Kommunales

Die zunächst geplante Verbindung über den Frankfurter Ring wird wohl gestrichen. Aber auch die Kosten für die Route von der Studentstadt nach Unterföhring wären hoch, rund 160 Millionen Euro geschätzt - bei einem Beförderungspotenzial von lediglich 2900 Fahrgästen pro Tag. (Foto: dpa/P. Bauch)

16.02.2022

Bringt wenig, kostet viel - bauen wir aber trotzdem

Ein dem Münchner Stadtrat vorgestelltes Gutachten für eine Seilbahn über der Landeshauptstadt äußert massive Bedenken - OB Reiter (SPD) und Bayerns Verkehrsministerin Schreyer (CSU) halten trotzdem an dem Projekt fest. Die Isar-Trasse wird weiter geprüft

So wie Bayerns früherer Ministerpräsident Edmund Stoiber sich in sein Projekt eines Schnellzugs vom Münchner Hauptbahnhof zum Flughafen verbissen hatte, hat auch Dieter Reiter (SPD), der Rathauschef der Landeshauptstadt, ein Steckenpferd: eine Seilbahn. Kürzlich wurde den Fraktionen des Münchner Stadtrats sowie der Gemeinde Unterföhring in einer Infoveranstaltung die Machbarkeitsstudie zum geplanten Seilbahnprojekt vorgestellt.

Zunächst die positive Botschaft: Das Projekt ist technisch grundsätzlich realisierbar und auch städtebaulich und naturräumlich integrierbar. Doch das war es auch schon. Die Seilbahn, so die Gutacher, brächte kaum neue Fahrgäste im Vergleich zu den untersuchten Alternativen Tram und Expressbus. Dafür sind die Kosten mit geschätzt 433 Millionen Euro ausgesprochen hoch. Nicht viel besser schaut es für eine Realisierung über die Isar nach Unterföhring aus. Das ginge ebenfalls mächtig ins Geld und brächte ebenfalls einen vergleichsweise geringen Nutzen. Trotzdem empfiehlt das neue Gutachterteam, eine Verbindung zwischen Studentenstadt und Unterföhring vertieft zu untersuchen.

Auch Bayerns Verkehrsministerin Schreyer (CSU) will dran bleiben

Ein wenig zerknirscht gibt sich der Münchner OB zwar, abrücken von dem Projekt mag er aber nicht. „Schade, dass die gewählte Streckenführung offenbar – entgegen der ursprünglichen Einschätzung der Verwaltung – keinen nennenswerten verkehrlichen Nutzen, aber vergleichsweise hohe Kosten bedeuten würde", bedauert Reiter. Deshalb werde er  die Verwaltung bitten, darüber nachzudenken, ob es im Stadtgebiet, beziehungsweise in Verbindung mit der Region, Strecken gibt, die einen verkehrlichen Nutzen zu vertretbaren Kosten bringen. Auch Bayerns Verkehrsministerin Kerstin Schreyer (CSU) lässt sich von hohen Kosten in Kombination mit niedriger Effizienz nicht abschrecken, man denke "Mobilität breit", so die Ressortchefin. Sie würde sich freuen, wenn die Kommune die Pläne weiter verfolgen würde. 

Die Machbarkeitsstudie wurde vom Mobilitätsreferat der Landeshauptstadt in Auftrag gegeben, um neue Möglichkeiten auszuloten, wie die Verkehrssituation am Frankfurter Ring verbessert werden könnte. Verglichen wurden dabei eine Seilbahn, eine Straßenbahn und eine Expressbuslinie als alternative ÖPNV-Systeme hinsichtlich des Fahrgastpotenzials und der Kosten. Außerdem wurden die technische Machbarkeit sowie städtebauliche und naturräumliche Aspekte untersucht.

Für die Studie wurden neun Streckenvarianten begutachtet. Die knapp elf Kilometer lange Strecke entlang des Frankfurter Rings zwischen den S-Bahnhöfen Fasanerie und Unterföhring weist dabei für die Seilbahn mit 23 000 Fahrgästen pro Tag das größte Fahrgastpotenzial auf. Daher wurde sie als Vorzugsvariante vertieft untersucht. Es wurden u.a. Straßenquerschnitte und die Situierung von Umlenkbauwerken geprüft, außerdem mögliche Abschattungen durch Stationsbauten oder Kabinen sowie eventuelle Sicht- und Geräuschbelastungen der Anwohnerschaft.

Platz für je 20 Fahrgäste in insgesamt 84 Kabinen

Eine Seilbahn könnte demnach als Dreiseil-Umlaufbahn betrieben werden: In jeder der 84 Kabinen, die für den urbanen Betrieb eher schmal sein müssen, fänden zirka 20 Personen Platz. Die Kabinen würden im Abstand von 45 Sekunden (260 Metern) in die mittig gelegenen Haltestationen einfahren und dort ca. 33 Sekunden bleiben. Die Fahrzeit einer Kabine für die Strecke mit neun Haltestellen läge bei 29,9 Minuten. Eine Stärke der Seilbahn liegt in ihrer geringen Störungsanfälligkeit. Sind jedoch Wartungsarbeiten notwendig, muss der betroffene Seilbahnabschnitt - die sogenannte Seilschleife - komplett stillgelegt werden.

Der verkehrliche Nutzen der Seilbahn ist beispielsweise gegenüber einem alternativen Expressbus allerdings gering. Das Fahrgastpotenzial liegt nur 3000 Beförderten pro Tag höher. Dem stehen jedoch Investitionskosten in Höhe von 433 Millionen Euro für die Seilbahn und 19,02 Millionen Euro für den Expressbus gegenüber. Außerdem wäre auch für eine Seilbahn abschnittsweise an den Stationen der Entfall von Fahrspuren auf dem Frankfurter Ring nötig. Dies hängt mit den Zugängen für die Fahrgäste zu den Haltestellen zusammen.

Das Gutachterteam empfiehlt aber, das Teilstück vom U-Bahnhof Studentenstadt zur S-Bahn-Haltestelle Unterföhring vertieft zu untersuchen (zirka 3,7 Kilometer, drei Stationen, zirka zehn Minuten Fahrzeit), da hier auch mit einem touristisch bedingten Fahrgastaufkommen zu rechnen wäre , vor allem Besuchende für den Englischen Garten. Allerdings werden auch hier Kosten in Höhe von rund 160 Millionen Euro geschätzt, bei einem Beförderungspotenzial von 2900 Fahrgästen pro Tag. Nach einer Betreiberfirma müsste aber selbst in diesem Fall erst noch gesucht werden.

Berlin leistet sich schon eine Seilbahn – trotz klarer Ineffektivität

Vorreiter bei einem innerstädtischen – gleichwohl ebenfalls heftig umstrittenen – Seilbahnprojekt unter den deutschen Metropolen ist Berlin, konkret dessen östlicher Stadtteil Marzahn. Wer dort die U5 verlässt, braucht nur ein paar Schritte zur Seilbahnstation, durch die 64 Gondeln gleiten. Doch wer den Berg zur anderen Seite hinabfährt, findet sich an einer vierspurigen Straße wieder. Die Seilbahnfahrt ist bislang ein Selbstzweck, eine Besucherattraktion. Auf dem Weg durch die Stadt kommt damit niemand schneller an sein Ziel. Dennoch: Die neue rot-grün-rote Koalition in der Stadtregierung hat beschlossen, dass man sie mit dem normalen ÖPNV-Ticket nutzen kann. Sie setzt damit ein Zeichen. Eine Studie soll nun bis 2023 zeigen, ob weitere Seilbahnen den Nahverkehr sinnvoll ergänzen könnten. Typisch Berlin, möchte man sagen: Bringt nischt, kostet nur – dit machen wird aber trotzdem, wa?!

„Man kann Seilbahnen schnell bauen, sie brauchen wenig Platz und liefern permanenten Verkehr“, meint Lars Wagner, Sprecher des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen. Wichtig sei jedoch, dass der verkehrliche Nutzen stimme – auch weil nur dann eine Förderung durch den Bund möglich werde. Manchmal spielt aber auch die Bevölkerung nicht mit. In Hamburg etwa ist ein Seilbahn-Plan schon vor Jahren gescheitert. Die Bürger*innen lehnten die Bahn von St. Pauli über die Elbe und auf die andere Hafenseite in einem Entscheid ab. Gegner*innen sorgten sich unter anderem um das schöne hanseatische Stadtbild. (André Paul)
 

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