Große Freude im Nationalpark Bayerischer Wald, als ein für ausgestorben gehaltener Gartenschläfer in eine Fotofalle tappte. Doch wie steht es im Detail um die Fauna im ältesten und größten Nationalpark des Freistaats, wie viele Tierarten sind aktuell bedroht? Welche Rolle spielen Tourismus und ortsansässige Bevölkerung? Unser Autor hat sich in Wissenschaft und Naturschutz umgehört.
„Wo steckt Zorro?“ Dem Fahndungsaufruf sind jahrelang Tausende von Wald- und Wiesenermittler*innen nach Steckbrief gefolgt: „Zorro ist 15 Zentimeter lang, hat große Ohren, buschigen Schwanz und trägt schwarze Augenmaske.“ Es ging darum: Ist dieses Tierchen ausgerottet worden – oder hält er sich nur versteckt? Trotz vieler Hinweise entzog er sich allen Fotoshootings und wurde daher als Wildtier des Jahres 2023 ausgerufen.
Als im Nationalpark Bayerischer Wald im Herbst doch noch ein Gartenschläfer in eine Fotofalle tappte, ging ein Jubel durch die Presse: „Hurra – Zorro lebt!“ Wegen seiner schwarzen Augenmaske wird der Gartenschläfer Zorro genannt. Zoologisch ist er zwischen seinen Verwandten einzuordnen: der kleineren Haselmaus und dem größeren Siebenschläfer.
Dass ein Nager gesichtet wurde, lässt laut Tierökologe Jörg Müller darauf schließen, „dass noch eine Population vorhanden ist.“ Müller ist Forstwirt, Professor für Biodiversität und Tierökologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg sowie stellvertretender Leiter des Nationalparks. Dass über Zorros Existenz so große Freude ausbrach, hat gute Gründe. Immer mehr Arten von Wildtieren, Pflanzen, Vögeln, Fischen und Insekten verschwinden aus ihren Lebensräumen, sind vom Aussterben bedroht und landen auf der Roten Liste.
Drei Dutzend konkurrierende Verbände, Institute und Gesellschaften
Gut drei Dutzend konkurrierende Verbände, Institute und Gesellschaften für Natur- und Artenschutz werben um Aufmerksamkeit für die bedrohten Tierarten und küren jedes Jahr mehr als 30 neue Wildtiere, Vögel, Fische, Frösche, Insekten, Blumen und Bäume zu Tier oder Pflanze des Jahres: wie eben beispielsweise Gartenschläfer, Zwerglibelle, Kibitz oder Wasserfrosch.
„Der Verlust an Insekten im letzten Jahrhundert ist dramatisch,“ sagt Müller. Aber interessiert jemanden der Schwund an Insekten, die anderen Arten als Nahrung oder Bestäuber fehlen? „Die großen Wildtiere sind spektakulärer“, erläutert Müller, „aber auch deren Akzeptanz ist unterschiedlich.“ In den Wolfsgehegen des Nationalparks gibt es derzeit nur zwei männliche Tiere. „Wir haben aber in Ostbayern mehr Wölfe als im bayerischen Alpengebiet“, berichtet der Professor: „Es gibt hier nur nicht so viele Weidetierhalter*innen wie in den Alpen. Zudem sind mehr Rinder und Pferde auf der Weide als Schafe und Ziegen – die für den Wolf leichtere Beute sind. Daher ist hier die Akzeptanz in der Bevölkerung größer und die Lage für den Wolf derzeit sehr entspannt.“
Kaum mehr Widerstand gibt es gegen den Luchs; gleiches gilt für andere freilebende Wildkatzen. „Den Luchs mögen die Leute, weil er eine so schöne Katze ist,“ meint Müller. Auch die Befürchtungen der Jäger*innen haben sich seinem Eindruck nach abgebaut, „denn die Ansprüche der Luchse an den Lebensraum sind ja nicht groß. Die brauchen nicht mehr als ihre Nahrung und sind keine starke Beute-konkurrenz. Im Wald bleibt das Gleichgewicht erhalten: Die Rehe nehmen quantitativ zu – und die Luchse auch.“
Den Wildschweinen geht es inzwischen sogar zu gut
Die Hauptursachen für Bedrohung und Aussterben von Tierarten oder deren Erhaltung sind in Ostbayern die gleichen wie anderswo, nur wegen des direkten Vergleichs mit den großen Schutzgebieten leichter erkennbar. Vor über einem Jahrhundert begann auf bayerischer wie auf tschechischer Seite des Böhmerwalds die Ausrottung gefährlicher oder „unnützer“ Tierarten durch Abschuss, Fallen und Gifte. Es traf vor allem Bären, Luchse, Wildkatzen, Wölfe, Wildschweine Marder, Biber und Fischotter sowie Raben-, Eulen- und Greifvögel.
Die Nationalparkfreunde, Naturschutzbehörden und -organisationen in Niederbayern haben sich ein halbes Jahrhundert lang bei der Bevölkerung streitbar, aber erfolgreich um mehr Akzeptanz von Schutzgebieten und freilebenden Raubtieren bemüht.
Aber auch im früheren sogenannten Armenhaus Bayerns folgten viele für Menschen positive, für die Natur jedoch negative Veränderungen von Lebensräumen. Intensivere Landwirtschaft, neue Industrie und dichtere Besiedlung, mehr Mobilität und Tourismus haben Nahrungsgrundlagen und Bewegungsfreiheit von Wildtieren eingeschränkt. Dazu kommen Auswirkungen der Klimaveränderung auf die Artenvielfalt der Region.
Aber dank des bewusst schonenderen Umgangs der Landwirte, Fischer und Jäger mit der Natur haben sich die meisten der großen im Böhmerwald heimischen Wildtierarten wieder erholt in den Lebensraum eingefügt. Den Wildschweinen geht es sogar eher zu gut. Einige Vogelarten sind zugewandert, andere wurden aufgepäppelt und ausgewildert. Manchen Wildtieren hat der Borkenkäfer den Bergfichtenwald so kräftig aufgelockert, dass sie mit klimaverträglichen Baumarten und Sträuchern wieder einen lichten Lebensraum finden.
Von der Moldau kommen sporadisch einzelne Elche
Aber etliche kämpfen ums Überleben, so etwa Waldhühner (Auer-, Birk- und Haselhuhn), Rebhühner, Hasen und Nagetiere. Fast alle Wildtiere in den Gehegen – außer Wiesenten, Bären und Elchen – kommen wieder auf freier Wildbahn vor. „Von der Moldau kommen sporadisch einzelne Elche zu Besuch nach Ostbayern“, berichtet Müller.
Für den Tierökologen ist entscheidend, „ob das regionale Verschwinden einer Tierart für die ganze Population systemrelevant ist. So weit ist es aber noch nicht, dass der Bienenfresser, die Ringdrossel und andere Vögel aus wärmeren Tälern in kältere Hochklagen umsiedeln.“ Ähnliche Kämpfe wie um Raubtiere haben sich hier um die Erhaltung natürlicher Flora und Fauna in Bächen und Flüssen abgespielt, die mit kleinen Wasserkraftwerken an alten Mühlen der Stromerzeugung dienen. Diese arbeiten mit hohen Auflagen für Ein- und Ausleitung, Fischtreppen und Restwassermengen.
Im Gehege possierlich anzusehende Fischotter waren hier immer unbeliebt – weil es dank vieler Bäche auch viele Teichwirt*innen gibt. Abschießen mache wenig Sinn, sagt Müller, weil die nächsten Fischottergenerationen immer gleich nachkommen würden: „Aber die Aufregung hat sich gelegt seit jeder Forellenzüchter sichere Elektrozäune hat. Eher in Gefahr sind Goldfische in Gartenteichen, die sich der Fischotter gern holt!“ (Hannes Burger)
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