Kommunales

Wer kritisiert, sollte öffentlich dazu stehen: Den meisten Pöbelnden dagegen fehlt der Mut, ihren Klarnamen zu nennen. (Foto: dpa/Rolf Vennenbernd)

21.03.2022

Wo die Grenze zu Hass und Hetze konkret verläuft

Die Verschärfung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes hat auch Auswirkungen auf die Kommunalpolitik

Hass- und Hämebotschaften im Netz sind in jüngerer Zeit auch zu einem kommunalen Thema geworden. Es geht darum, wie sie sich auf das gesellschaftliche Klima vor Ort auswirken. Und es geht darum, wie eine Kommune reagiert, wenn städtische Mandatsträger*innen oder Mitarbeitende Ziel von Hass- und Hämeattacken oder die Verwaltung insgesamt Gegenstand offensichtlich rechtswidriger Angriffe wurden.

Erstaunlicherweise werden Antworten darauf verwaltungsintern eher von den Presse- und Informationsämtern erwartet als von den Rechtsämtern.
Ein erstes Instrument war dabei das zu Jahresbeginn 2018 in Kraft getretene Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Die Anbietenden sozialer Netze wurden damit verpflichtet, offensichtlich rechtswidrige Inhalte binnen 24 Stunden nach Eingang einer Beschwerde zu entfernen; bei komplexen juristischen Sachverhalten haben sie sieben Tage Zeit. Als „offensichtlich rechtswidrig“ gelten Anleitung zu schweren Straftaten, Volksverhetzung sowie die Verbreitung verbotener Symbole. Die einzelnen Straftatbestände sind im Gesetz aufgezählt.

Präzisiert wird, dass auch Nichtnutzende – also Personen ohne Accounts – solche Inhalte melden können. Zudem wurden die Betreibenden verpflichtet, im Inland einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen. Die Beschwerde wird dann überprüft, der Urheber oder die Urheberin des Beitrags informiert und über die Entscheidung in Kenntnis gesetzt. Liegt nach Ansicht der Prüfungsinstanz ein Gesetzesverstoß vor, wird der Inhalt entfernt oder für Besuchende mit deutscher IP-Adresse gesperrt; der Urheber oder die Urheberin kann widersprechen und letztlich den Klageweg gegen den Netzbetreibenden beschreiten.

 

Auch Nichtnutzende können Inhalte melden


Netzbetreibern, die der Pflicht, „offenkundig rechtswidrige Inhalte“ binnen 24 Stunden zu entfernen, nicht nachkommen, drohen erhebliche Strafzahlungen. Nach dem gegenüber dem ursprünglichen Entwurf entschärften Gesetz werden Sanktionen erst dann verhängt, wenn es zu einer sogenannten systematischen Missachtung der Regeln kommt – was nicht bei einem einzelnen Löschungsversäumnis greift. Wie „systematisch“ zu sehen oder nachzuweisen ist, blieb offen.

Wichtig aus kommunaler Sicht ist, dass die Befugnis zur Meldung rechtswidriger Inhalte auch auf Besuchende der Netzwerke ausgedehnt ist. Das könnte in den eingangs erwähnten Fällen der Betroffenheit kommunaler Amts- oder Mandatsträger*innen, rechtswidriger, die Gemeinde betreffender Texte sowie im Fall von Texten, die das gemeindliche Leben vergiften, zu der Frage führen, ob eine Beschwerde – und damit ein Löschungsbegehren – bei den Netzbetreibenden gestellt werden soll. Ob dies probat und zielführend im politischen Sinn ist, bleibt eine im Einzelfall zu betrachtende Entscheidung.

Flankierend und das Netzwerkdurchsetzungsgesetz erweiternd sind die Bestimmungen des Maßnahmenpakets zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität, das vom Bundesrat am 3. Juli 2020 gebilligt wurde. Inhalt des Gesetzes ist zunächst die Verpflichtung der sozialen Netzwerke, bei Verdacht auf schwere Straftaten die entsprechenden inkriminierten Texte dem Bundeskriminalamt zu melden, das eine entsprechende Zentralstelle einrichtet.

 

Katalog der rechtswidrigen Inhalte ergänzt



Zudem wurde der Katalog der rechtswidrigen Inhalte ergänzt, unter anderem um alle Androhungen einer gefährlichen Körperverletzung; die Belohnung und Billigung von Straftaten wurde dergestalt erweitert, dass auch die Billigung noch nicht erfolgter Straftaten tatbestandsmäßig erfasst wird. Zur üblen Nachrede und Verleumdung gegen Personen des öffentlichen Lebens wird verdeutlicht, dass der Tatbestand bis hin zu Personen der kommunalen Ebene gilt. Mit einer parallelen Änderung des Bundesmeldegesetzes wird es Menschen, die durch ihr berufliches oder ehrenamtliches Engagement – zum Beispiel im kommunalpolitischen Bereich – in den Fokus gewaltbereiter Personen oder Gruppen geraten sind, erleichtert, eine Rechtskraftsperre zu erwirken.

Generell geht die Tendenz damit über den medienpolitischen Bereich („Löschen“) hinaus und bezieht den Raum der Strafverfolgung ein („Verfolgen statt nur Löschen“). Das bedeutet allerdings nicht, dass sich die Entwicklung und Auswirkungen von Hass und Häme dem Aufmerksamkeitsbereich der kommunalen Öffentlichkeitsarbeit entzögen. Es wird zunehmend wichtiger, die örtlichen Manifestationen von Hass und Häme zu beobachten und die daraus gewonnene Analyse den politisch Verantwortlichen einschließlich entsprechender Handlungsvorschläge vorzulegen.



Feines Sensorium für die gesellschaftliche Stimmung

 

Das gilt insbesondere für erkennbare Anzeichen für eine emotionale „Spaltung“ oder Radikalisierung der Stadtgesellschaft, für Hinweise auf Unversöhnlichkeiten, auf den diffamierenden Ausschluss von Teilgruppen. Kriterien sind beispielsweise Formulierungen wie „wer anständig ist, handelt so und nicht anders“, was impliziert, dass anderes Tun „unanständig“, dann „verwerflich“, schließlich „gemeinschaftsschädlich“, „volksschädlich“ sei, was alles man zu unterbinden habe. In verschärfter Form fortgeführt heißt das: Wenn die unwilligen, unfähigen Behörden das nicht könnten oder tun wollten, müsse man das eben selbst in die Hand nehmen.

Gerade in Corona-Zeiten ist dabei ein feines Sensorium für gesellschaftliche Stimmungslagen erforderlich. Es gilt zum Beispiel, zwischen Querdenkenden, die kritisch zu den Verfügungen der Regierenden stehen, und Querulanten, die damit ihr politisches Süppchen kochen, zu unterscheiden. Es gilt, eine Sprache zu vermeiden, die andere als „Leugner“ und als Leute, die keine Rücksicht auf ihre Mitmenschen nehmen, diffamiert.

Und es ist auch notwendig, das Querdenkertum an sich nicht in Misskredit zu bringen. Handelt es sich doch um einen grundsätzlich positiv befrachteten Terminus, der Menschen bezeichnet, die gegen den Mainstream bereichernde Einwände und Vorschläge einbringen. Abwertend verwendet, belastet der eingerissene Sprachgebrauch auf längere Frist – wenn nicht auf Dauer – diese eigentlich demokratisch erwünschten Denkanstöße.

Ein anderes Beispiel: In Corona-Hoch-Zeiten sind Tausende von Nachbarschafts-Denunziationen bei den Behörden eingegangen: etwa Anzeigen, beim Wohnungs- oder Grundstücksnachbarn seien unerlaubt viele Personen zusammengekommen, und dergleichen. Auch hier wird man sich fragen müssen, wie dies nachhaltig die gute Nachbarschaft aus dem Arsenal der Sonntagsreden der Kommunalpolitik beeinflusst.
Am 28. Juni 2021 ist das Netzwerkdurchsetzungsgesetz weiter verschärft worden. Das Bundeskriminalamt rechnet mit jährlich rund 250 000 Meldungen, die etwa 150 000 neue Strafverfahren nach sich ziehen. Die Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet (ZMI) hat mit rund 200 Beamt*innen zum 1. Februar 2022 ihre Arbeit aufgenommen. (Gerd Treffer)

 

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