Kommunales

Immer öfter muss die Bergwacht ausrücken, weil Menschen aufgrund fahrlässiger Online-Hinweise für sie zu anspruchsvolle und damit lebensgefährliche alpine Routen benutzten. (Foto: dpa/Sven Hoppe)

12.08.2022

Das Internet ist kein seriöser Bergführer

Immer häufiger geraten Unerfahrene in den Alpen in Not, weil sie sich über ihre Touren vorab ausschließlich im Netz informierten

Knapp 100 Schulkinder in Bergnot im Kleinwalsertal, drei tote Wandernde im bayerischen Inntal. Das liegt nicht ausschließlich an ungünstigen Witterungsbedingungen oder gesundheitlichen Problemen: Denn immer häufiger verlassen sich Bergwandernde auf Tipps aus dem Internet und geraten in Gefahr.

Eine klassische Feierabendrunde sollte es für die 99 Schüler*innen und acht Lehrkräfte aus dem rheinland-pfälzischen Ludwigshafen werden. Doch aus der gemütlichen Wanderung vom Schöntal in Hirschegg im Kleinwalsertal über den Heuberggrat zum Walmendingerhorn bei Mittelberg wurde eine dramatische und in seinem Umfang wohl einmalige Rettungsaktion.

Zum Verhängnis wurde der Gruppe eine Passage am Heuberggrat, die bei Nässe sehr schwierig wird. Und nass war es dort aufgrund der Regenfälle an den Vortagen. Hinzu kam, dass etliche der Mädchen und Buben nur mit für den alpinen Raum viel zu dürftigem Schuhwerk ausgestattet waren, wie die Polizei später mitteilte. Und richtig gefährlich wurde es auch, weil stellenweise Panik ausbrach. Mehr als 30 Flüge mit dem Helikopter waren erforderlich, um die Gruppe aus der Bergnot zu retten.

Dass es zu dem dramatischen Noteinsatz kommen konnte, lag vor allem daran, dass eine Lehrkraft die Tour ausschließlich aus dem Internet recherchierte, wo sie eben als „leichte Feierabendtour“ beschrieben wurde. „Eine wirklich klasse Feierabendrunde, welche in unsere engere Auswahl der mehrmals wiederholbaren Abendrunden aufgenommen wurde“, beschrieb es der ominöse Autor Andy84, der wohl Gründe hat, seinen wirklichen Namen nicht bekannt zu geben. Über 160 000 Mal wurde die von ihm beschriebene Tour bereits aufgerufen – fraglich, ob alle daran Interessierten später wirklich von einem schönen Erlebnis berichten können.

Vorfall hat für leichtsinnige Lehrkräfte teures Nachspiel

Der Vorfall könnte für die verantwortlichen Lehrkräfte noch ein teures Nachspiel haben. Denn es steht noch offen, wer die Kosten für die Helikopterflüge zahlen muss. Und die dürften sich nach Schätzungen der Vorarlberger Polizei im fünfstelligen Bereich bewegen. Das geht nun den behördlichen Weg; die Landespolizeidirektion in Bregenz hat offiziell Anzeige erstattet gegen die Lehrkräfte. Daraufhin ermittelt die zuständige Staatsanwaltschaft.

Oberflächliche und falsche Wandertipps im Internet werden offensichtlich immer häufiger zum Problem. Das wurde auch drei Bergwandernden aus Regensburg und Straubing im vergangenen März zum Verhängnis. Sie starteten eine Wanderung im Inntal bei Flintsbach. Rund im die Hohe Asten gibt es zwar zahlreiche leichte Touren – aber eben auch schwere Kletterpartien. Ermittlungen der Polizei zufolge haben sie den geplanten Weg aufgrund einer App auf dem Smartphone verlassen und sind im Bereich der anspruchsvollen Maiwand auf einer sehr steilen Rinne abgerutscht und über eine 30 Meter hohe Rinne abgestürzt. Für das Paar aus Regensburg und ihren Straubinger Bekannten endete der Ausflug tödlich.

Dass man bei den Tipps aus dem Internet sehr vorsichtig sein muss und dass mit Risiken nicht selten sehr leichtsinnig umgegangen wird – das dokumentiert auch der Blog einer Münchnerin namens Rebecca, die eben diese Tour beschrieb mit den Worten: „Nachdem wir die Riesenkopfalm passiert und die kleine Scharte zwischen Maiwand und Großem Riesenkopf erreicht hatten, erinnerte mich ein Warnschild an Beschreibungen, die ich irgendwann einmal bei hikr.org gelesen hatte. ,Achtung Lebensgefahr! Weg zur Maiwand nur für geübte Bergsteiger‘ stand dort. Wenn das mal keine Aufforderung war! Zumindest anschauen wollten wir uns das Ganze.“

Auch zehn Tage nach dem Notfall noch im Netz verfügbar

Wer sich im Netz auf diversen Bloggs oder privaten Portalen Tipps für Bergausflüge holt, kann oft schwer einschätzen, wie seriös das ist und wie qualifiziert die Personen sind, die das aufbereitet haben. Auch muss man damit rechnen, dass so mancher Textende sich aus Eitelkeit als erfahrener Alpinist präsentieren will und bei wirklich schweren Touren einen auf cool und ganz locker macht.

Auch bei seriösen und etablierten Wanderportalen ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass man beim Lesen nur wenig brauchbare Tipps erhält. Bei vielen Portalen werden nämlich die Einträge der User*innen nicht verifiziert. Jeder dahergelaufene Depp kann reinschreiben, was er will und mag. Schöne neue Blog-Welt. Die Beschreibung der vermeintlichen Feierabendtour im Kleinwalsertal war auch zehn Tage nach dem Notfall noch verfügbar.

„Am besten ist es, wenn man sich nicht auf eine rein digitale Beschreibung der ausgewählten Tour verlässt, sondern einen klassischen Wanderführer in Buchform hat, dazu das mit einem Wanderportal und vielleicht noch mit einer App vergleicht“, empfiehlt Thomas Wanner, Berg- und Skiführer in der Abteilung Bergsport beim Österreichischen Alpenverein OeAV.
Der OeAV betreibt auch zusammen mit dem Deutschen Alpenverein und dem Alpenverein Südtirol das Tourenportal www.alpenvereinaktiv.com. Dafür werden beim DAV und OeAV Autoren extra geschult, die Tourenbeschreibungen auch intern betreut und bei Auffälligkeiten von Expert*innen kontrolliert.

„Es braucht generell mehr Medienkompetenz in diesem Bereich, sagt auch Stefan Winter, Verantwortlicher für Breitensport beim Deutschen Alpenverein. Vor allem die Unterscheidung zwischen Sachinformationen und subjektiven Beschreibungen sei wichtig, um Missverständnisse zu vermeiden. Da sieht Stefan Winter vor allem bei Social Media Risiken, wo subjektive Darstellung und Selbstdarstellung im Vordergrund stehen und für solide recherchierte Informationen häufig kaum Platz bleibt.

Eitle und inkompetente Influencer*innen sind Grundübel

Ein bekanntes Negativbeispiel war der von sogenannten Influencer*innen ausgelöste Run auf die lebensgefährlichen Bildmotive bei den Gumpen oberhalb des Königssees. Der steile Platz am Hochufer musste dann aus Sicherheitsgründen gesperrt werden. Und man muss sich die diversen Blogs und die sie betreibenden Influencer*innen ja auch nur mal genauer anschauen: eine Ansammlung eitler Selbstdarsteller*innen ohne nachprüfbare fachliche Qualifikation – und vor allem geil auf sogenannte Follower – die in seriösen gedruckten Medien keine Möglichkeit zur Publikation erhalten hätten.

 Einen Blick wert ist auch die Qualität des Kartenmaterials. Bei manchen Portalen oder Apps, die mit kostengünstigen Open Access Maps arbeiten, fällt es oft schwer, zwischen Forststraßen und Wanderwegen zu unterscheiden. Wer da unter erschwerten Bedingungen unterwegs ist wie etwa mit einem Kinderwagen, mag schnell Probleme bekommen und muss die Tour vorzeitig beenden. Ein Problem, das vor allem auch Biker*innen und da speziell unerfahrene E-Biker betreffen kann – die zwar locker bergauf kommen, mit ihrem schweren Gerät bei Hindernissen schnell überfordert sind. (Georg Weindl)

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