, wussten sie doch er hat ein Auge auf die Gefahr und gibt im Notfall auch Feueralarm. Auch das Anzünden der spärlich vorhandenen Petroleumlampen und der später aufkommenden Straßenlaternen gehörte zu den Pflichten der Nachtwächter, die es in Rothenburg bis 1920 gab.

Auf dem rund einstündigen Rundgang erzählt Baumgartner mit einem ihm ganz eigenen Singsang Interessantes zur und über die Geschichte Rothenburgs. Sei es über das Malheur (Stichwort: Pulverturm), das letztlich zur Übergabe der Stadt an Tilly führte, oder die hygienischen Zustände beziehungsweise eher Missstände oder das Schließen der Stadttore und der damit verbundenen Probleme für Zuspätkommende – Stichwort: Mannloch. Diese Tour ist ein absolutes Muss – allein schon wegen der Person Baumgartners und die Art seines Vortrags – für jeden Rothenburg-Gast.
Rund zwei Millionen Besucher hat Rothenburg im Jahr, erklärt Kempter, und etwa 500 000 Übernachtungen. Insgesamt gibt es im Stadtgebiet rund 3000 Betten, angefangen vom Hotel bis zur Privatvermietung. Die Bettenauslastung liegt laut Kempter bei 43 bis 45 Prozent. Der Individualgast bleibt im Schnitt 1,5 Nächte in der ehemaligen Freien Reichsstadt. Gleichzeitig versucht die Stadt gegen das Image anzugehen, man sei ein Massentourismusort. Sicherlich gebe es Zeiten, da sei die Stadt schon ziemlich voll, aber wiederum auch Zeiten, wo man in aller Ruhe Rothenburg genießen kann. Außerdem sei die Stadt zu jeder Zeit eine Reise wert. Kempter spricht in diesem Zusammenhang deshalb auch davon, dass Rothenburg eine Kleinstadt „mit einem interessanten internationalem Publikum ist“. (
Friedrich H. Hettler)
(Die Spitalbastei; das Burgtor; das Topplerschlösschen; Schandmasken im Kriminalmuseum; ein NStadttor mit einem "Mannloch"; Hans-Georg Baumgartner als Nachtwächter und Gefängniswagen vor dem Kriminalmuseum - Fotos: Hettler)
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