Geschichte(n): 100 Jahre Bayern

"Jedes Menschenleben soll heilig sein" steht auf dem Kurt-Eisner-Denkmal in der Innenstadt von München. (Foto: Lino Mirgeler/dpa)

31.07.2018

Kurt Eisner: Der Ungeliebte

Kann denn Wahrheit Sünde sein? Im Fall des Begründers der ersten deutschen Republik scheint es so. Verachtet und vergessen war er. Fast 100 Jahre nach seinem Tod aber widerfährt dem ersten bayerischen Ministerpräsidenten eine zaghafte und doch überraschende Anerkennung

Fragen Sie mal Max Durchschnittsbayer: Wer war Kurt Eisner? Vor 25 Jahren wurde berichtet, Anwohner der nach ihm benannten Straße wussten nicht mehr als: ein Kommunist mit Bart. "Man muss ja davon ausgehen, dass der Name Kurt Eisner in der Bevölkerung nicht bekannt ist", glaubt heute noch Charlotte Knobloch, einst Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, heute der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern.

Wer war er also? Ein bayerischer Revolutionär. Ein Berliner Intellektueller, ein Journalist aus gutbürgerlichem jüdischen Elternhaus. Ein sehr, sehr unabhängiger Sozialdemokrat. Wie passt das zusammen? Kann man so einen Typen mögen? Einen Mann, der seiner Zeit weit voraus war, weil ihm in Kriegszeiten der Humanismus über alles ging, und, schlimmer noch, die Wahrheit.

Wer ihn sucht in München, der muss auf den Boden gucken. In der Nähe des einstigen Landtags, dort, wo er am 21. Februar 1919 erschossen wurde, von dem 22 Jahre alten Ex-Leutnant Anton Graf Arco auf Valley, zeichnet ein Denkmal, umstritten wie die ganze Erinnerung an Eisner, die Umrisse des Leichnams nach. Zu diesem Zeitpunkt hatte Eisner nahezu täglich Morddrohungen erhalten, war aufs Übelste beschimpft worden - und er war auf dem Weg, um seinen Rücktritt zu erklären.

Eisners Haltung:
"Jedes Menschenleben soll heilig sein"

Dabei hatte er etwas geschafft, was der ehemalige Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) als Vorbild etwa für den Fall der Berliner Mauer 1989 sieht: eine friedliche Revolution, bei der der "Vorrang der Humanität das Besondere war", findet Ude. "Es gab nicht nur tötende, köpfende, brandschatzende Revolutionen, sondern es gab eine friedliche." Ein späteres Denkmal am Rande der Innenstadt gibt beredtes Zeugnis von Eisners Haltung: "Jedes Menschenleben soll heilig sein", dieses Zitat ist dort auf Glas zu lesen. Doch diese Hoffnung zerbrach, für ihn selbst und nach seinem Tod für viele andere, denn nach seiner Ermordung kam es zu Bürgerkrieg und Massenmorden, zur sogenannten Zweiten Revolution.

Die lasteten viele über Jahrzehnte dem Mann an, der am 7. November 1918 verkündete: "Bayern ist fortan ein Freistaat". Eisner, 1867 in Berlin geboren und seit 1898 Mitglied der SPD, seit 1917 Vorsitzender der bayerischen USPD, den Unabhängigen Sozialdemokraten, war gelernter und begnadeter Journalist, der seiner Partei als Edelfeder diente, mit seinen politischen Ansichten aber gelinde gesagt aneckte.

Erst - wie die SPD - ein Befürworter des Ersten Weltkrieges, änderte sich seine Haltung zur radikalen Gegnerschaft. Besonders negativ ausgelegt wurde ihm sein Bemühen, die deutsche Schuld am Ausbruch des Krieges deutlich zu machen. Als eine der führenden Figuren im Münchner Januarstreik 1918, als mehrere Tausend Arbeiter streikten, wurde Eisner verhaftet und saß im Münchner Gefängnis Stadelheim ein.

Eisner über die Bayern:
"Die Bevölkerung ist hier schwer aufzurütteln; sie hängt am Alt-Gewohnten"

Aus dieser Zeit stammt sein Gefängnistagebuch, das erst vor zwei Jahren veröffentlicht wurde. Darin charakterisiert der Berliner die Bayern: "Die Bevölkerung ist hier schwer aufzurütteln; sie hängt am Alt-Gewohnten." Und es zeigt sich das ganze Zerwürfnis mit der Partei, der er angehörte: Er empörte sich über das "über alle Maassen schamlose, verlogene, feige und dumme Verhalten der Partei, die von den radikalsten Todfeinden der bürgerlichen Gesellschaft auf einmal zu den widerwärtigsten Hurrahpatrioten übergegangen war", und resümierte: "Niemals ist eine grosse Partei so jämmerlich zusammengebrochen."'

Auch die eigene Zunft schonte er nicht: "Das deutsche Pressgesindel weiss nicht einmal, wie verworfen und stupid es ist." So macht man sich zahlreiche Feinde; und es erklärt zum Teil sein Nachleben in langer, bewusster Vergessenheit. Einen gütigen Landesvater stellt man sich anders vor, und doch ist es Eisner, der den Freistaat ausruft und die Monarchie für abgesetzt erklärt, zwei Tage vor Philipp Scheidemann in Berlin. Er bildet einen provisorischen Nationalrat und wird Ministerpräsident und Außenminister, muss dabei aber auf altgediente Kräfte und eigene Gegner auch aus der SPD zurückgreifen - darunter sein Gegenspieler Erhard Auer, der Innenminister wird.

"Es ist schwer vorstellbar, dass es zu diesem frühen Zeitpunkt ohne ihn die Revolution gegeben hätte", sagt sein Biograf und Direktor des Bayerischen Hauptstaatsarchivs Bernhard Grau. Er lobt die Errungenschaften der Regierung Eisner: ein parlamentarisch-demokratisches System mit modernem Verhältniswahlrecht, Frauenwahlrecht, Trennung von Staat und Kirche, der Acht-Stunden-Tag, Streikrecht, auch wenn dies nicht nur an Eisner selbst festzumachen sei.

SPD versucht sich mit Eisner zu schmücken

Verflucht wurde er aber als Vaterlandsverräter, als Verfechter einer Arbeiterdiktatur und antisemitisch aufs Übelste beleidigt. Und dann veröffentlichte er auch noch Gesandtschaftsberichte, um die deutsche Kriegsschuld zu beweisen. Eigentlich kein Wunder, dass der Mann, der in seinen Gedanken und Taten seiner Zeit weit voraus war, nach seinem Tod keine Fürsprecher mehr fand. "Deswegen ist ja das Tragische, dass Eisner nie eine politische Kraft gehabt hat, die sein Ansehen wahren wollte nach seinem Tod", bedauert Alt-OB Ude. "Klischees beeinflussen die Wahrnehmung", sagt Grau, "und er war eine Person mit Ecken und Kanten". Dazu komme: "Sieger schreiben die Geschichte."

Dabei würdigt ihn neuerdings auch die CSU als Freistaatsgründer und bewertete seine Rolle auf eine Anfrage des Vorsitzenden der SPD-Landtagsfraktion, Markus Rinderspacher, als äußerst positiv. Die SPD, die zum Jahrestag der Freistaatausrufung einen Feiertag wollte, wolle ihren abtrünnigen Großvater aber keinesfalls parteipolitisch vereinnahmen, betonte Rinderspacher. Tut sie doch, findet Ude: "Die SPD hat jahrzehntelang Eisner unter den Tisch fallen lassen" und "jetzt versucht sie sich mit ihm zu schmücken, was aber rein fachhistorisch nicht korrekt ist".

Nun, zum Freistaatsjubiläum, ist Eisners Name in aller Munde, Bücher über ihn erscheinen, seine Werke werden neu aufgelegt. Charlotte Knobloch wundert sich fast: "Jetzt habe ich plötzlich mit Eisner zu tun, und jahrzehntelang wurde ich nie nach Eisner gefragt." Sie sieht es positiv: "Nach einer so langen Zeit wird er endlich mal wieder gewürdigt und das freut mich sehr." Man könnte die Straße, an der sein Denkmal steht, nach ihm benennen, schlägt sie vor. Der Freistaat habe bisher keine geeignete Form gefunden, Eisner als ersten Ministerpräsidenten zu würdigen, findet Grau.
(Martina Scheffler, dpa)

Zitate von Kurt Eisner
"Ich war entschlossen, wenn es sein müsste, als einziger in Deutschland meinem Gewissen zu folgen und offen zu reden. Ich habe diesen meinen Entschluss bis zur Stunde gehalten - durch alle Nöte und Verzweiflungen hindurch." (Gefängnistagebuch, 6. Februar 1918)

"So viel Angst vor einem einzelnen Menschen, der nichts hat als - die Wahrheit und den Mut zur Wahrheit." (ebenda)

"Ein Mord verjährt erst nach einem Menschenalter, die Entfesselung eines Weltkriegs soll (noch während er tobt, schon nach) zwei Jahren so sehr verjährt sein, dass es keinen Sinn habe, die Schuldigen zu ermitteln?" (Gefängnistagebuch, 2. April 1918)

"Bayern ist fortan ein Freistaat." (Aufruf "An die Bevölkerung Münchens", "in der Nacht zum 8. November 1918")

"In dieser Zeit des sinnlos wilden Mordens verabscheuen wir alles Blutvergießen. Jedes Menschenleben soll heilig sein." (ebenda)

"Demokratie heißt nicht die Anerkennung des Unverstandes der Massen, sondern Demokratie heißt der Glaube an die Möglichkeit der Vernunft der Massen." (Rede im Provisorischen Nationalrat am 17. Dezember 1918, zitiert nach Grau, S. 432)

"Wir müssen uns herausdenken, wir müssen uns herausheben aus dem Wahnsinn und aus der Lüge dieser Zeit." (Rede auf der II. Arbeiter- und Soldatenkonferenz in Bern, 3. bis 10. Februar 1919, zitiert nach Grau, S. 399)

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