Kommunales

Derzeit leben in Deutschland schätzungsweise 100 000 arbeitslose EU-Ausländer. (Foto: dpa)

11.12.2015

Dann eben Sozialhilfe

Bundessozialgericht findet statt Hartz IV einen neuen Weg, Kommunen für arbeitslose EU-Ausländer zahlen zu lassen

Gerade erst hatten die Landkreise und kreisfreien Städte in Deutschland nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs aufgeatmet: EU-Ausländer haben keinen Anspruch auf Hartz IV. Doch das Bundessozialgericht in Kassel, das den Kommunen schon diese Leistung aufs Auge drücken wollte, gibt nicht auf, um Kommunen doch zur Kasse zu bitten. Mit Verweis auf das Grundgesetz argumentieren die Richter, dass ein arbeitsloser EU-Ausländer gegenüber dem deutschen Sozialstaat verlangen könne, dass ihm statt Hartz IV Sozialhilfe gezahlt werde- und zwar dann, wenn sich sein Aufenthalt in der Bundesrepublik „verfestigt“ habe. Aus Sicht der Richter soll das bereits nach sechs Monaten der Fall sein.
Im Klartext heißt das: Jeder EU-Ausländer, der es schafft, sechs Monate irgendwie in Deutschland aus eigener Kraft zu überleben, hat danach Anspruch darauf, vom deutschen Sozialstaat alimentiert zu werden. Die Kasseler Richter verweisen in ihrer Begründung wiederum auf das Bundesverfassungsgericht, das für jede sich dauerhaft in Deutschland aufhaltende Person ein „menschenwürdiges Existenzminimum“ gefordert hat – und reine Lebensmittelleistungen beispielsweise dafür als nicht ausreichend und zumutbar erachtet.
Geklagt hatte in Kassel zum einen ein Grieche, der nach zwei Monaten als Auslieferungsfahrer in Deutschland arbeitslos geworden war. Weil er aber nachweisen konnte, dass er zuvor bereits aus privaten Gründen in Deutschland war, reichten beide Zeiträume zusammen aus, um seine Forderungen erfolgreich durchzusetzen.
Die zweite Klägergruppe war eine vierköpfige Familie aus Rumänien, die 2008 eingewandert war. Offiziell verdienten sie ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf einer Straßenzeitung. Doch betrugen die gemeldeten monatlichen Einnahmen daraus im Schnitt nur 120 Euro – definitiv nicht ausreichend für vier Personen. Der Familienvater hatte darüber hinaus noch einen Gewerbeschein als Hilfsarbeiter angemeldet, aus dem er aber keine Einnahmen meldete. Für die beiden minderjährigen Söhne kassierten die Rumänen außerdem noch Kindergeld.

Wegweisende Urteile können teuer werden


Nachdem die Eltern von der Stadt Gelsenkirchen zunächst ebenfalls Unterstützung gefordert hatten, diese ihnen aber verweigert worden war, zogen sie vor Gericht. Dort befand man, dass der Ermessensspielraum der Kommune „auf Null“ reduziert sei und die Stadt Gelsenkirchen – eine der am höchsten verschuldeten der Bundesrepublik – den Rumänen Sozialhilfe zahlen muss.
Dritte Klägerin war eine alleinerziehende Schwedin bosnischer Abstammung mit drei Kindern. Aufgrund ihrer privaten Situation ist sie derzeit zwar nicht in der Lage, eine Arbeit aufzunehmen – doch für die Sozialrichter ist dies kein triftiger Grund, warum auch sie kein Geld vom zuständigen Jobcenter in Berlin-Neukölln erhalten soll.
Möglicherweise, so die Richter, ergibt sich das dauerhafte Aufenthaltsrecht der Frau ja aus der Schulbildung der Kinder oder einer eigenen geplanten beruflichen Weiterbildung. Und dann muss natürlich gezahlt werden. Die drei wegweisenden Urteile dürften teuer werden für die deutschen Kommunen.
Nach Berechnungen von Deutschem Städte- und Deutschem Landkreistag leben hierzulande derzeit rund 100 000 arbeitslose EU-Ausländer (fast alle stammen aus Bulgarien und Rumänien), die nun entsprechende Ansprüche anmelden dürften – von der Signalwirkung in den Herkunftsländern noch gar nicht zu reden.
Schuld an dieser drohenden Kostenexplosion ist aber auch die Bundesregierung. Diese hatte es vor vier Jahren versäumt, einen Vorbehalt zum Europäischen Fürsorgeabkommen von 1953 unterzeichnet. Das Abkommen verpflichtet nur, Migranten menschwürdig zu behandeln, lässt den nationalen Behörden aber einen großen Ermessensspielraum. Doch nun muss die Bundesregierung alle Ausländer, die sich legal im Lande aufhalten, sozialpolitisch mit den Einheimischen gleich stellen. (André Paul)

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