Als Reaktion auf akute Bedrohung hat Angst eine lebenswichtige Funktion. Sie soll uns schützen und bei Bedarf warnen vor potenzieller Gefahr. Wir haben dann die Möglichkeit, uns entweder auf das Risiko und die Bedrohung einzulassen oder den Rückzug anzutreten – dies ganz wie in der Urzeit.
Betrachtet man die jährlichen Analysen der R&V-Versicherung, die in regelmäßigen Abständen versuchen, die „Ängste der Deutschen“ zu quantifizieren, so stellt man fest, dass historisch gesehen auch in neuerer Zeit relevante Bedrohungsereignisse immer von einem Anstieg des allgemeinen Angstgefühls begleitet waren. So führten Arbeitslosigkeit, Kriege, Regierungskrisen, Wirtschaftskrisen, Terroranschläge und Amokläufe nahezu regelhaft zu einem deutlichen Anstieg des allgemeinen Angstniveaus.
Nicht selten wurde dabei nicht so sehr das Ereignis an sich als bedrohlich empfunden, sondern die potenziellen, damit verbundenen psychosozialen Folgen, die im Verlauf beispielsweise eine wirtschaftliche Bedrohung für den Einzelnen zur Folge haben konnten (R&V-Versicherung 2020). Demzufolge spielt auch die Corona-Krise eine große Rolle hinsichtlich der Entstehung von Ängsten und anderen psychischen Symptomen.
Depressive Verstimmungen
Lagen im Frühjahr 2020 noch so gut wie keine Studien zur Häufigkeit von möglichen psychischen Folgen der Corona-Krise vor, existiert mittlerweile bereits eine beachtliche Anzahl von Publikationen, die sich mit unterschiedlichen Aspekten von Angst und anderen psychischen Symptomen im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie beschäftigen. Bereits früh zeigte sich, dass Ängste in der Allgemeinbevölkerung zunahmen (Wang et al. 2020). So berichteten über die Hälfte der befragten Personen über zum Teil erhebliche psychische Belastungen. Fast 30 Prozent der Befragten gaben moderat bis schwer ausgeprägte Angstsymptome an.
Neben Angst stellten sich aber auch andere psychische Beschwerden, wie zum Beispiel depressive Verstimmungen ein. So berichteten knapp 17 Prozent über eine moderate bis schwere depressive Symptomatik. Eine Ende März 2020 in Deutschland durchgeführte Online-Umfrage bei 6500 Personen berichtete das Auftreten von Angst und Stresssymptomen bei über 50 Prozent der Befragten (Petzold et al. 2020a). Auch der Krisendienst Psychiatrie in Oberbayern beobachtete analog steigende Inzidenzzahlen von Covid-19 auch eine steigende Anzahl von mit Covid-19 in Zusammenhang stehenden psychischen Krisen.
Befragungen fast durchgehend mit einfachen Screeningskalen
Berücksichtigt werden muss bei diesen Erhebungen allerdings, dass die Befragungen fast durchgehend mit einfachen Screeningskalen durchgeführt werden. Deren Auswertung erlaubt zwar, auf das Vorliegen einer ängstlichen und/oder depressiven Symptomatik zu schließen, der Nachweis einer psychischen Erkrankung im Sinne einer Diagnose ist mit diesen Instrumenten allerdings nicht möglich. So müssen für die Diagnose einer Depression oder Angststörung noch eine Reihe weiterer Symptome vorliegen und hinsichtlich Dauer und Intensität der Symptomatik ein gewisser Schwellenwert überschritten werden.
Ein besonderes Risiko für psychische Belastung im Zusammenhang mit der Corona-Krise tragen beispielsweise Mitarbeiter*innen des Gesundheitswesens, die im Rahmen ihrer Tätigkeit derzeit einem erheblichen Dauerstress ausgesetzt sind. Ebenso stellen vorbestehende psychische Erkrankungen einen wichtigen Risikofaktor dar, sowohl im Hinblick auf eine Verschlechterung der psychischen Störung als auch hinsichtlich des Infektionsrisikos.
Besondere Schwierigkeiten haben dabei beispielsweise Patienten*innen mit Demenzerkrankungen, schizophrenen Psychosen oder bipolaren Störungen, deren kognitive Fähigkeiten krankheitsbedingt oftmals eingeschränkt sind, sodass sie Schwierigkeiten haben, Hygienemaßnahmen einzuhalten, die Notwendigkeit von Maßnahmen zur sozialen Distanz zu verstehen oder selbstständig Desinfektionsmaßnahmen durchzuführen.
Umfassende Information
Zu den wichtigsten Empfehlungen zur Minimierung psychosozialer Folgeerscheinungen der Pandemie gehören insbesondere eine umfassende Information und Aufklärung sowohl der Allgemeinbevölkerung als auch des medizinischen Personals. Zudem sollten Prävention und Gesundheitsförderung in der Allgemeinbevölkerung ansetzen. Eine Resilienzstärkung durch tagesstrukturierende Maßnahmen, Sport und Bewegung sowie eine gesunde Ernährung sind hier von entscheidender Bedeutung. Psychotherapeutische oder psychiatrische Schwerpunktinterventionen sollten für Risikogruppen überlegt werden. E-Mental-Health-Angebote und telemedizinische Ansätze halten gerade in Zeiten der Pandemie verstärkt Einzug auch in die psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung.
Zentral für durch die Corona-Krise belastete Menschen sowie für Patientinnen und Patienten mit bereits bestehenden psychischen Erkrankungen ist das Ernstnehmen, Anerkennen und Aussprechen der eigenen Ängste und Sorgen. So ist im ersten Schritt wichtig, zu erkennen, dass Lockdown und Quarantänemaßnahmen, aber auch andere Formen der Alltagseinschränkungen unsere Möglichkeiten stark begrenzen, den Tag nach den Erfordernissen und Wünschen zu gestalten. Umso mehr kommt es darauf an, Routinen zu etablieren und aufrechtzuerhalten, auch wenn wir in unserem Aktionsradius beeinträchtigt sind. Des Weiteren sind körperliche Aktivität und Sport wichtig.
Zudem zeigen Studien, dass unsere seelische Befindlichkeit entscheidend vom Medienkonsumverhalten abhängt. Ein Übermaß an Information, eine zeitlich überbordende Beschäftigung mit den Themen sowie eine unkritische Selektion der Informationsquellen tragen oft erheblich zu einer Verschlechterung der seelischen Verfassung sowie zur Entwicklung von Ängsten und depressiven Verstimmungen bei. Ein- bis zweimal Nachrichten einholen pro Tag ist mehr als ausreichend! (Peter Zwanzger)
Der habilitierte Autor ist Ärztlicher Direktor des KBO-Inn-Salzach-Klinikums, Vorsitzender der bayerischen Direktorenkonferenz und Präsident der Gesellschaft für Angstforschung.
Die vollständigen Seiten des Bayerischen Bezirketags Teil I
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