Kommunales

Vor allem in der Gastronomie wird Personal händeringend gesucht. Und speziell im Service braucht man auch keine besondere Ausbildung, wie viele kellnernde Schüler und Studenten beweisen. Manche Hartz IV-Empfänger sind sich trotzdem zu fein für diese Arbeit. (Foto: dpa/Jens Büttner)

19.10.2021

Drei Euro mehr: zu wenig – und doch zu viel

Was wegen Personalmangels geschlossene Läden mit den künftigen Hartz IV-Sätzen zu tun haben

„Wegen Personalmangel reduzierte Öffnungszeiten“ – oder irgendwann ganz geschlossen: So informieren immer mehr Geschäfte im Freistaat ihre Kunden. Man fände trotz steigender Arbeitslosigkeit keine Arbeitswilligen, klagen Inhaber*innen. Gleichzeitig sollen Hartz-IV-Empfänger künftig besser gestellt werden. Wie passt das zusammen?

Für viele Berufspendelnde Richtung Ingolstadt aus dem südlichen Landkreis Pfaffenhofen gehört ein Stopp bei der an der B 13 und praktisch zum Parken gelegenen Metzgerei Bogenrieder in Pörnbach zur liebgewonnenen Tradition. Doch damit ist jetzt Schluss. Wer nun beim Bogenrieder an den ersten drei Wochentagen nach 13 Uhr hält, der erfährt, dass die Metzgerei „wegen Personalmangel bis auf Weiteres Montag, Dienstag und Mittwoch ab 13 Uhr geschlossen“ sei. Von der Chefin ist zu erfahren, dass es zum einen an einem bereits länger andauernden Krankheitsfall liege – und sie weder für diese Kollegin Ersatz fände noch generell jemanden für eine zusätzliche offene Stelle. „Das möchte eben keiner machen“, sagt sie, und man sieht die Verbitterung in ihrem Gesicht.

Im Landkreis Pfaffenhofen gibt es derzeit rund 2000 Arbeitslose, davon beziehen rund 400 Hartz IV. Die Zahl der offenen Stellen liegt bei ungefähr 800. Man sollte also meinen, dass die Meisterin jemanden für den Verkauf finden müsste. Zumal es nicht unbedingt notwendig ist, eine Ausbildung zur Fleischereifachverkäuferin absolviert zu haben. „Einsatzbereitschaft und der Wille, sich die notwendigen Kenntnisse anzueignen“ sind laut Auskunft der meisten unter Personalnot leidenden Läden die entscheidende Voraussetzung. Doch auch das scheint viele Langzeitarbeitslose nicht zu reizen.


Nur ein Klischeebild vom „faulen Arbeitslosen“?

Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) wollte sich das nicht länger mitanschauen. Er forderte, dass Langzeitarbeitslose für gemeinnützige Tätigkeiten eingesetzt werden sollten – Laub fegen beispielsweise und Müll auf Straßen und in Parks einsammeln. Dabei gehe es vor allem darum, „die Wiedereingliederung in das Arbeitsleben zu erleichtern und die Leute fit zu machen für den ersten Arbeitsmarkt“. Der CSU-Innenexperte im Bundestag, Michael Kuffer, schloss sich der Forderung an. Er erhoffe sich, so Kuffer, für die Arbeitslosen so „Wertschätzung und eine persönliche Beziehung zu unserem Gemeinwesen“.

Da hatten die beiden aber was gesagt! Es sei „ein beliebtes Vorgehen, gerade im Vorfeld von Wahlen mit diesem Thema auf Stimmenfang zu gehen und nach Sündenböcken zu suchen“, befand empört die kommissarische Landesvorsitzende des DGB Bayern, Verena Di Pasquale. Aiwanger und Kuffer würden „ein Zerrbild vom faulen Arbeitslosen, der zur Arbeit gezwungen werden muss“, kreieren. Es fehle jedoch nicht an der Arbeitsbereitschaft, sondern vor allem an ausreichenden Stellen, so Verena Di Pasquale weiter.

449 Euro plus Unterkunft seien „unzureichend“


Wenige Tage später beschloss der Bundestag, den Regelsatz für Hartz IV ab nächstem Jahr um drei Euro im Monat anzuheben – auf dann 449 Euro im Monat für Alleinstehende; die Kosten der Unterkunft werden vom Landkreis beziehungsweise der kreisfreien Stadt getragen. Auch dagegen erhob sich umgehend Protest. Die Grünen, die Linkspartei und der Sozialverband VdK kritisierten die Erhöhung als „völlig unzureichend“.

Aber rechnen wir mal. Eine alleinstehende Hartz-IV-Empfängerin mit zwei schulpflichtigen Kindern im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren – für die jetzt ja bald die kostenlose Ganztagsschule kommt, der Betreuungsaspekt fällt damit weg – erhält für sich und den Nachwuchs ab 1. Januar 2022 monatlich zusammen 1071 Euro. Und wie gesagt: Die Sozialversicherungsbeiträge und die Kosten der Unterkunft trägt der Sozialstaat. Hinzu kommen noch kleinere Vergünstigungen bei Gebühren.

Der aktuelle Tariflohn für eine Fleischereifachverkäuferin beträgt rund 2100 Euro brutto im Monat. In Steuerklasse II und mit den Freibeträgen für zwei Kinder bekäme sie monatlich zwischen 1500 und 1600 Euro netto raus. Hinzu kommt das Kindergeld in Höhe von 219 Euro je Kind. Der in Vollzeit tätigen Fleischereifachverkäuferin stünden also monatlich etwa 2000 Euro zur Verfügung.

"Für nur 80 Euro mehr täglich früh aufstehen? Ich bin doch nicht blöd!"

Der durchschnittliche Mietpreis im Landkreis Pfaffenhofen liegt aktuell bei rund 11,44 Euro je Quadratmeter. Mit zwei schulpflichtigen Kindern kann unserer Alleinerziehenden – wenn sie schon darin wohnt bei Eintritt der Bedürftigkeit – nicht zugemutet werden, eine Dreizimmerwohnung zu verlassen. Kleiner als 60 Quadratmeter sind Dreizimmerwohnungen selten. Das wären also 686 Euro im Monat, zuzüglich Nebenkosten – zusammen also etwa 850 Euro. Diese von den 2000 Euro abgezogen, verblieben der Fachverkäuferin noch 1150 Euro monatlich zum Leben für sich und ihre zwei Kinder.

Das sind nur knapp 80 Euro mehr, als sie als Hartz-IV-Empfängerin bekommen würde. Nur 80 Euro mehr für jeden Morgen zeitig aufstehen, zur Arbeit fahren, acht Stunden eine anstrengende Tätigkeit ausüben und abends müde nach Hause kommen, wo noch der Haushalt und die Kinder warten.

Nun mag man einwenden, dass es bei Ablehnung einer zumutbaren Arbeit ja zu Leistungskürzungen kommt. Doch auch da haben Ladeninhaber so ihre Erfahrungen gemacht: „Klar treten die die Arbeit an, auch wenn sie nicht wollen“, berichtet der Eigner eines Pfaffenhofener Cafés, der auch schon lange Verstärkung sucht. „Aber die stellen sich dann bewusst so deppert an, dass ich schon aus Selbstschutz nach kurzer Zeit sagen muss: danke und tschüss.“


Die Löhne erhöhen? Dann bleibt die Kundschaft weg


Klar, es gibt noch Mietkostenzuschuss. Aber wer jemals versucht hat, als in Vollzeit tätiger und zum gesetzlichen Mindestlohn bezahlter Arbeitnehmer den Moloch staatlicher Leistungsvorschriften zu verstehen und gar Leistungen zu beantragen – der nimmt häufig resigniert davon Abstand. Böse Zungen behaupten, das sei so gewollt. Die Bürokratie soll abschrecken.

Vielleicht hat DGB-Chefin Verena Di Pasquale recht und der „faule Arbeitslose“ ist ein Zerrbild. Womöglich hat aber auch die Meisterin recht und viele Arbeitslose greifen sich an den Kopf und denken: „Für nur 80 Euro mehr im Monat schuften? Ich bin doch nicht blöd!“

Nun gibt es einige ganz Schlaue, die sagen: „Dann soll die Metzgerin der Verkäuferin eben mehr zahlen!“ Kann sie natürlich tun. Dafür muss sie dann aber auch die Preise anheben. Nur überlegt es sich dann eventuell die auch nicht höher entlohnte Bäckereifachverkäuferin, ob sie ihre Wurst noch in der Metzgerei kauft – oder nicht doch im günstigeren Discounter. Auch sie muss schließlich rechnen.

Dadurch sinkt der Umsatz der Metzgerei – und irgendwann folgt der Konkurs. Belässt die Metzgerin den Lohn und findet keine neue Verkäuferin – und bietet dadurch unattraktivere Öffnungszeiten –, kommt es ebenso. Die umstrittenen drei Euro mehr im Monat beim Hartz-IV-Regelsatz: Sie sind – so paradox es klingt – gleichzeitig zu viel und zu wenig. (André Paul)

 

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