Kommunales

Ein Halbmond ziert den Grabstein eines muslimischen Grabes: Nicht jeder Strenggläubige ist automatisch ein Islamist. Den Unterschied erkennen - schwierig. (Foto: dpa/Jan-Philipp Strobel)

04.06.2021

Islamismus entdecken: schwierig

Kommunen sollen nicht mehr mit extremistisch beeinflussten muslimischen Gemeinden zusammenarbeiten, fordert die Union – aber wen betrifft das?

Die Bundestagsfraktion von CDU und CSU fordert, so der Wortlaut, die „Beendigung staatlicher Kooperationen und Vertragsbeziehungen mit Organisationen des politischen Islamismus“. Doch wer sich in den Kommunen umhört, wie das praktisch umzusetzen sei, stößt auf große Hürden, die sich dabei auftun.

Es gibt keinen einheitlichen nationalen Ansprechpartner seitens des Islam für den Staat, wie das beispielsweise bei der katholischen und evangelischen Kirche der Fall ist. Muslimische Gemeinden in der Bundesrepublik sind weitgehend dezentral organisiert. Die einzelnen Moscheen vor Ort agieren häufig selbstständig. Es gibt – eine Ausnahme bildet die in der Bundesrepublik unter dem Namen Ditib tätige staatliche Religionsbehörde der türkischen Regierung – keine weisungsbefugte zentrale Instanz wie etwa die Deutsche Bischofskonferenz.

Zusammenarbeit findet vor allem in den Städten statt

Praktisch bedeutet das: Die Zusammenarbeit von Vertretern des Islam mit Behörden findet vor allem in den Kommunen statt – beispielsweise im Kultur- und Sozialbereich oder in Fragen der Integration. Oft existieren diese schon seit Jahrzehnten – mit wechselnden Akteuren auf beiden Seiten, aber auch mit sich wandelnden organisatorischen Strukturen aufseiten der islamischen Religionsgemeinschaften.

Ginge man nach dem Wortlaut des Positionspapiers der Unions-Bundestagsfraktion, würde das einen erheblichen Einschnitt bedeuten. Dort heißt es, „sämtliche finanzielle Zuwendungen, Förderungen, Vertragsbeziehungen und Kooperationen mit islamischen Vereinen und Verbänden, die von den Verfassungsschützern in Bund und Ländern beobachtet werden“, müssten überprüft werden.

Doch genau hier liegt das Problem. „Die salafistische Szene in Bayern ist nicht in Verbänden organisiert“, erläutert auf Anfrage der Staatszeitung ein Sprecher des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz. Lediglich „vereinzelt konnten Einzelakteure salafistischer Moscheevereine in Bayern festgestellt werden, die versuchten, an Formen kommunaler Kooperation teilzuhaben – beispielsweise über Migrationsbeiräte und Integrationsbeiräte“. Es habe, so der Sprecher weiter, mit den Kommunen „Beratungsgespräche zum Zwecke der Sensibilisierung“ gegeben.

Die Kommunen sollen sich also von potenziell gefährlichen Partnern trennen, die sie aber gar nicht als solche identifizieren können. Die Bereitschaft, nun intensiv zu suchen, wer möglicherweise eine Gefahr darstellt, ist in den von der Staatszeitung angefragten großen Städten demzufolge eher gering. Zu groß und wohl auch nicht kompensierbar wären die Folgen. Also wird der Begriff „islamistisch“ eher großzügig ausgelegt.

Aus dem Nürnberger Rathaus heißt es beispielsweise: „Integrationspolitisch halten wir es für wichtig, den Dialog zu suchen – auch mit großen und gewichtigen Verbänden mit islamistischem Hintergrund, insbesondere dann, wenn zum Beispiel ausdrücklich in den Berichten des Bundesamts für Verfassungsschutz ein schwächer werdender Extremismusbezug und auch im aktuellen Bericht des Landesamts für Verfassungsschutz ein Loslösungsprozess“ in diesem Kontext bescheinigt wird.“ Die Gemeinden und Vereine, mit denen man derzeit kooperiere, hätten keinen ideologischen Hintergrund, versichert die Sprecherin der Frankenmetropole.

In Ingolstadt legt man Wert darauf, „mit sämtlichen Moscheegemeinden“ im Kontakt zu stehen. Die Kommunikation in diese Gemeinden erfolge „mit dem Ziel, alle Bevölkerungsteile anzusprechen – gerade wenn diese über die klassischen Wege oder aufgrund von Sprachbarrieren sonst nicht erreicht werden können. Um dieses Ziel zu gewährleisten, erfolge die Kommunikation gegenüber allen Gemeinden, unabhängig davon, ob sie im Bericht des Verfassungsschutzes erwähnt werden“, heißt es aus dem Rathaus der Schanzer.

Keine gemeinsamen Veranstaltungen

Wert legt der Ingolstädter Stadtsprecher allerdings darauf, dass mit Gemeinden, die im Verfassungsschutzbericht genannt werden, keine gemeinsamen Veranstaltungen durchgeführt, deren Räumlichkeiten für Veranstaltungen genutzt oder städtische Räumlichkeiten für diese Gemeinden zur Verfügung gestellt werden.

Doch warum sollten auch ausgerechnet die Kommunen die ersten sein, die strengere Maßstäbe anlegen? Die Zusammenarbeit auch der lokalen Behörden mit den örtlichen muslimischen Vereinen und Gemeinden soll ja sogar ausgeweitet werden. Die Deutsche Islam Konferenz hat speziell dafür sogar ein Förderprogramm aufgelegt mit dem Namen „Moscheen für Integration“. Für die Umsetzung ist in Bayern das Goethe-Institut zuständig. Die Islam Konferenz wiederum ist angesiedelt beim Haus von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU).

Mitunter ist die organisatorische Vielfalt der religiösen Muslime selbst für Experten kaum noch zu überblicken. Aus dem Rathaus der Landeshauptstadt ist zu erfahren, dass die etwa 120 000 in München registrierten Muslime in knapp 60 verschiedenen Gemeinschaften – oft an den Herkunftsländern orientiert – und in rund 100 Vereinen und Initiativen aktiv sind. Sie alle sind erst mal grundsätzlich berechtigt, für ihre Veranstaltungen städtische Immobilien zu nutzen. Wo genau dann die Grenze zwischen einem städtischerseits befürworteten Interreligiösen Dialog und einer liturgischen Missionierung verläuft – das macht eine komplexe Einzelfallprüfung notwendig.

Und auch in München mag man in der Zusammenarbeit obendrein eher auf die Vorteile als auf mögliche Gefahren schauen. Ein „bereichernder Teil der Stadtgesellschaft“ sei das, aber „bedauerlicherweise nicht immer akzeptiert“, so ein Sprecher der Münchner Stadtverwaltung. Explizit verweist er noch darauf, dass der als „Scharnier“ zwischen Verwaltung und muslimischen Bürgern dienende Muslimrat München e. V. nicht vom Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet werde.

"Rathäuser besitzen die nötige Sensibilität"

Hinsichtlich der praktischen Umsetzung des Positionspapiers können die Abgeordneten in Berlin keine große Hilfestellung geben. Volker Ullrich, der in der CSU-Landesgruppe schwerpunktmäßig mit Fragen der inneren Sicherheit und des Strafrechts befasst ist, meint im Gespräch mit der Staatszeitung, die Kommunen würden schon die notwendige Sensibilität besitzen, um entsprechend islamistisch unterwanderte Vereine zu erkennen. Die Notwendigkeit für einen ergänzenden Leitfaden sieht Ullrich nicht. Konkret eine Stadtverwaltung oder eine andere staatliche Einrichtung, wo eine derart kritisch zu sehende Zusammenarbeit aktuell praktiziert wird, mochte der Abgeordnete nicht nennen.

Das Problem der schwierigen Identifikation von Salafisten aufgrund nicht existierender fester Organisationsformen sieht auch der Landtagsabgeordnete Manfred Ländner (CSU), stellvertretender Vorsitzender des Innenausschusses. Aus seiner Sicht helfe da nur fortdauernde Sensibilisierung der Kommunen durch die Sicherheitsbehörden, um Einflussnahmen durch einzelne gewaltbereite Gläubige zu unterbinden. Grundsätzlich sieht Ländner aber die Gefahr einer Unterwanderung von muslimischen Gemeinden durch Islamisten speziell in Bayern im Vergleich zu anderen Bundesländern eher gering. (André Paul)

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