Kommunales

Für die Pille gibt es kein Geld – für eine Abtreibung schon. (Foto: dpa)

19.02.2016

Entweder Kaffee trinken oder verhüten

Bei vielen sozial schwachen Frauen reicht Hartz IV nicht für die Anti-Baby-Pille – Kommunen wollen jetzt aus eigener Kasse gegensteuern

Bei Frauen, die zu Pro Familia in Regensburg kommen, geht es oft um finanzielle Fragen. Es geht um Essen, um Kleidung, und auch immer öfter um das Thema Verhütung. „Frauen, die auf staatliche Hilfen angewiesen sind oder nur ein geringes Einkommen haben, stehen hier vor einem großen Problem“, sagt die Leiterin der Beratungsstelle, Elke Werle. Zwischen zehn und 15 Euro kostet eine Monatspackung. Zu viel für jene, die sich überlegen müssen, ob sie sich in diesem Monat überhaupt noch Kaffee leisten können. „Verhütung“, sagt Werle, „ist für bedürftige Frauen vor allem eine Frage des Geldes.“ Mal reicht es für die Anti-Baby-Pille, mal reicht es nicht. Schlimmstenfalls kommt es dann zur ungewollten Schwangerschaft und zur Abtreibung. Um das zu verhindern, suchen immer mehr bayerische Kommunen nach Konzepten, um die Frauen bei der Verhütung finanziell zu unterstützen.

Früher war das kein Problem: Frauen, die auf Sozialhilfe angewiesen waren, bekamen die Kosten für Pille und Spirale erstattet. Seit den Gesundheits- und Hartz-IV-Reformen in den Jahren 2004 und 2005 ist das anders. Seitdem müssen Frauen über 20 Jahre unabhängig von ihrer finanziellen Situation für ihre Verhütungsmittel selbst aufkommen.

Im Hartz-IV-Regelsatz 17,37 Euro zur Gesundheitspflege

Aktuell sind im Hartz-IV-Regelsatz 17,37 Euro zur Gesundheitspflege vorgesehen. Darunter fallen alle nicht verschreibungspflichtigen Medikamente wie Kopfschmerztabletten und Schnupfenspray. Und bei Frauen eben zusätzlich die Verhütungsmittel. Bayerische Schwangerschaftsberatungen und Sozialstellen fordern seit Jahren eine Kostenübernahme. „Das Geld“, sagt Werle, „reicht doch hinten und vorne nicht aus.“ „Untragbar“ findet auch Elisabeth Schieder, die Leiterin der Beratungsstelle Donum Vitae in Weiden, die derzeitige Situation. In mindestens jedem zehnten Beratungsgespräch werde sie auf das Thema Verhütungsmittel und Kostenübernahme angesprochen. „Und alles, was ich den Frauen sagen kann, ist: Ich kann Ihnen leider nicht helfen.“ Dass der Staat auf der anderen Seite die Kosten für eine Abtreibung übernehme, sei in diesem Zusammenhang eine „unerklärliche Diskrepanz“. In München hat sich seit vergangenem Jahr in Sachen Pille und Co. eine Lösung gefunden. Ende 2014 beschloss der Stadtrat nach zehnjähriger Disksussion die Kostenübernahme für Verhütungsmittel. Seit Januar 2015 können die Sozialhilfe-Empfängerinnen gegen Vorlage ihres Hilfsbescheids die Verhütungsmittelkosten beantragen. Berechtigt sind Bezieherinnen der Leistungen nach SGB II, SGB XII und dem Asylbewerberleistungsgesetz. In München sind das zirka 20.000 Frauen. 1,6 Millionen Euro stellte die Stadt für ihre freiwillige Leistung zur Verfügung. Davon abgerufen wurden im vergangenen Jahr jedoch nicht einmal 35.000 Euro, erklärte die SPD-Fraktion kürzlich im Münchner Stadtrat. Grund für die geringe Nachfrage sei, dass die Gratis-Offerte noch nicht ausreichend bekannt sei.

München: Auch Wohngeld-Bezieherinnen anspruchsberechtigt

Auf Vorschlag der SPD hat der Sozialausschuss des Münchner Stadtrats jetzt beschlossen, den Kreis der Berechtigten um Geringverdienerinnen zu erweitern. Auch jene, die beispielsweise Wohngeld beziehen oder aber Anspruch auf den „München-Pass“ haben, sollen einen Anspruch auf Gratis-Verhütungsmittel bekommen. Dadurch kämen geschätzt 10 000 neue Berechtigte dazu, sagt die SPD-Stadträtin Anne Hübner. Die Politikerin sieht dies als „wichtigen Beitrag zur Existenzsicherung und zur selbstbestimmten Familienplanung“, vor allem „angesichts der hohen Mieten“ in München. Eine freiwillige kommunale Leistung, um die „deutlich zu niedrigen“ Sozialleistungen des Bundes etwas auszugleichen, so versteht Stadträtin Hübner das Angebot. Die Gesamtkosten für die Gratis-Verhütung hat die Stadt allerdings gekürzt. 2016 stehen nur mehr 200 000 Euro für das Angebot zur Verfügung. Neben München haben auch einige weitere bayerische Kommunen wie Nürnberg, Würzburg, Forchheim und Kempten entsprechende Angebote ins Leben gerufen. Die Hilfsmodelle sind jedoch unterschiedlich. In Kempten beispielsweise können finanzschwache Frauen über die Schwangerschaftsberatungsstelle nur einen Zuschuss von 50 Prozent zu ihren Verhütungskosten beantragen.

Würzburg: Kostenübernahme über Präventionsfonds

In Würzburg dagegen ist seit 2013 über einen Präventionsfonds eine hundertprozentige Kostenübernahme möglich. Die Gelder kommen aus mehreren Quellen. „In den Fonds fließen zum einen Spenden und Sponsorenmitteln der Würzburger Schwangerschaftsberatungsstellen. Zum anderen zahlen Stadt und Landkreis Würzburg jeweils 5000 Euro als kommunalen Beitrag ein“, sagt der Würzburger Stadtsprecher Christian Weiß. In Nürnberg wurde das Thema Verhütungsmittel für bedürftige Frauen nie aus den Augen verloren. Die Frankenmetropole war eine der ganz wenigen Städte in Deutschland, die nach 2004 und 2005 die Kosten für Pille und Spirale weiter über die Sozialhilfe bezahlt hat. „Wir haben damals zugunsten der Frauen die Rechtslage sehr großzügig ausgelegt“, sagt ein Mitarbeiter des Sozialamts. Als 2012 das Bundessozialgericht diese großzügige Handhabung verbot, legte Nürnberg im Folgejahr eine Art Verhütungsmittelfonds auf. Das Budget, das anfangs 15 000 Euro betrug, wurde 2015 auf 40 000 Euro aufgestockt. Berechtigt sind Nürnbergerinnen unterhalb einer Einkommensgrenze des eineinhalbfachen Regelsatzes, die bestimmte soziale Kriterien erfüllen. In mehreren anderen bayerischen Kommunen sind Hilfen für Gratisverhütungsmittel auf den Weg gebracht. In Regensburg liegt eine entsprechende Anfrage beim Stadtrat sowie im Landratsamt vor. „Frauen mit geringem Einkommen sollen ärztlich verordnete Verhütungsmittel zu 100 Prozent kostenlos bekommen“, sagt Werle. Die Beraterin ist zuversichtlich, dass die Anfrage alsbald positiv beschieden wird.

Gratisfonds in Landshut

In Landshut soll es einen Fonds für Gratis-Verhütungsmittel ab diesem Jahr geben, ausgestattet mit 7000 Euro. Gleiches gilt für den Landkreis Augsburg, hier liegt das Budget allerdings bei nur 5000 Euro. „Wir streben eine Zuschuss-Regelung an“, sagt Jugendamtsleiterin Christine Hagen. Neben finanziellen und sozialen Kriterien wird auch die Beratung bei einer Schwangerschaftsberatung verpflichtend sein. Die Regierung von Schwaben muss in diesem Fall dem Haushalt noch zustimmen. „Wir rechnen bis Mai mit einer Entscheidung“, sagt Hagen. „Ich bin bezüglich des Fonds aber zuversichtlich.“ So weit ist man in Weiden noch nicht. „Wir arbeiten gerade an einem Konzept“, sagt Beraterin Elisabeth Schieder. Dass der Bedarf da sei, daran könne es keinen Zweifel geben. Sie störe aber dieses „Klein-Klein“, dass jede Kommune ihr eigenes Süppchen kochen müsse. „Ich würde eine bundeseinheitliche Lösung in jedem Fall vorziehen“, sagt Schieder. Die Forderung der CSU, Harz-IV-Empfängerinnen bis zum 27. Lebensjahr Verhütungsmittel kostenlos zur Verfügung zu stellen, um Abtreibungen zu verhindern, sieht sie deshalb als „Schritt in die richtige Richtung“. Wobei sie eine Lösung ohne Altersbeschränkung sinnvoller fände. „Frauen werden schließlich auch noch nach ihrem 27. Lebensjahr schwanger“, sagt sie. „Aber in der jetzigen Situation, ganz ehrlich, würden wir nehmen, was wir kriegen können.“ (Beatrice Ossberger)

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