Kommunales

Ein Wasserkraftwerk, ganz idyllisch: hier im Fränkischen Freilandmuseum in Bad Windsheim. (Foto: Wraneschitz)

05.11.2021

Bei Wasserkraft könnte weniger mehr sein

Die Ansichten über zusätzliche Kleinanlagen gehen im Freistaat auseinander

"Die energetische Nutzung von Wasserkraft in Deutschland ist ausgereizt." Stimmt diese Pauschalaussage eigentlich? Wenn es um die möglichen Kraftwerke an großen und mittleren Flüssen oder Kanälen geht: Ja. Dort bringt das hinabstürzende Wasser Turbinen zum Rotieren, die wiederum recht große Generatoren zur Stromproduktion antreiben. Und um solche Kraftwerke zu bauen, sind massive Eingriffe in die Flussverläufe notwendig, die es Fischen schwer machen, sich im Flusslauf in Richtung Quelle zu bewegen. Schon aus diesem ökologischen Grund wird das heute kaum noch angewendet.

Aber: Es gibt mehrere Tausend sogenannter Querverbaue an Gewässern dritter Ordnung (zum Beispiel Bächen), oft Wehre genannt. Viele davon waren früher Standorte von Kleinwasserkraftanlagen: Wasserräder, die zwischen drei und 40 Kilowatt Leistung an der Welle aufwiesen, trieben Mühlsteine oder Hammerwerke an. Mit der Zeit der Industrialisierung verlor diese Art der Wasserkraftnutzung aber ihre Bedeutung. Nur an wenigen Standorten wurden diese Wasserkraftwerke auf Stromerzeugung umgenutzt. Oft laufen die Räder heute noch – aber nur zur Schau, ohne konkrete Funktion.

Mehr als 500.000 solcher Anlagen gab es um 1900

Ein Blick zurück: Weit über eine halbe Million Kleinwasserkraftanlagen gab es um 1900 in Europa, die Hälfte davon dürften Wasserräder gewesen sein, die sich in Deutschland gedreht haben – viele davon bis zum Zweiten Weltkrieg. Doch inzwischen gibt es laut Statistik des Umweltbundesamts insgesamt nur noch etwa 7600 Wasserkraftanlagen. Die kleinen, jene mit Wasserrädern, sind kaum mehr darunter. Die meisten der nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) im Jahr 2008 vergüteten 6249 Kleinanlagen sind solche mit Turbinen.

Doch angenommen, man nähme nur jede dritte Kleinwasseranlage – also rund 100.000 dieser nicht mehr existierenden Anlagen mit einer durchschnittlichen Leistung von zehn Kilowatt (kW) – wieder in Betrieb: Schon stiege die elektrische Grundlast um eine Million kW. Diese umgerechnet 1000 Megawatt wären ein Viertel der aktuell genutzten Wasserkraft – oder fast so viel wie ein Atomkraftwerk. Aber auf die gesamte Fläche der Bundesrepublik dezentral verteilt. Hochspannungsleitungen wie für riesige Windparks in Nord- oder Ostdeutschland würden nicht mehr gebraucht, weil die elektrische Energie in den Ortschaften nahe der Kleinkraftwerke verbraucht würde.

Doch warum werden diese Anlagen – trotz Wirtschaftlichkeit – nicht reaktiviert? Die Gründe sind vielfältig. Zum einen ist bekanntlich mit der Atomkraft in Deutschland bis Ende nächsten Jahres Schluss; Kohlestrom wird spätestens ab 2038 nicht mehr produziert. Der mangelnde Bedarf dürfte also nicht schuld sein. Obendrein ist für den Bau von Wasserrad und Generatorhaus der Aufwand überschaubar. Und in den Flusslauf müsste dank des bestehenden Querbauwerks kaum eingegriffen werden.

Neues Wasserrecht zu bekommen, ist extrem schwierig

Aber da ist ja noch die deutsche Gesetzgebung. Die macht es extrem schwierig, ein neues Wasserrecht zu bekommen. Das erlischt zwar nicht automatisch. Aber bei einem Neu-Antrag werde die alte Genehmigung aberkannt und ein ganz neues Verfahren in Gang gesetzt, wissen Fachleute. Thomas Keller, der Chef des staatlichen Wasserwirtschaftsamts (WWA) in Ansbach, zählt auf, was potenzielle Wasserkraftanlagenbetreiber zu beachten haben – auch bei bestehenden Querbauwerken: „Durchgängigkeit, Fischschutz, Mindestwassermengen.“ Bei Wasserrädern sieht Keller den Fischschutz nicht als Problem, die anderen beiden Punkte dagegen schon. Weil die Gewässer hierzulande nicht in einem guten Zustand seien, müsse die Durchgängigkeit auch der Bäche erhöht werden. Selbst „das eine oder andere Querbauwerk müsste noch geschliffen werden“, meint WWA-Direktor Keller sogar.

Das sieht beispielsweise der Landesverband Erneuerbare Energien in Nordrhein-Westfalen völlig anders: Viele Querbauwerke könnten schon aus Hochwassergründen nicht entfernt werden; deshalb „bietet die Nutzung dieser Wehre durch die Wasserkraft die Möglichkeit, die Fischdurchgängigkeit herzustellen und somit die gewässerökologische Situation vor Ort zu verbessern. Auf diese Weise gehen Natur- und Klimaschutz Hand in Hand. Für ohnehin bereits ausgebaute Bäche und Flüsse ist die Wasserkraft daher oft eine Chance auf angewandten Naturschutz.“

Mehr oder weniger Fische durch Kleinwasserkraft? Für den Münchner Axel Berg, den Vorsitzenden der deutschen Sektion von Eurosolar, bedeutet „mehr Kleinwasserkraft sogar mehr Fische“. Dazu hat Eurosolar vor einigen Jahren eine eigene Studie veröffentlicht; Berg war daran maßgeblich beteiligt. Der Landesfischereiverband Bayern ist dennoch gegen die Wiederinbetriebnahme von Wasserrädern: „Das lehnen wir konsequent ab, weil die zu wenig Energie liefern“, erklärt Pressesprecher Thomas Funke. Und Querbauwerke seien kein Hochwasserschutz; der Verband will viele sogar entfernt sehen. Zudem seien die Räder früher auch nicht dauernd in Betrieb gewesen, sondern nur, wenn wirklich gemahlen oder gehämmert wurde. Dass Angler heutzutage gerade an den Querbauwerken fischen würden, erklärt Funke so: „Die passen sich halt an.“

Auswirkungen auf den Fischbestand umstritten

Ganz anders die Argumentation von Josef Rampl, dem Geschäftsstellenleiter der Vereinigung Wasserkraftwerke in Bayern. Er könne nicht nachvollziehen, dass ausgerechnet Umweltschützer wie der Bund Naturschutz mit Wassersportlern und Anglern an einem Strang ziehen. „Wenn man den heutigen Zustand der Gewässer beklagt, dann hätte der vor 100 Jahren bei den damals 12.000 Wasserrädern in Bayern noch schlimmer sein müssen“, so Rampl. Außerdem kritisiert er, dass die Europäische Wasserrahmenrichtlinie aus dem Jahr 2000 immer noch gilt: „Wir hatten 2011 Fukushima, 2015 die Klimavereinbarung von Paris – und damit kamen neue Klimaziele. Aber wir setzen Ziele aus dem Atomzeitalter um: Der Klimaschutz hat keine Stimme“, gibt sich Josef Rampl enttäuscht.

Der Bund Naturschutz jedoch sieht Wasserkraft weiterhin „mit keinerlei Nutzen oder einer nachhaltigen Bewirtschaftung von Gewässern verbunden“. Ganz anders im Nachbarland Österreich. Dort „arbeitet die Tiroler Wasserkraft AG seit 25 Jahren mit dem Tiroler Fischereiverband (TFV) eng zusammen, um die heimische Fischfauna zu fördern“, heißt es vom größten Wasserkraftbetreiber des Landes.

Die Grenzen in Europa sind also selbst beim Thema „Fischer gegen oder für Kleinwasserkraft“ noch deutlich sichtbar. Ein Miteinander wie in Österreich erhofft sich auch Jochen Zehender: „Ich würde mir wünschen, wenn man das Ganze neutraler betrachten würde, also gleichermaßen Klimaschutz durch regenerative Energie und Naturschutz.“ Zehender ist übrigens Geschäftsführer der staatlichen Bayerischen Landeskraftwerke GmbH.
(Heinz Wraneschitz)

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