Kommunales

Mit illegalem Glücksspiel lassen sich alljährlich am Gesetz vorbei Milliardenumsätze generieren – zumindest, bis die Polizei eingreift. (Foto: dpa)

30.10.2015

Bessere Chancen im Kampf gegen Glücksspiel-Szene

Ein Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs kippt bundesweit die bisherige Form der Rechtsaufsicht – das sollten Kommunen ausnutzen

Der Glücksspielmarkt ist in Deutschland – dank der hohen Gewinnmargen – ein Eldorado für illegale Anbieter. Doch jetzt hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof in einem bundesweit gültigen Urteil die bisherige Praxis der Rechtsaufsicht gekippt. Die Branche steht nun an einem Scheideweg. Kommunen könnte dafür sorgen, mit künftig strengeren Regeln der halbseidenen Branche den Garaus zu machen – oder aber, es wird alles noch viel schlimmer und die Zockerläden breiten sich weiter aus. Für den Verbraucher sind sie kaum zu erkennen: Illegale Lotterien, Sportwetten und Casinospiele im Internet gedeihen prächtig und sind sehr lukrativ. Nun hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof das Glücksspielkollegium, die oberste Glücksspielaufsicht der Länder, für verfassungswidrig erklärt.
Mit dem Urteil stünde die derzeitige Form der Regulierung des Glücksspielmarktes nun vor dem Aus, meint Professor Tilman Becker, Leiter der Forschungsstelle Glücksspiel an der Universität Hohenheim. „Der Glücksspielstaatsvertrag von 2012 sah zwar erstmalig ein koordiniertes Vorgehen der Bundesländer gegen illegale Anbieter vor, doch das funktionierte leider nicht.“ „Die staatliche Regulierung ist weitestgehend gescheitert, die verantwortlichen Behörden erscheinen machtlos. De facto existiert in Deutschland ein in weiten Bereichen nicht regulierter Glücksspielmarkt“, schildert der Experte die Lage. Er plädiert dafür, anstelle des Glücksspielkollegiums eine wesentlich effizientere Glücksspielkommission einzusetzen. Sie könnte wirkungsvoller Kontrollen ausüben und die Zahlungsströme zu illegalen Anbietern unterbinden: „Ziel ist es, die legalen Anbieter auf der einen Seite möglichst wenig einzuschränken, aber auf der anderen Seite möglichst viel für den Jugend- und Spielerschutz zu tun.“ Derzeit wird bei Sportwetten mittlerweile fast der gesamte Umsatz durch nicht-legale Anbieter getätigt. „Diese bieten im Internet meist nicht nur Sportwetten, sondern auch die deutlich lukrativeren Online-Casinospiele an, die fast überall in Deutschland illegal sind“, berichtet der Professor.

"Jugendschutz wird bisher kaum berücksichtigt"

„Die staatliche Regulierung ist weitestgehend gescheitert – die verantwortlichen Behörden erscheinen machtlos.“ Es bestünde offenbar, so Becker, ein strukturelles Vollzugsdefizit. „Der Jugend- und Spielerschutz wird bei dem nicht-legalen Angebot kaum berücksichtigt. Es lohnt sich für einen Anbieter, sich nicht an die gesetzlichen Vorgaben zu halten.“ Die einzelnen Glücksspielformen unterscheiden sich erheblich in Bezug auf ihr Suchtpotenzial. Am höchsten ist es bei Geldspielgeräten, Casinospielen und Sportwetten, am geringsten bei den traditionellen Lotterien. „Die Glücksspielaufsicht fordert bisher jedoch bei Lotterien die höchsten Standards für die Suchtprävention. Dadurch verschiebt sich das Angebot von den ungefährlicheren Spielen hin zu den gefährlichen“, umreißt der Wissenschaftler eines der Probleme. Online-Anbieter agieren außerdem in der Regel europaweit. Ordnungsrechtlich war bislang jedoch nur das jeweilige Bundesland zuständig. „Es stellt sich hier die Frage, ob eine föderale Struktur nicht grundsätzlich mit der Kontrolle und Überwachung dieser Anbieter überfordert ist“, gibt Becker zu bedenken. Die bisherige Situation sei für illegale Anbieter von erheblichem Vorteil. „Der Markt ist völlig unreguliert. Potenzielle Anbieter, die sich an die Gesetze halten wollen, werden vom Markt ferngehalten – und die eindeutig illegalen Angebote von Casinospielen anscheinend durch die Glücksspielaufsicht geduldet.“ „Künftig kann der Glücksspielmarkt in Deutschland nur dann erfolgreich reguliert werden, wenn hierfür die institutionellen Voraussetzungen geschaffen werden“, meint der Hohenheimer Forscher. Das bisherige Glücksspielkollegium, mit einem einzigen Glücksspielreferenten aus jedem Bundesland, der daneben auch noch für andere Bereiche verantwortlich ist, sei zum Scheitern verurteilt gewesen. Tilmann Becker schlägt als Abhilfe eine Glücksspielkommission vor, wie sie in den meisten Ländern Europas als Aufsichtsbehörde dient. „In diesen Kommissionen sind bis zu mehrere hundert Mitarbeiter tätig. Sie arbeiten mit den Zahlungsdienstleistern eng zusammen. In Belgien ist die Glücksspielkommission sogar mit Polizeirechten ausgestattet.“ Um den Glückspielmarkt nicht wie bisher nur auf dem Papier, sondern tatsächlich sinnvoll zu regulieren, sei eine Expertise in den Bereichen Verbraucherschutz, Wirtschaft und Recht notwendig. Diese müsse eine Glücksspielkommission vorweisen können. „Und nicht zuletzt ist auch die Infrastruktur für die Kontrolle der Anbieter und den Schutz der Spieler zu schaffen“, mahnt der Experte. (Dorothea Elsner, Felix Krebs)

Kommentare (3)

  1. andy am 01.11.2015
    Es wird höchste Zeit das verfassungsfeindliche Glücksspielkolegium durch Fachleute und branchenerfahrene Rechtsanwälte, auch Vertreter von Fachverbänden sowie Führungspersonen aus Glücksspielunternehmen (natürlich nur die eine deutsche Glücksspiel-Lizenz besitzen) zu ersetzen. Nur so kann der jetzt neu eingeschlagene Weg zur bedingungslosen Neuorientierung im deutschen Glücksspielmarkt wirksam umgesetzt werden. "Der Staat ist für den Menschen da." Diesen Satz spricht für sich. Spielen ist ein beliebter Zeitvertreib und Deutschland muss den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung im Internet in regulierte und überwachte Bahnen lenken. Und das geht nur mit der Branche...
  2. bongadelli am 30.10.2015
    ich verstehe die Überschrift nicht, ist ja völlig daneben.,,durch den Beschluss des VgH Hessen ist das Sportwettkonzessionsverfahren erneut gescheitert..es gibt nun gar keine Möglichkeit mehr, gegen irgendwen einzuschreiten...denn wenn das Konzessionsverfahren gegen Verfassungsrecht verstösst, kann jedermann ohne Erlaubnis anbieten..die Politik ist dringend gefordert, unternimmt aber nichts, gerade auch wegen der mitverantwortlichen Glückspielreferenten in Bayern oder NrW..

    darüber sollten Sie einmal schreiben und deutlich machen, dass seit 15 Jahren eine gemeinschaftswidrige Rechtslage besteht, wie höchstrichterlich mehrfach vom BverfG und vom EugH festgestellt..
    die Überschrift ist insoweit unsinnig, macht deutlich, dass Sie nicht unbefangen als Journalisten arbeiten..
    mfg
    bongadelli
  3. minga am 30.10.2015
    "Die Glücksspielaufsicht fordert bisher jedoch bei Lotterien die höchsten Standards für die Suchtprävention". Diese Aussage kann nicht ihr ernst sein...und beweist eigentlich nur, dass Sie ähnlich wie alle beteiligten "staatlichen Entscheider" , von der Praxis und Realität keinerlei Ahnung haben...Beste Grüße
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