Kommunales

Anders als viele Parteifreunde gilt die 46-jährige Ressortchefin beim Thema Wohnen als Pragmatikerin, die weder enteignen noch Eigenheime verbieten möchte. (Foto: dpa/Paul Zinken)

01.07.2022

Ambitionen contra Bürokratie und Öko-Vorgaben

400.000 neue Wohnungen pro Jahr will die neue Bundesbauministerin Klara Geywitz errichten – die Voraussetzungen in vielen Kommunen sind eher ungünstig

Was hat sich das Netz über SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert amüsiert, weil dieser gestand, seit einem Jahr in Berlin vergeblich nach einer Wohnung zu suchen. Zur Erinnerung: Kühnert hatte es vor seinem Einzug in den Bundestag für unzulässig erklärt, dass man allein mit dem Vermieten von Wohnungen seinen Lebensunterhalt bestreitet; jeder und jede solle nur so viel Wohnfläche besitzen, wie er oder sie selbst nutzt.

Das ist natürlich Unfug. Und dass nun viele Vermietende zögern, einem ihrer schlimmsten Gegner eine Wohnung anzubieten: verständlich. Doch die ideologisch aufgeheizte Debatte, welche vor allem die SPD in Bezug auf Wohnen und Mieten in den Monaten vor der Bundestagswahl erfasst hatte, ist einem nüchternen Pragmatismus gewichen.

Die von Co-Parteichefin Saskia Esken geführten Ideolog*innen in der Partei sind ohnehin auch beim Thema Wohnen ziemlich kleinlaut geworden. Ihr Herzensprojekt, der Mietendeckel für Berlin – für den sich auch in Bayern viele linke Sozialdemokrat*innen wie etwa die Bundestagsabgeordnete und frühere Vorsitzende des Stadtverbands München, Claudia Tausend, begeisterten –, war ein totaler Fehlschlag.

Mietendeckel hat Angebot nochmals verknappt

Denn durch ihn hat sich das Angebot an freien Wohnungen in der Stadt mehr als halbiert. Gleichzeitig sind die Mieten in gut angebundenen Städten des Umlands um bis zu 12 Prozent gestiegen. Das geht aus einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hervor. „Die mit dem Mietendeckel einhergehende Angebotsverknappung ist alarmierend“, sagt Studienautor Konstantin Kholodilin. „Menschen, die umziehen müssen, weil sie zum Beispiel neu in die Stadt kommen oder sich familiär vergrößern, finden dadurch viel schwieriger als ohnehin schon eine Wohnung.“ Auch wenn es Kevin Kühnert wurmen mag: Wohnen geht nicht ohne Bauen, und Bauen ist ein Wirtschaftszweig, der wie alle anderen den Gesetzen des Marktes unterliegt. Mit DDR-affinem Gängeln erreicht man nichts – oder macht die Situation noch schlimmer.

Immerhin: Das Thema Bauen bekam im neuen Bundeskabinett nach mehr als 30 Jahren als Anhängsel anderer Ressorts – erst Verkehr, dann Umwelt und zuletzt Inneres – endlich wieder ein eigenes Ministerium. Das war mehr als überfällig, das Thema wurde politisch in den vergangenen Jahrzehnten stiefmütterlich behandelt. Nur ein Beispiel: Die Zahl der Sozialwohnungen in Deutschland hat sich seit der Jahrtausendwende von zwei Millionen auf eine Million halbiert.

Die neue, aus dem Realo-Landesverband Brandenburg stammende Ressortchefin Klara Geywitz (SPD) macht nicht den Eindruck, auf den Zug sozialistischer Enteignungsfantasien mancher ihrer Parteifreunde im Westen aufspringen zu wollen. Entsprechenden Gedanken erklärte sie bei einer Veranstaltung der kommunalpolitischen Vereinigung der SPD eine klare Absage. Auch die Aversion gegen Eigenheime – die wurde vor allem von den Grünen befeuert – teilt Geywitz nicht. Sie verstehe, dass vor allem junge Familien den Traum vom eigenen Haus im Grünen hegen; sie habe selbst drei Kinder, so die 46-Jährige. Was sie ärgere, so die Ministerin: Zu viele besagte junge Familien bauten lieber draußen auf der grünen Wiese neu – während in den Ortskernen ältere, aber noch gut nutzbare Häuser leer stünden und verfielen.

Wiederwahl sichern

Sicher, da ist was dran. Und mancher Gemeinderat mag sich mit entsprechenden Genehmigungen auch primär die Wiederwahl sichern wollen, statt vernunftorientiert zu agieren. Aber da Frau Geywitz selbst Kinder hat, sollte sie wissen: Der Nachwuchs verlangt nun mal auch nach einem aufblasbaren Pool, nach einem Sandkasten oder einer Hüpfburg.

Das geht aber in der Regel nicht in den meist winzigen Gärtchen innerorts. Auch brauchen Familien auf dem Land häufig ein zweites Auto. Nur wohin damit, wenn viele Städte derzeit rücksichtslos die Parkmöglichkeiten innerorts zusammenstreichen und immer mehr Straßen als verkehrsberuhigt ausweisen?
Wobei sich das Thema Eigenheim, zumindest auf mittlere Sicht, für die meisten Menschen in Deutschland ohnehin erledigt haben dürfte. Schade eigentlich, denn angesichts einer immer niedriger ausfallenden Rente und eines immer späteren Renteneintrittsalters ist eine eigene Immobilie noch der beste Schutz gegen Altersarmut. In Skandinavien, Frankreich sowie in den ost- und südeuropäischen Ländern und auch in Österreich hat man das verstanden. Deutschland jedoch hat die höchste Rate an in einer Mietwohnung lebenden Menschen in der EU.

Das zu ändern haben alle Bundesregierungen versäumt. Oder sogar bewusst verhindert. Ein Beispiel: Obwohl in Dänemark eine höhere Kaufkraft herrscht als hierzulande, beträgt die Grunderwerbsteuer dort nur einen Bruchteil der hiesigen. In Bayern muss man dafür selbst bei einer normalen Dreizimmerwohnung inzwischen den Gegenwert eines Kleinwagens an den Staat berappen. Und Finanzminister Albert Füracker (CSU) denkt nicht daran, das zu ändern.

Obendrein steigen inzwischen die Leitzinsen – damit auch die Raten für Immobilienkredite – und gleichzeitig geht die Kaufkraft aufgrund der explodierenden Inflation zurück. Zusätzlich wird der Fachkräftemangel in der Baubranche immer dramatischer. Die Baufirmen werden also vorrangig die Aufträge mit der höchsten Gewinnmarge und dem geringsten Aufwand annehmen –und da gehören Einfamilienhäuser nicht dazu.

Rathäusern fehlt Personal für Baugenehmigungen

Mehrfamilienhäuser dagegen schon – vor allem solche mit Mietwohnungen, die sich standardisierter bauen lassen und wo nicht so viel Rücksicht auf individuelle Wünsche von Bauherren genommen werden muss. Auf diese Art von Wohnungen setzt auch Bauministerin Geywitz. Rund 400.000 neue Einheiten sollen laut dem Koalitionsvertrag der Ampel nun jährlich gebaut werden, ein Viertel davon öffentlich gefördert. Das war schon vor dem Ukraine-Krieg ein ambitioniertes Ziel. Nun ist es angesichts der zusätzlich als Problem hinzugekommenen Materialknappheit fast illusorisch. Die Bundesbauministerin gibt sich trotzdem optimistisch, das ehrgeizige Ziel verwirklichen zu können. Man wolle unter anderem Ausbildungskapazitäten im Bereich der Planenden erhöhen. Die Bearbeitungszeiten in den kommunalen Bauämtern stiegen „auch deshalb, weil das Bau- und Genehmigungsrecht immer komplexer wird“, so Geywitz.

Schön, dass die Ministerin das erkannt hat. Nur ist ihre Partei daran nicht ganz unschuldig. Vor allem die Grünen, aber auch die SPD haben durch ständige Verschärfungen der ökologischen Richtlinien – Stichwort: Dämmung – für besagte Komplexität gesorgt. Und auch in den Stadträten sind sie es, die das Bauen mitunter weiter komplizieren und verteuern – etwa durch Vorgaben, dass auf dem Dach eines jeden neuen Wohnhauses eine Solaranlage errichtet werden muss.
 Dass Geywitz nun nach eigenem Bekunden dafür sorgen möchte, das Planungsrecht durch die Novelle des Baugesetzbuchs und des Raumordnungsgesetzes zu vereinfachen, ehrt sie. Wie schnell das aber umsetzbar wird, ist abzuwarten. Neue Gesetze sind fix erlassen, Entbürokratisierung dagegen ist ein langwieriges Verfahren.

 Auch fehlt es in vielen Kommunen an Personal zur Bearbeitung der Bauanträge. Direkt neue Leute in den Gemeinden dafür einstellen und bezahlen – das ist dem Bund verfassungsrechtlich verboten; das dürfen nur die Länder. „Die Digitalisierung wird die Verfahren weiter beschleunigen“, hofft Geywitz. Manchmal brauche es auch gar nicht viel Geld und ganz viel neues Personal. Bei ihr daheim in Brandenburg gebe es ein Landesförderprogramm, welches die Kommunen beim Erstellen von Bebauungsplänen und von Flächennutzungsplänen unterstützt.

 Neben der besseren IT hofft die Ministerin auf sogenannte einmalige Typengenehmigungen sowie serielles und modulares Bauen. Das sei kostengünstig, besonders, wenn man Holz verwende. Holz aber dürfte im Zuge der drohenden Öl- und Gasknappheit in Deutschland auch als Heizmaterial wieder nachgefragter werden – und damit auf Dauer teurer.
(André Paul)

 

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