Kommunales

01.08.2025

"Existenzbedrohend“: Seit Anfang des Jahres gilt auf dem Münchner Viktualienmarkt ein Verbot für Einwegverpackungen – der Unmut der Standlbesitzer ist groß

Der traditionsreiche Münchner Viktualienmarkt ist ein Besuchermagnet. Eine Folge: viel Müll und am Boden liegende Plastikbecher – über das richtige Konzept gegen die Einwegflut gehen die Meinungen von Stadt und Standbetreibern auseinander

Auf dem Viktualienmarkt geht es an diesem Wochentag zu wie in einem Wimmelbuch. Eine Reisegruppe fotografiert gerade den Alten Peter, dessen Turmspitze sichtbar über Häuserdächer spitzt. Ein Paar posiert vor dem Karl-Valentin-Trinkbrunnen. Ein Mädchen jagt Ringeltauben hinterher. Zwei Damen wollen sich die Tomaten ansehen, „wo das Kilo 76 Euro kostet“, wie eine der Frauen zu der anderen sagt. Gemeint ist die „Amela-Tomate“, die am Marktstand Fruitique in Wahrheit für 69,50 Euro pro Kilo angeboten wird. Sie gilt als die teuerste Tomate der Welt.

Viele Touristen kaufen dort ein

Einheimische wie Touristen tummeln sich auf dem gepflasterten Platz, kaufen ein, flanieren, schlemmen Oliven aus dem Becher oder trinken einen Smoothie. Getränke, so berichten einige Standmitarbeiter der Staatszeitung, werden dabei jedoch gerne „to go“ in Plastikbechern eingekauft. Und genau dieser Umstand sorgt derzeit für Streitereien zwischen den Marktleuten und der Stadt. 

Eine Satzung der Landeshauptstadt München vom 3. Juli 2024 sorgt bis heute für Unmut unter Standbetreibern: „Speisen und Getränke dürfen nur in wiederverwendbaren Verpackungen und Behältnissen sowie nur Mehrwegbesteck ausgegeben werden.“ Die Pflicht, den Kunden auch Mehrweggeschirr anzubieten, bedeutet jedoch gleichzeitig ein faktisches Verbot für Einweggeschirr. Dieses gilt seit Anfang dieses Jahres auf allen Märkten der Stadt. 

Diese Pflicht, „zur Abgabe von Speisen und Getränken in pfandpflichtigen, wiederverwendbaren Verpackungen und Behältnissen für Verkaufsflächen, die im Eigentum der Stadt stehen“, gelte jedoch bereits seit den 1990er-Jahren, betont eine Sprecherin des Kommunalreferats auf Anfrage und zitiert die Gewerbe- und Bauabfallentsorgungssatzung der Landeshauptstadt München. Diese gelte jedoch ausschließlich für die Satzungsflächen der Märkte München, nicht für die gesamte Stadt. 

Grundsätzlich, meint Marco Stohr, Vorsitzender der Interessengemeinschaft Viktualienmarkt (IGV), seien die Standlbesitzer auch mit einem Mehrweggebot einverstanden. „Das ist natürlich eine sehr sinnvolle Sache, weil durch Einwegprodukte schlichtweg sehr viel Müll entsteht.“ Doch bei der Umsetzung des Einwegverbots fühlen sich viele der Standlbetreiber alleingelassen, so Stohr. 
Es seien noch viele Fragen ungeklärt: Wird es einen Anbieter für Mehrweggeschirr geben, den alle Betreiber nutzen? Wo soll es zurückgegeben und gespült werden?

„Man kann das Einweg- und Mehrweggeschirr nicht in eine Spülmaschine stecken, das fliegt darin rum, fängt auf Dauer an zu schimmeln“, sagt Stohr, der selbst einen Obststand führt.

Ein zusätzlicher Kritikpunkt: „Unsere Befürchtung ist, dass die Besucher dann lieber gegenüber bei Starbucks, wo das Verbot für Einwegprodukte nämlich nicht gilt, ihren Kaffee holen“, sagt Stohr. Der Marktsprecher vermutet, dass durch die neue Regelung Marktstandbesitzer künftig einen Umsatzeinbruch zwischen 10 bis 40 Prozent erleiden würden.

„Wir verlieren unsere Laufkundschaft“

Die Verärgerung hat dazu geführt, dass einige Händler ein Normenkontrollverfahren gegen die Stadt eingeleitet haben. Die Münchner Rechtsanwältin Erika von Heimburg vertritt die Markthändler und hat Mitte April eine Klage beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingereicht. Aus der Sicht des Marktsprechers Stohr habe die Klage auf die Stadt den notwendigen Druck ausgeübt. 

Auch Christian Müller von der Kaffeerösterei Viktualienmarkt zählt zu der Gruppe der klagenden Händler. Zu dem laufenden Verfahren möchte er jedoch keine Aussage machen. Geklagt werde stellvertretend für alle Händler, schreibt er. Unterstützung erhalte man durch den Händlerverein, die IGV. „Dies wurde auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung so beschlossen und zeigt die Breite unseres Anliegens.“

Seit dem 1. April gibt es nun einen Mehrwegfahrplan, wie die Sprecherin des Kommunalreferats mitteilt. Demnach müssen seitdem zusätzlich zu Einwegbechern für die Kunden deutlich sichtbar Mehrwegbehältnisse angeboten werden. Einwegbehältnisse sollen nicht kostenfrei ausgegeben werden. Einwegbehältnisse sollen auf Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen umgestellt werden; Plastik und beschichtete Produkte sollen vermieden werden. 

Sprachen aus aller Welt sind auf dem Viktualienmarkt zu hören und vermischen sich zu einem sanften Hintergrundgeräusch. Chico redet hingegen nicht sanft. Ärger schwingt in seiner Stimme mit. Mabrouk Yahyaoui, genannt Chico, betreibt seit 16 Jahren „Chicos Saftladen“ am Viktualienmarkt. Er reicht einen Smoothie mit Maracujas und anderen Früchten gefüllt über den Tresen, als er über die neue Satzung spricht. „Die Stadt hat uns ein Problem geschaffen, ohne eine Lösung vorzuschlagen.“ Einem Pfandsystem steht er kritisch gegenüber, denn vor allem Touristen würden den Markt passieren, seien nur auf der Durchreise. „Wir verlieren 70 Prozent unserer Kundschaft, wenn ein Verbot für Einweggeschirr durchgesetzt wird. Es ist existenzbedrohend.“

Die meisten Passanten würden einen Becher „to go“ nehmen, weil sie schnell weitergehen möchten, sagt Chico. Er trägt einen Pullover mit der Aufschrift „Because there is no planet B“. Seit fünf Jahren bietet er bereits Biobecher, hergestellt aus Mais, an, ebenso wie Mehrwegbecher.

Einwegbecher aus Plastik können bei ihm für 20 Cent erworben werden, so wie es der Mehrstufenplan vorsieht. Natürlich wolle er Einwegprodukte und somit Plastikmüll vermeiden, wo es nur umsetzbar sei. Aber: „Wenn wir uns komplett umstellen müssen, verlieren wir unsere Laufkundschaft.“

Für den Standbetreiber, fast wie gerufen, kommt eine Jugendgruppe, die aus der USA angereist ist. Die Teenager bestellen Erdbeer-Becher „to go“. Chico fragt noch mal nach, vermutlich auch, um seinen Standpunkt zu beweisen. „Sicher?“, hakt er nach und lädt ein, das Obst direkt am Stand zu speisen. „No, to go“, erwidern die Jugendlichen. 

„Liebe Kunden, aufgrund eines Stadtratsbeschlusses müssen wir ab dem 1. April 2025 für Mehrwegbecher einen Pfand von einem Euro oder für Einwegbecher einen Aufschlag von 0,30 Cent verlangen“, erklärt ein Schild auf dem Tresen eines weiteren Standes. Dessen Mitarbeiter, der namentlich nicht genannt werden möchte, arbeitet seit zehn Jahren auf dem Markt. An dem Obststand, der exotische Früchte, etwa Granadillas oder Flugananas, genau wie Smoothies, im Sortiment hat, werden die neuen Regelungen ebenso beachtet. Neben den Einwegbechern, die hier 30 Cent kosten, wird auch Glas auf Vertrauensbasis herausgegeben.

„Viele wollen einfach weitergehen“

Auch dieser Mann sagt: „Viele wollen einfach weitergehen.“ Touristen hätten keine Lust, zum Stand zurückzukehren, um einen genutzten Mehrwegbecher wieder abzugeben. Am meisten verwendet würden auch dort die Einwegverpackungen. Die Menschen seien eher bereit dazu, die zusätzlichen Gelder zu zahlen, als später zurückzukehren. 

Die Klage soll laut Stohr im Herbst vor Gericht verhandelt werden. Im zweiten Quartal 2026 wollen die Märkte München mit den Händlern evaluieren, wie die Erfahrungen aus dem Stufenplan waren, teilt der Marktsprecher mit. Ihn ärgert auch, dass das Mehrweggebot, das seit den 1990er-Jahren gelte, nun nur auf dem Viktualienmarkt umgesetzt werden soll – „als Leuchtturmprojekt“. Er wünscht sich, „dass die Stadt und die Märkte München auf die Händler zukommen, in den Dialog miteinander treten und die Händler einbezogen werden“. Kein Marktstandbetreiber würde sich gegen die Vermeidung von Müll stellen, im Gegenteil. „Aber man soll doch bitte die Leute vom Markt nicht im Wind stehen lassen.“ Es brauche ein „komplettes, integriertes Konzept, das überzeugt“. 

Die Referats-Sprecherin der Stadt antwortet hierzu: „Um die Händler und Händlerinnen zu unterstützen, haben die Märkte München bereits eine Mehrwegmesse durchgeführt, um Systeme vorzustellen und Anbieter zu vermitteln. Auch werden derzeit die Möglichkeiten einer Rückgabeinfrastruktur geprüft.“ 

Von dem Disput ahnt ein älterer Herr, der an diesem Mittag auf einer hölzernen Bank zwischen den Ständen sitzt, vermutlich nichts. Er lässt sich auch von all dem Getümmel um ihn herum nicht beirren und löst ein Kreuzworträtsel. Nicht weit von ihm entfernt wacht die Bronzefigur von Komödiantin Ida Schumacher, ein Brunnendenkmal von 1977, mit Eimer und Besen über den Viktualienmarkt. (Leonie Fuchs)
 

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