Kommunales

Diese Ziege, die mit ihren Artgenossen auf einer PVA-Freifläche bei Veitsbronn im Landkreis Fürth lebt, hat sich mit den Photovoltaikanlagen längst arrangiert und interessiert sich mehr für die Gäste hinterm Zaun. (Foto: Wraneschitz)

06.08.2021

Schizophrene Einstellungen

Deutschland schaltet bald die letzten Atom- und Kohlekraftwerke ab – das finden die meisten gut, aber Wind- oder Solaranlagen will trotzdem kaum jemand in der Nähe

Einerseits gilt: Ende nächsten Jahres werden Deutschlands letzte Atomkraftwerke abgeschaltet. Spätestens bis 2038 soll auch noch die letzte Kohleverstromungsanlage vom Netz sein. Aber andererseits will offenbar niemand ein Wind- oder Solarkraftwerk – die ökologische Alternative – in Sichtweite seiner Wohnung. Ein Dilemma.

Jedenfalls könnte diesen Eindruck gewinnen, wer Tageszeitungen durchblättert, die sozialen Medien goutiert oder den Berichten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks glaubt. „In Reut im niederbayerischen Landkreis Rottal-Inn hätte eine Photovoltaikanlage (PVA) Platz und Sonne auf dem grünen Hügel am Ortsrand. Doch das Ehepaar G. ist dagegen und hat ein Aktionsbündnis ins Leben gerufen. 60 Unterschriften haben sie gesammelt“, ist auf br24.de nachzulesen.

Die G.’s seien übrigens nicht gegen PVA an sich, sondern „sorgen sich um die Natur und die Tiere“, ist weiter zu lesen. Richtig ist sicher: Es gäbe mehr als genug Dachflächen, vor allem flache auf großen Gebäuden, die gut PVA vertragen könnten. Eingriffe in die Natur gäbe es dort auch keine.

Sorge um Natur und Tiere – angeblich

Doch ob in Industriegebieten oder in Hafenanlagen: Oft sind die Besitzverhältnisse der Lagerhallen derart kompliziert, dass potenzielle Investoren schon bei der Suche nach richtigen Ansprechpartnern entnervt aufgeben. Oder die Eigner*innen der Hallen lehnen eine Installation ab. Sie wollen keinen Eintrag ins Grundbuch riskieren, um einen womöglichen Verkauf ihrer Immobilie innerhalb der 20 notwendigen Betriebsjahre der PVA nicht zu gefährden.

Deshalb – und auch weil sich ausgerechnet Bayerns Energieminister Hubert Aiwanger (FW) bei der Renovierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes EEG massiv für mehr Freiflächen-PVA eingesetzt hat – rennen seit Jahren landauf, landab Projektentwickler Bauern und anderen Feld- und Wiesenbesitzenden die Bude ein. Je größer das Grundstück, umso mehr PV-Module können installiert werden. Und je größer die PVA, umso günstiger lässt sie sich errichten, so die Kalkulation.

Deshalb ist es wie in Reut eigentlich überall in Bayern: Kaum wird ein Projektentwickler im Stadt- oder Gemeinderat vorstellig – denn der muss für jede PVA einen Sonder-Bebauungsplan aufstellen –, werden Gegenstimmen laut. Die kommen immer weniger aus den kommunalen Gremien selbst, als von nach eigenem Bekunden „besorgten Bürger*innen“ wie den G.’s.

Eurozeichen leuchten in den Augen der Kommunalpolitiker

Denn das Ratsgremium sieht nämlich inzwischen, ähnlich wie die Grundbesitzer*innen, bereits Geld in die Kommunalkasse fließen: Gewerbesteuer, wenn die Betreibergesellschaft eine Adresse im Ort bekommt. Und zudem Anteile an der laufenden Einnahme dieser Gesellschaft: Im Erneuerbare Energien-Gesetz ist diese Beteiligung nun fest verankert.

Doch muss sich die Bürgerschaft überhaupt um Natur und Umwelt sorgen, wenn PVA auf landwirtschaftliche Flächen gebaut werden? Vor zwei Jahren hat der – zugegeben solaraffine –Bundesverband Neue Energieanbieter (BNE) eine Studie veröffentlicht. Titel: Solarparks – Gewinne für die Biodiversität.

Denn genau das haben die Studienautoren um Rolf und Tim Peschel von den Berliner Ingenieurbüros Der Projektpate und Ökologie & Umwelt bei der Auswertung von Daten von 75 Solarparks herausgefunden: Werden die Anlagen naturverträglich errichtet, können sie „zu einem deutlich positiven Effekt auf die Artenvielfalt führen“. Ein Grund „für die teilweise arten- und individuenreiche Besiedlung ist die dauerhaft extensive Nutzung oder Pflege des Grünlands in den Reihenzwischenräumen“. PVA-Standorte seien hier „deutlich artenreicher als intensiv landwirtschaftlich genutzte Standorte oder Standorte zur Energiegewinnung aus Biomasse“: Es gebe nachweislich mehr Tagfalter, Heuschrecken oder Brutvögel, ist in dem Bericht vermerkt.
 

"Der Natur viel Platz eingeräumt"

Solche Erfahrungen haben auch bayerische Projektentwicklerbüros gemacht. Erich Wust von Wust – Wind & Sonne aus Markt Erlbach im Landkreis Neustadt a. d. Aisch-Bad Windsheim beispielsweise hat bereits einige große PVA errichtet und dabei „der Natur viel Platz eingeräumt“, wie der Ingenieur berichtet. Zudem schreiben die Kommunen jeweils ökologische Ausgleichsmaßnahmen vor, Streuobstwiesen beispielsweise.

Wust scheint ohnehin weniger Schwierigkeiten als manch andere Projektentwicklerbüros zu haben, die örtlichen Gremien für seine PVA (oder auch Windkraftanlagen) zu begeistern. Denn in seine – wie er es ausdrückt – „echten Bürgermodelle“ investieren im Wesentlichen Einheimische. Und wer selbst etwas davon hat, sieht ein Solarkraftwerk wahrscheinlich mit anderen Augen, als wenn er oder sie vermutet: Das aus Sonnenstrom erwirtschaftete Geld fließt in irgendwelche Aktienfonds oder an schwerreiche Investoren, die niemand je zu Gesicht bekommt.

Franken ist zurzeit bei Solarprojektentwicklern umkämpft. Denn hier gibt es neben vielen Windkraftwerken auch bereits viele solcher PVA. Und immer öfter beschließen Kommunen: Wir lassen keine weitere mehr dazukommen. Beispiel Wilhermsdorf im Landkreis Fürth. Nach dem Okay für eine seit sechs Monaten stromproduzierende Zehn-Megawatt-Bürger-PVA wurde eine weitere Fläche für die Installation von PVA mit etwa fünf Megawatt Leistung ausgewiesen. Gleichzeitig aber hat der Gemeinderat beschlossen: „Nichts geht mehr.“

Doch eine Entwicklung, die in der Fachwelt seit Jahren die Runde macht, darf nicht verschwiegen werden: die sogenannte Agri-PV. Hier werden Solarmodule rund um oder über landwirtschaftlicher Nutzfläche montiert. Das Argument, PVA würden wertvolles Ackerland entziehen, greift hier nicht. Jedoch ist die Genehmigung solcher Doppelnutzungen bislang nicht ohne: Eigentlich ist für jede Agri-PVA genauso ein B-Plan nötig wie für eine normale PVA. Dann wiederum gilt die Fläche nicht mehr als landwirtschaftlich genutzt: Das aber hätte wohl auch Konsequenzen für eventuelle Ausgleichszahlungen an die Agrarbetriebe. Im aktuellen EEG 2021, das erst vor wenigen Wochen nochmals ergänzt wurde, sind zwar Ausschreibungen für solche „innovative PV“ ausdrücklich vorgesehen. Doch zum Baurecht hält sich das Erneuerbare-Energien-Gesetz bedeckt. (Heinz Wraneschitz)

 

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