Kommunales

Fürt wen mag über Nürnberg politisch die Sonne aufgehen? Das entscheidet sich am 15. März. (Foto: dpa)

31.01.2020

CSU und SPD kuscheln weiter

Serie: Der Kommunalwahlkampf in den acht bayerischen Großstädten. Teil 4 – Nürnberg

Zur Kommunalwahl am 15. März 2020 stellt die Staatszeitung die Kandidaten für den Posten des OB und die für den Stadtrat antretenden Listen in den acht Städten des Freistaats mit mehr als 100 000 Einwohnern vor. Im rund 520 000 Einwohner zählenden Nürnberg tritt der Nachfolger in große Fußstapfen: Der scheidende OB Ulrich Maly (SPD) gilt als einer der beliebtesten Politiker Bayerns.

Mit einer einfachen Gewissheit geht Nürnberg in die anstehende Kommunalwahl: Der neue wird nicht der alte Oberbürgermeister sein. Bleiben nur noch die spannenden Fragen zu klären, ob sich erstens die CSU mit Marcus König an der Spitze die einmalige Gelegenheit entgehen lässt, die Grünen zweitens den Aufwind mit Verena Osgyan nutzen und beispielsweise den Einzug in die Stichwahl schaffen werden und ob drittens Thorsten Brehm als SPD-Kandidat trotz Umfragetief von einem wie auch immer gearteten „Maly-Bonus“ profitieren kann.

Apropos: Mit seinem überraschenden Rückzug hat Daueramtsinhaber Ulrich Maly (SPD) den Urnengang in der Frankenmetropole überhaupt erst wieder so richtig spannend gemacht, sind sich die allermeisten politischen Beobachter in der Frankenmetropole einig. Nach 18 Jahren im Rathaus hätten die Nürnberger dem 59-jährigen Maly eine vierte Amtsperiode als Krönung seiner Laufbahn wohl tatsächlich kaum verwehren können.

Echte Siegeschancen für die anderen Parteien dank Malys Abgang

Durch den Abgang von Maly rechnen sich plötzlich die anderen Parteien wieder echte Siegeschancen aus. Vorneweg die CSU, die das Rathaus in der Heimatstadt des amtierenden Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) nach fast zwei Dekaden endlich zurückerobern will und dazu ihren 38-jährigen Fraktionsvorsitzenden Marcus König ins Rennen schickt. König wolle „nicht alles anders, aber vieles besser“ machen. Mit Sätzen wie „Verwalten reicht nicht mehr. Wir müssen gestalten“ spart König auch nicht mit Kritik am scheidenden Stimmenkönig. Die CSU habe laut König nun „die einmalige Chance“, den Oberbürgermeister und die stärkste Stadtratsfraktion in Nürnberg zu stellen.

Die Grünen untermauern ihre wachsenden Ambitionen mit der Nürnberger Landtagsabgeordneten Verena Osgyan, die den stellvertretenden Fraktionsvorsitz im Maximilianeum gegen den Chefsessel im Rathaus eintauschen will. Eher Außenseiterchancen werden OB-Kandidaten wie Ümit Sormaz (FDP) und Christian Rechholz (ÖDP) im Wettstreit um die Maly-Nachfolge eingeräumt.

Mehr Einfluss auf den Wahlausgang wird der AfD zugetraut, die mit dem 59-jährigen Diplom-Kaufmann Roland Hübscher antritt. Im bisherigen Wahlkampf hat Hübscher bislang allerdings hauptsächlich durch Abwesenheit geglänzt. Die AfD gilt daher in Nürnberg als Wundertüte. Bei den letzten Landtagswahlen ist die rechtspopulistische Partei mit knapp zehn Prozent viertstärkste Kraft in Nürnberg geworden.

Mobilität und Verkehr sind Brehms Lieblingsthemen

Jubel hier, Frust dort: Mit seiner Absage ans Weiterregieren hat Ulrich Maly vor genau einem Jahr alle überrascht. Nach dem Paukenschlag hat sich die SPD beeilt, ihren jungen Parteichef aufs Schild zu heben. Der 34-jährige Thorsten Brehm könnte einer der jüngsten Oberbürgermeister der Nürnberger Stadtgeschichte werden. Parteiintern hat sich der Diplom-Sozialwirt gegen andere mögliche Kandidaten wie beispielsweise Christian Vogel, den amtierenden Maly-Stellvertreter und ehemaligen Parteichef, durchgesetzt.

Vogel habe die Kandidatur nicht gewollt, sagt Brehm. Also habe Brehm selbst das plötzlich aufgetauchte Maly-Vakuum füllen müssen. Nun scheint der neue SPD-Hoffnungsträger hauptsächlich an seiner Bekanntheit zu arbeiten. Ein Parteichef und stellvertretender Fraktionschef wird wohl einfach nicht so häufig in der Zeitung abgebildet wie ein Zweiter Bürgermeister. Seither strahlt Brehm – je nach Jahreszeit wahlweise mit Weihnachtsbaum oder mit Wunderkerzen; gerne auch strahlend an der Seite von Maly – von vielen Plakaten.

Mit ungewöhnlichen Formaten wie „Auf ein Bier mit ...“ will Thorsten Brehm im Wahlkampf zusätzlich punkten. In den Eckkneipen berichtet Brehm den potenziellen Wählern, dass er aus einer Nürnberger Handwerkerfamilie stamme. Als Spross aus dem dörflich geprägten und direkt vor den Toren der Stadt liegenden Knoblauchsland – ja, das Gemüseanbaugebiet zwischen Nürnberg, Fürth und Erlangen heißt wirklich so – habe er an der hiesigen Universität studiert und anschließend als Diplom-Sozialwirt in der ebenfalls ortsansässigen Bundesarbeitsagentur gearbeitet.

CSU-Mann König setzt auf Familienthemen

Mit 24 Jahren ist er in den Stadtrat gewählt worden. 2015 ist Brehm mit 31 Jahren zum SPD-Vorsitzenden aufgestiegen. 2018 hat er die Geschäftsführung der „Fränkischen Verlagsanstalt“ übernommen, die in Nürnberg von der SPD-Parteizentrale betrieben wird. Mobilität und Verkehr haben sich im Wahlkampf als Brehms Lieblingsthemen herauskristallisiert. Gerne verweist Brehm darauf, dass Nürnberg im letzten Jahrzehnt um 40 000 Einwohner gewachsen ist.

Damit die aus den Nähten platzende Stadt nicht im Stau stecken bleibt, will Brehm mehr Radwege schaffen und sich besonders für das 365-Euro-Jahresticket im Nahverkehr einsetzen. Zeitgleich mit seinem CSU-Widersacher ist Brehm im Jahr 2008 zum ersten Mal in den Stadtrat gewählt worden. Und noch eine Gemeinsamkeit haben die beiden Ratskollegen, die sich duzen und fast freundschaftlich im Wahlkampf miteinander umgehen: Genauso wie Brehm hat König eine Traumkarriere hingelegt.

Die beiden Männer schätzen sich. Brehm lobt Königs Zuverlässigkeit. König schätzt Brehms Detailversessenheit. Über schulische Umwege hat König den Aufstieg vom Bank-Lehrling zum Bank-Direktor bewerkstelligt. Trotzdem setzt König seinen Schwerpunkt auf die Familienpolitik. „Wir haben selber keinen Betreuungsplatz für unseren Sohn gefunden und sind eine Zeit lang in der Luft gehangen“, hat König bei seiner Nominierung aus eigener Erfahrung berichtet. König will Familien bei der Kinderbetreuung deshalb mehr Planungssicherheit geben. „Wir wollen Familien in der Stadt halten.“ Dafür müsse es mehr Wohnraum geben, den sich Familien leisten können.

Überhaupt dominiert die Familie bei König den politischen Leitfaden. Damit setzt er sich geschickt von seinem Hauptwidersacher von der SPD ab. Überzeugter Single oder frisch verliebt: Thorsten Brehm plaudert öffentlich nicht über sein Privatleben. Aus seinen familiären Verhältnissen macht er eher ein kleines Geheimnis. Einig sind sich König und Brehm beim sorgenvollen Blick auf die schwierige Haushaltslage. Zumal zahlreiche Bauprojekte wie der Neubau der Hafenbrücken oder die Renovierung des Opernhauses anstehen und die Baukosten durch die Decke gehen.

Osgyan geht auf Kollision zur Rathauskoalition

Besonders bei der Finanzierung des Nahverkehrs sei die Stadt auf großzügige Unterstützung aus München und Berlin angewiesen. „Wenn die Gelder nicht kommen, wird es im Haushalt richtig schwierig“, sagen Brehm und König unisono. Um die Ausgaben im Griff zu behalten, haben sich König und Brehm mitten im Wahlkampf auf einen gezügelten Investitionsplan für neue Radwege verständigt. Nur die Grünen hätten sich verweigert, den Nichtangriffspakt als Gegengift zum drohenden Überbietungswettbewerb beim Radwegeausbau zu unterschreiben.

Überhaupt setzt die grüne OB-Kandidatin Verena Osgyan – sie ist für ihre Partei auch Abgeordnete im Bayerischen Landtag – bei wichtigen Themen wie dem kreuzungsfreien Ausbau des Frankenschnellwegs auf einen Kollisionskurs zur großen Rathauskoalition in Nürnberg. Die geplante Tunnel-Lösung ist Osgyan viel zu teuer. „Ich bin mir sicher, dass wir die Milliarden-Grenze bei den geplanten Baukosten noch reißen werden“, hat Osgyan ihre ablehnende Haltung zu dem von SPD und CSU befürworteten Verkehrsprojekt begründet und stattdessen eine kostengünstigere Variante mit kürzerer Bauzeit ins Spiel gebracht. „Die Planung stammt aus dem letzten Jahrtausend und so fühlt sie sich auch an. Im Jahr 2032 – wenn der Ausbau des Frankenschnellwegs beendet sein soll – haben wir eine ganz andere Mobilität in der Stadt“, ist sich die Mutter eines kleinen Sohnes sicher.

Beim Thema Wohnen liegen dagegen Rot und Grün wieder mehr auf einer Wellenlänge. Erst im vergangenen Jahr haben die Sozialdemokraten und die Ökopartei gemeinsam ein neues Baugebiet im ländlich geprägten Stadtteil Schnepfenreuth mit mehr als 500 Wohneinheiten für über 1000 Einwohner gemeinsam durch den Stadtrat geboxt und dafür rund 150 Hektar beste Ackerfläche geopfert.

Spekulationen über mögliche Bündnisse

„Die Menschen wollen wohnen. Der Erhalt der Ackerflächen wird nicht immer gelingen“, hat Osgyan kürzlich auf einem Podium des Bauernverbands den erzürnten Bürgern erklärt. Dagegen setzt ausgerechnet der CSU-Kandidat König einen wachstumskritischen Akzent. „Ich will, dass sich Nürnberg treu bleibt“, sagt König im Hinblick auf die noch bestehenden dörflichen Strukturen vor den nördlichen und südlichen Toren der Stadt. Oder anders ausgedrückt: „Nürnberg muss Nürnberg bleiben.“

Beenden will Marcus König stattdessen die seiner Meinung nach zu häufig in der notorisch klammen Stadt erlebte Praxis, Finanzspritzen von Bund und Freistaat zu fordern. Nürnberg müsse „selber die Ärmel hochkrempeln“ und beispielsweise Verwaltungsprozesse beschleunigen. Das dies ein Widerspruch zu seiner Haltung beim ÖPNV ist, stört ihn nicht. Derzeit müssten die Bürger neun Monate auf einen Vorbescheid für einen simplen Dachausbau warten. Das sei eindeutig zu lange. Genauso wie die Warteschlangen vor den Bürgerämtern.

Derweil schießen schon die Spekulationen über mögliche Bündnisse und wahrscheinliche Koalitionen nach dem Wahlausgang ins Kraut. In der Maly-Ära hat die SPD im Konzert mit der CSU als Junior-Partner die allererste Geige gespielt. Mit Maly als alles überstrahlendem Maestro an der Spitze. In seiner letzten Neujahrsansprache hat Maly kürzlich selbst einen erstaunlichen Hinweis gegeben, als er sich im Messezentrum einen Augenblick lang wenig nostalgisch an die Zeit erinnerte, als die SPD unter dem inzwischen leider verstorbenen Peter Schönlein als SPD-Oberbürgermeister und Ulrich Maly als SPD-Fraktionsgeschäftsführer zwischen 1990 und 1996 mit knapper Mehrheit die CSU regelmäßig überstimmte.

Das sei nicht gut gewesen. Deswegen habe er – trotz später immer komfortablerer Vorsprünge – auf Zusammenarbeit mit den Konservativen gesetzt. Das sei zwar langweiliger für die Öffentlichkeit, aber stabiler für die Stadtpolitik gewesen. Die Frage ist nur, wem Maly mit seinem Rückblick einen warnenden Ratschlag geben wollte – dem eigenen oder den anderen OB-Kandidaten.

Nur Außenseiterrolle für ÖDP- und FDP-Bewerber

Eher Außenseiterchancen werden den OB-Kandidaten Ümit Sormaz (FDP) und Christian Rechholz (ÖDP) eingeräumt. Der 40-jährige FDP-Kandidat bedankt sich gelegentlich sogar bei Wahlkampfveranstaltungen dafür, überhaupt eingeladen worden zu sein. „Nicht alle Verbände laden die FDP ein“, hat der Unternehmer kürzlich beispielsweise den Bauernverband gelobt. Mit seinem Nachhilfe-Institut kenne Sormaz die Nöte der Selbstständigen aus eigener Erfahrung. Besonders den vielen Vorschriften will der Liberale mit den türkischen Wurzeln politisch an den Kragen. „Ich will die Verwaltung zu einem Dienstleister machen.“

Einen Migrationshintergrund hat auch Christian Rechholz, OB-Kandidat von der ÖDP. „Ich komme aus Berlin, aber die Integration in Franken hat gut geklappt“, sagt der 47-jährige Lehrer. Rechholz findet, dass Lebensmittel „wieder einen anständigen Preis“ bekommen sollten. „Unsere Landwirte machen einen tollen Job.“ Andere würden bei vergleichbar geringem Verdienst nicht aufstehen, sondern im Bett bleiben. Zwei Stadträte stellt die ÖDP derzeit. (Nikolas Pelke)

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