Kommunales

Die meisten Grundschüler können wie dieses Mädchen zur Schule laufen (Symbolbild). Foto: dpa/Patrik Pleul

03.05.2019

"Fahr Bus und Bahn!"

Wann müssen die Kommunen die Fahrtkosten für den Schulweg zahlen? Immer wieder landen solche Streitigkeiten vor Gericht

Kommunen sind prinzipiell für die Beförderung von Kindern und Jugendlichen zur Schule zuständig, wenn dieser Weg eine gewisse Entfernung überschreitet. Manchmal bezahlen sie sogar ein Taxi, meist Bus oder Bahn. Über Details müssen immer wieder die Gerichte entscheiden. Ein bayerischer Schüler hat nun erfolglos versucht, seine Kosten für die Autofahrten einzuklagen. Laut Gericht hätte er, damit der Landkreis zahlt, die Bahn nehmen müssen – trotz täglich vier statt zwei Stunden Fahrzeit.

Die Tage von Michael Ammer sind lang gewesen, damals im Schuljahr 2015/16. Um 5.30 Uhr klingelte der Wecker an seinem Wohnort in Kösching bei Ingolstadt; eine gute Stunde später saß der Teenager im Auto und fuhr die 105 Kilometer zur Fachoberschule in Fürstenfeldbruck. Diese war trotz der großen Distanz die nächstmögliche Einrichtung für ihn, da Ammer das Abitur im Rahmen einer dualen Ausbildung anstrebte.

Es geht um mehrere Tausend Euro an Fahrtkosten

„Ich bin damals mehr als tausend Kilometer pro Woche gefahren“, sagt der heute 21-Jährige, der in Wirklichkeit anders heißt. Seinen Namen wolle er „aus privaten Gründen“ nicht in der Zeitung lesen, erklärt Michael Ammer, nachdem er mit seiner Anwältin Traute Ehlerding den Sitzungssaal im Verwaltungsgericht München betreten hat. In Fürstenfeldbruck endete sein Unterricht um 15.30 Uhr – danach stieg er wieder ins Auto und fuhr heim nach Kösching, wo er meist gegen 17 Uhr ankam.

Für seinen Schulweg hat Michael Ammer viel Zeit geopfert – und viel Geld, das er später vom Landkreis Eichstätt einforderte. Dazu muss man wissen: In Bayern haben Schüler ab der elften Klasse einen Anspruch auf die Erstattung ihrer Schulwegkosten, sofern diese 440 Euro im Jahr übersteigen. Dies sei bei ihm der Fall gewesen, sagt Michael Ammer, der seine Fahrtkosten in den sieben Monaten auf 6000 bis 8000 Euro beziffert. 


Das Landratsamt Eichstätt lehnte seinen Antrag 2016 jedoch in weiten Teilen ab. Zwar gewährte die Behörde eine Erstattung für die Autofahrt von Kösching bis zum nächsten Bahnhof in Ingolstadt, da es hier keine hinreichende öffentliche Verbindung gebe. Ab dort jedoch, so das Amt, hätte der Schüler mit der Bahn nach Fürstenfeldbruck fahren müssen.


Schließlich sind Behörden bei der Erstattung von Schulwegkosten dazu angehalten, auf die Wirtschaftlichkeit zu achten und „ihre Beförderungspflicht vorrangig mithilfe des öffentlichen Personenverkehrs“ zu erfüllen, wie es in der zugehörigen Verordnung steht. Andere Verkehrsmittel, etwa das Privatauto, sind demnach nur zulässig, wenn dies günstiger oder notwendig ist.


Ersteres war bei Michael Ammer nicht der Fall. Zweiteres aber schon, fand der Köschinger – und reichte daher Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht ein. Dort argumentierte er, dass er pro Schultag mehr als zwei Stunden länger gebraucht hätte, wenn er mit der Bahn statt dem Auto gefahren wäre. Somit sei jene Grenze überschritten, die früher explizit in der Verordnung stand und an der sich heute noch viele Behörden orientieren.


Demnach werden Schulwegkosten auch bei Fahrten mit dem Privatauto erstattet, wenn sich dadurch eine Zeitersparnis von mindestens zwei Stunden an drei Tagen pro Woche ergibt. Aus Sicht des Landratsamts war dies bei Michael Ammer aber nicht der Fall. Vielmehr kam die Behörde bei ihrer Berechnung auf eine tägliche Zeitersparnis von rund eindreiviertel Stunden.


In der Gerichtsverhandlung ging es nun hin und her zwischen beiden Parteien – wie viele Minuten die Fahrt nun genau dauere, und wann welcher Routenplaner zu welchem Ergebnis komme. Überdies stellte Traute Ehlerding die starre Bemessungsgrenze von zwei Stunden an drei Tagen infrage. Ihr Mandant habe sich damals aufs Abitur vorbereiten müssen, argumentierte die Anwältin. „Da hat man viel zu lernen – und das nicht stehend im Zug.“


Das Gericht konnte das aber nicht überzeugen, und so entschied es letztlich zugunsten des Landkreises. Dieser dürfe ob der schieren Menge an Fällen bei der Bewertung von Fahrtkostenerstattungen durchaus pauschalisieren, betonte die Vorsitzende Richterin in der Verhandlung. Von daher müsse das Amt auch nicht die konkreten Fahrtzeiten zu den jeweiligen Schulbeginnzeiten ermitteln.


Es ist nicht das erste Mal, dass sich bayerische Verwaltungsgerichte mit der Erstattung der Kosten für den Schulweg auseinandersetzen müssen. Bei der gesetzlich geregelten Schulwegbeförderung wird in Bayern nach dem Alter der Kinder unterschieden. So ist Erst- bis Viertklässlern ein bis zu zwei Kilometer langer Schulweg zumutbar, bei Fünf- bis Zehntklässlern liegt die maximale Strecke bei drei Kilometern.

Sind die Distanzen größer, muss der sogenannte Aufgabenträger dafür sorgen, dass das Kind in die Schule gefahren wird. Bei Grund-, Mittel- und Förderschulen ist in Bayern die Stadt oder die Gemeinde zuständig, bei allen anderen weiterführenden Schulen der Landkreis.


Bei den maximalen Kilometerangaben handelt es sich freilich nicht um starre Grenzen. Vielmehr sind Ausnahmen möglich, etwa wenn der Schulweg „besonders beschwerlich oder besonders gefährlich“ ist, sagt Michael Graß, Bildungsreferent beim Bayerischen Landkreistag.

Ist der Weg gefährlich, muss der Landkreis das Taxi zahlen


Mit der Frage, welche Strecken und Distanzen zumutbar sind, müssen sich regelmäßig Gerichte auseinandersetzen – so etwa jüngst bei einem Fall aus dem oberfränkischen Marktschorgast. Hier erklärte sich der oberfränkische Landkreis Kulmbach erst nach einer mündlichen Verhandlung vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof bereit, einen 13-Jährigen per Taxi zur Schule zu fahren. Zwar war diese nur 2,3 Kilometer weit entfernt, jedoch führte der Weg dorthin entlang eines unübersichtlichen Überland-Wegs.

Der öffentliche Druck war bei diesem Verfahren enorm, schließlich ging es um das Wohl eines Kindes.

Generell muss der Aufgabenträger nur gewährleisten, dass die Kinder an die nächstgelegene Schule kommen – was meist die jeweilige Sprengelschule meint oder eine weiterführende Schule der gewählten Schulart, Ausbildungs- oder Fachrichtung. Laut Gesetz findet die Schulwegbeförderung „grundsätzlich im Zusammenwirken mit Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs“ statt. Soweit dies „wirtschaftlicher oder sachgerechter“ ist, können auch Schulbusse eingesetzt werden.


Schüler ab der 11. Klasse haben keinen Anspruch auf eine Beförderung – wohl aber auf eine Erstattung der Schulwegkosten, sofern diese eine Eigenbeteiligung von 440 Euro pro Familie und Schuljahr übersteigen. Auch hier gelte der Vorrang der öffentlichen Verkehrsmittel, sagt Michael Graß vom Bayerischen Landkreistag. Nur in Ausnahmefällen würden die Kosten für Fahrten mit dem Privatauto erstattet.


Michael Ammer kam über die 440-Euro-Grenze. Die Gerichtsentscheidung bedeutet für ihn allerdings, dass er wohl nur einen Bruchteil seiner Fahrtkosten erstattet bekommt – und zwar für die Strecke zwischen Kösching und dem nächsten Ingolstädter Bahnhof. Wäre er von dort mit dem Zug weiter nach Fürstenfeldbruck gependelt, dann hätte er das Geld fürs Bahnticket vom Landkreis erhalten.


Ob er es deshalb rückblickend bereue, mit dem Auto gefahren zu sein? Nein, antwortet der 21-Jährige, der sein Abitur damals mit der Traumnote von 0,8 geschafft hat und inzwischen an der renommierten University of Oxford inGroßbritannien studiert. „Denn dann wäre ich heute nicht dort, wo ich jetzt bin.“  (Patrik Stäbler)

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