Schon im Teenageralter habe er sich zu Jüngeren hingezogen gefühlt, erzählt Gustav Mayer (Name geändert) – „ein eigenartiges Gefühl, weil man normalerweise eher die Gleichaltrigen interessant finden sollte“. Anfangs habe er seine Gedanken verdrängt, doch als es „mit 18 oder 19 immer noch so war, dass Jüngere für mich interessanter waren, habe ich angefangen, mir ernsthaft Gedanken zu machen“, sagt der heute 38-jährige Regisseur.
Zunächst habe er gedacht, „das kriege ich schon irgendwie in den Griff“. Doch mit Mitte 20 realisierte er, „dass es doch irgendwie ein Problem ist“, sagt Gustav. „Dann fing es auch an, dass ich mir Material aus dem Internet besorgt habe, weil es einen Ausgleich geben musste.“ Im Netz sei es schließlich auch zu einem „Übergriff“ gegenüber einem Mädchen gekommen, so bezeichnet es Gustav. „Ich habe sie gebeten, mir Material zu schicken. Und das war der Auslöser, wo ich gemerkt habe, jetzt ist Schluss, das geht so nicht weiter.“
Vorbild war die Bamberger Sozialstiftung
Ralph ist pädosexuell, er fühlt sich also sexuell angezogen von Kindern. Studien zufolge hat etwa ein Prozent der männlichen Bevölkerung solche pädophilen Neigungen – in Deutschland wären dies circa 250 000 Männer. Viele von ihnen kommen mit ihrer sexuellen Präferenz zurecht und werden nicht straffällig. Einige Pädosexuelle jedoch leiden schwer unter ihren Neigungen, und ihnen will das bundesweite Präventionsnetzwerk „Kein Täter werden“ helfen – mit einer anonymen und kostenlosen Therapie.
Begonnen hat das Anti-Pädophilie-Projekt 2005 an der Berliner Charité, inzwischen gibt es 13 Standorte in ganz Deutschland. In Bayern bietet die Sozialstiftung Bamberg eine solche Therapiemöglichkeit an sowie seit wenigen Wochen das Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität in München.
„Unser Hilfsangebot richtet sich an pädophile Menschen, die nicht straffällig geworden sind“, sagt Kolja Schiltz, Professor für Psychiatrie und Leiter der neuen Präventionsambulanz. Das Programm sei primär für Männer ausgelegt, da sich pädophile Neigungen bei Frauen viel seltener zeigten – genaue Zahlen gibt es hier nicht. Gedacht ist das Hilfsangebot für Menschen, „die sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen und vermeiden wollen, dass sie dadurch Kinder schädigen könnten“, sagt Schiltz.
"Die letzte Möglichkeit für mich"
So wie Gustav, der 38-jährige Regisseur, dessen Aussagen das Präventionsnetzwerk „Kein Täter werden“ zusammen mit weiteren Erfahrungsberichten auf seiner Webseite teilt. Interviews mit Patienten vermittle man „nur in besonderen Ausnahmefällen“, teilt die Initiative mit. Denn: „Der therapeutische Erfolg, die therapeutische Beziehung und die Sicherheit unserer Patienten genießen höchste Priorität.“
Gustav jedenfalls hat sich an die Präventionsambulanz gewandt und dort eine Therapie begonnen – „die letzte Möglichkeit, die ich noch gesehen habe“, wie er sagt. „Das erste Mal darüber zu reden, das war nicht einfach.“ Zugleich sei es aber auch eine Erleichterung gewesen. „Und dann ist da einer, der nicht gleich sagt, du bist der letzte Abschaum der Welt, der sich auch mit der ganzen Thematik auskennt, das ist ja auch wichtig.“
Die Therapie, nach der auch die Psychotherapeuten und Psychiater in der Münchner Uniklinik vorgehen, basiere auf dem Behandlungsprogramm aus Berlin, „das dort seit 15 Jahren erfolgreich angewendet wird“, sagt Leiter Kolja Schiltz. Die Behandlung finde wöchentlich in Gruppen statt, bei Bedarf kämen Einzelsitzungen hinzu. „Wir geben den Menschen Werkzeuge an die Hand, damit sie mit ihren sexuellen Impulsen umgehen und Straffälligkeiten vermeiden können“, sagt Schiltz. Laut dem Präventionsnetzwerk Kein Täter werden sollen die Teilnehmer in der Therapie erlernen, „ihre sexuelle Präferenz zu akzeptieren und in ihr Selbstbild zu integrieren“. Überdies gehe es darum, „Strategien zur Verhinderung von sexuellen Übergriffen“ zu entwickeln.
Justizminister Eisenreich plant schon die dritte Ambulanz
„Wir wollen sexuellen Missbrauch von vornherein bestmöglich verhindern“, sagt Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU), dessen Haus das neue Hilfsangebot in München finanziert. „Prävention ist ein wichtiger Baustein in unserem Maßnahmenpaket.“ Vonseiten des Ministeriums heißt es, dass eine dritte Präventionsambulanz im Freistaat in Planung sei, und zwar in Regensburg. Dort gab es bereits bis 2018 ein solches Therapieangebot. Als dessen Leiter jedoch in den Ruhestand ging, wurde das Projekt beendet. „Der Bedarf an Hilfsangeboten für Menschen mit pädophilen Neigungen ist aktuell mit Sicherheit noch untererfüllt“, gibt sich Kolja Schiltz überzeugt. Auch in München habe man schon wenige Wochen nach der Eröffnung der Anlaufstelle „großen Zulauf“.
Die dort angebotene ambulante Therapie dauert dem Präventionsnetzwerk zufolge meist ein bis zwei Jahre. Ralph hat diese Behandlung durchlaufen – genauso wie Sven, dessen Erfahrungsbericht ebenfalls veröffentlicht wurde. „Meine sexuelle Präferenz spüre ich nach wie vor, sie hat aber ihren Schrecken verloren und auch einen großen Teil ihrer Bedeutung“, sagt der 45-jährige Lehrer. Er fühle sich inzwischen sicher im Umgang mit Jugendlichen und wisse, wo er sich Hilfe holen könne, „wenn ich das Gefühl habe, die Kontrolle zu verlieren“, so Sven. „Das aber aufgrund meiner neu gewonnen Überzeugung.“ (Patrik Stäbler)
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