Freizeit und Reise

Blick auf Dreikirchen/Barbian. (Foto: Angelika Irgens-Defregger)

11.12.2019

Zu Gast im Eisacktal

Auf künstlerischer Spurensuche durch Südtirol

Sie war einst wichtigste Handels- und Verkehrsroute über den Brenner sowie lukrative Zollstätte, mittelalterliche Flaniermeile, Mekka der Künstler, Attraktion der Touristen und Aushängeschild für Gastwirte, die heute autofreie Oberstadt von Klausen im unteren Eisacktal in Südtirol. Ganz nah stehen sich in den engen Gassen dieses pittoresken Bilderbuchstädtchens die vielen gut erhaltenen Bürgerhäuser gegenüber. So nah, dass ein Barbier seinem Kunden im gegenüberliegenden Haus gleich vom Fenster aus den Bart geschnitten haben soll. So jedenfalls will es die schöne und immer wieder aufs Neue verbreitete Legende eines Orts, der auch schon einmal mit dem Prädikat „Biotop für Menschen“ ausgezeichnet wurde.

Künstlerische wie touristische Interessen gehen leicht Hand in Hand: So wie wir, ließ sich auch Albrecht Dürer auf seiner ersten Italienreise 1494 von der Stadt, überragt von einer weltlichen und einer geistlichen Burg, verzaubern. Auf Dürers berühmtem Kupferstich Nemesis (auch bekannt als Das große Glück) erscheint die geflügelte römische Glücksgöttin Fortuna balancierend auf einer Kugel hoch über Klausen. Dürer gab ihr den Namen Nemesis, im griechischen Mythos die Göttin der ausgleichenden Gerechtigkeit.

Hat Dürer beide Göttinnen als ein und dieselbe überirdische Gestalt dargestellt? Wie auch immer. Auf jeden Fall gehört Dürers berühmter Kupferstich zum kulturellen Gedächtnis der Stadt. Auch wenn lange nicht klar war, dass Dürer sein „großes Glück“ in Klausen verortete. Die Panoramaansicht von Klausen ist von ihm topographisch genau festgehalten worden. Nur erscheint die Landschaft seitenverkehrt. Rechts, statt links des Eisack erkennt man die Pfarrkirche zum hl. Andreas, die Burg Branzoll, darüber die ehemalige Bischofsresidenz Kloster Säben und den seitlichen Zufluss des Thinnebachs, wo 1921 eine Gerölllawine zu Tal donnerte und den Eisack aufstaute. Etliche Wassermarken an historischen Gebäuden geben noch heute eine Vorstellung von den monatelangen Überschwemmungen in der Stadt.

Der junge Hotelier Simon Rabensteiner, der in zweiter Generation das Traditionshaus „Walter von der Vogelweide“ führt, das in einem Gebäude untergebracht ist, das bis ins 14. Jahrhundert zurück datiert, zeigt uns seine Mappe mit vielen dokumentarischen Fotos, Postkarten und Zeitungsausschnitten, welche die verheerenden Folgen jener Naturkatastrophe ebenso festhalten, wie den Bau der Brennerautobahn in den 1960er-Jahren oder die Entdeckung des Orts im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts durch Dichter und Künstler.

Als Vertreter einer der Tradition des Hauses verpflichteten, aber mit Weitsicht weiter entwickelten Wirtshauskultur, vermittelt er dem Reisenden, neben bester Unterkunft und hervorragender saisonaler Küche, auch das Gefühl von wahrer Gastfreundschaft. Uns jeden Wunsch erfüllend, hat Rabensteiner auch schnell den Schlüssel zur Hand, der uns im gegenüberliegenden Haus einen Blick ins ehemalige Künstlerstüberl „Zum weißen Lamm“ (auch „Lampl“ genannt) gewährt, das heute zum städtischen Rathaus gehört und als Festsaal zu buchen ist.

Die historischen Fresken an den Wänden dieses Prunksaals im ersten Stock lassen noch heute erahnen, welchen Hype anno 1867 die angebliche Entdeckung des Geburtsorts des Minnesängers Walther von der Vogelweide (um 1170 bis 1230) im nahe gelegenen Lajener Ried ausgelöst hat. Klausen wurde von dem aus Innsbruck herangeeilten Universitätsprofessor Ignatz Vinzenz von Zingele, Spezialist auf dem Gebiet mittelalterliche Literaturgeschichte, daraufhin zur Wiege der deutschen Nationalliteratur erklärt und gefeiert.

Klausner Künstlerkolonie

Im benachbarten Gufidaun erwarb der Gelehrte das Andechser Schloss Summersberg und errichtete hier ein Gelehrten-Tuskulum. Das Fehlen eindeutiger Beweise, das der bedeutendste deutschsprachige Lyriker des Mittelalters hier geboren ist, tat jedenfalls der Walther-Euphorie in der Fachwelt keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil. Durch das große Medienecho in Zeiten erstarkten Nationalbewusstseins wurde Klausen im ganzen deutschsprachigen Raum populär. Den Dichtern folgten rasch die Maler, vor allem aus München. Im Eisacktal südlich des Alpenhauptkamms erblühte Kleinmünchen. So entstand die Klausener Künstlerkolonie, deren Hochzeit sich von 1874 bis zum Ersten Weltkrieg erstreckte.

Seit 1979 ist die Familie Rabensteiner im Besitz des legendären „Gasthof Walther von der Vogelweide“. Den an der Eisackpromenade gelegenen, gartenseitigen Hausgiebel ziert ein Bild des gefeierten Minnesängers. Der kunstsinnige Klausner Wirt des legendären „Lampl“, Georg Kantioler, erwarb 1867 das schräg gegenüberliegende Löwenwirtshaus und gab ihm seinen heutigen Namen. Damit hatte er sich als früher Marketingstratege erwiesen, der über seine Gäste akribisch Buch führte. Seine Häuser wurden zur beliebten Anlaufstelle der Münchner Künstler und Literaten, die sich in Klausen eine längere Auszeit gönnten oder hier heimisch wurden, wie beispielsweise Otto Seitz und Alexander Koester.

Die bunte Gästeschar, die in Klausen umworben wurde, stand auch in anderen Tiroler Fremdenverkehrsorten im Fokus der Aufmerksamkeit. Sie belebte auch die Orte Bozen, Meran, Brixen, Bruneck, Hall und Kufstein. Mit der heimeligen Klausener Künstlerstube gut vergleichen lässt sich das Gasthaus „Finsterwirt“ in Brixen, das von der Wirtsfamilie Mayr heute bereits in dritter Generation geführt wird. Es zählt zu den ältesten Häusern der Stadt und war einst im Besitz der mächtigen Domherren. Seinen Namen verdankt es dem Umstand, dass hier ab dem Jahr 1700 der Zehentwein des Brixener Domkapitels gelagert und ausgeschenkt wurde. Der Kellermeister hatte jedoch den Auftrag, abends kein Licht anzuzünden, damit die Zecher bei Einbruch der Dunkelheit nach Hause gingen.

Wie in Klausen, so verewigten sich auch hier die reisenden Künstler und Schriftsteller im obligaten Gästebuch. Statt mit Geld, beglichen sie ihre Rechnungen oftmals mit ihren eigenen Werken. Die Wirtin, gleichzeitig Hüterin dieses kostbaren Erbes, zeigt uns neben den vielen Bildern an den Wänden der Künstlerstube im ersten Stock auch eine historische Sammlung alter Erinnerungsfotos und Postkarten mit den abgebildeten Sehenswürdigkeiten der Stadt.

In Brixen sind die Straßen breiter als in Klausen, weshalb zum Stadtbild hier die wunderschönen Laubengänge zu bewundern sind. Pfarrkirche, Hofburg, Dom und die Fresken im Kreuzgang, die man ohne Übertreibung als das größte Denkmal alpenländischer Wandmalerei bezeichnen darf, sind für das Gesicht der Bischofstadt ebenso prägend wie der „Finsterwirt“ und das „Hotel Goldener Adler“. Das Viersternehaus mit mittelalterlichen Lichthöfen, Marmorböden und Kreuzgewölben im Inneren gehört seit 1989 ebenfalls zum Familienbesitz der Mayrs. Vor über 500 Jahren war es das erste Haus in Brixen, sozusagen die Visitenkarte der Stadt. Seine ruhige Lage direkt an der Eisackpromenade und am Eingang zur Altstadt macht das denkmalgeschützte Haus, das in seinem Inneren vom modernen Zeitgeist inspiriert ist, zu einem Ort des Wohlfühlens.

Mächtiges Mauerwerk

Man kann mit Fug und Recht sagen: Das Erdgeschoss, das aufgrund seiner Gewölbe und dem mächtigen Mauerwerk so viel von seinem ursprünglichen Charme bewahrt hat, ist die gute Stube von Brixen. Im „AdlerCafe“ und im „AdlerVinum“ treffen sich auch die Einheimischen. Kunstbegeisterten bietet Familie Mayr mit ihrem Ausstellungsraum „AdlerArt“ eine Plattform für zeitgenössische Kunst. Altes bewahren und Neues entwickeln, so die Devise. Neben seinen in eleganter Schlichtheit gehaltenen 30 Zimmern hervorzuheben ist der gemütlich rustikale Frühstücksraum mit „Lüstermännchen“ an der Decke. An dieser wundersamen Spezies von Kronleuchtern aus Geweihstangen mit geschnitzten Fabelwesen erfreuten sich vermutlich schon die Gäste des vorvorigen Jahrhunderts. An Berühmtheiten mangelte es dem „Goldenen Adler“ nicht. Das Who’s who der Gäste im „Goldenen Adler“ reicht vermutlich von Kaiser Maximilian I. über Erzherzog Ferdinand II. und seine Braut Herzogin Anna Katharina Gonzaga von Mantua bis zur späteren Kaiserin, Eleonora Magdalena Gonzaga von Mantua-Nevers und dem Großherzog von Toskana Cosimo III. de’ Medici.

Nachgeborene, wie beispielsweise der viel reisende Münchner Christian Morgenstern, welche auch der Gesundheit wegen die damals noch alte Grafschaft Tirol bereisten, erweiterten ihren Radius und erlebten auf halbem Weg zwischen Brixen und Bozen in Bad Dreikirchen, umrahmt von Wäldern und Bergmatten, ihre Sommerfrische. Drei dicht aneinander gebaute, gotische Kirchen gaben dem Ort seinen heutigen Namen und erinnern an das frühgeschichtliche Quellheiligtum, an dem man später den drei Heiligen Nikolaus, Gertraud und Magdalena jeweils eine Steinkirche mit Glockenturm errichtet hat. Man sollte sich unbedingt im Gasthof Messner den Schlüssel besorgen und die Fresken und Flügelaltäre im Inneren bewundern.

Morgenstern lernte im Juli 1908 im direkt benachbarten Badgasthaus, das bereits seit 200 Jahren von der Familie Wodenegg geführt wird, seine spätere Frau Margareta, geborene Gosebruch von Liechtenstern, kennen. Mit ihrem Klavierspiel entzückte sie nachhaltig den Dichter, der sich hier vom schwach radioaktiven Heilwasser eine positive Wirkung versprach.

In einer gelungenen Verschränkung von alten Bauernmöbeln mit sachlich modernem Design hat das junge Ehepaar Matthias und Annette Wodenegg ihr altes Erbe aus dem 14. Jahrhundert „Hotel Dreikirchen“ fit gemacht für das 21. Jahrhundert. Ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal in den gemütlichen, warm und holzig gestalteten 26 Zimmern mit Aussicht, es gibt weder WLAN, noch Fernseher. Die Natur ist hier oben auf 1120 Metern das eigentliche Schauspiel. Auf der großen Veranda genießt man einen Weitblick von Klausen über das Kloster Säben, die sogenannte Akropolis Tirols, auf die gegenüberliegenden Dörfer und die spektakuläre Bergkulisse der Dolomiten mit Geislerspitzen, Sellagruppe und Langkofel. Mit Bibliothek, Musikzimmer und Außenschwimmbad wird es einem hier von Mai bis Oktober niemals langweilig. Der idyllisch gelegene Ruheplatz ist nur zu Fuß oder mit dem Taxi zu erreichen.

Alle drei Hotels – Walther von der Vogelweide, Goldener Adler und Dreikirchen – sind geschichtsträchtige Bauwerke von herausragender kulturhistorischer Bedeutung. Sie verknüpfen mustergültig, wie nachhaltig Tourismus und Denkmalpflege sein kann. Ihre vielen Ecken und Winkel sind nicht nur Geschichte, sie erzählen auch spannende Geschichten, die es wert sind, sie im kulturellen Gedächtnis zu behalten.
(Angelika Irgens-Defregger)

(Kloster Säben oberhalb von Klausen; Dürers "Das große Glück" und der "Gasthof Walther von der Vogelweide" - Fotos: Angelika Irgens-Defregger)

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