Bayerns Bürgermeisterinnen wollen „endlich die tatsächliche Durchsetzung der Gleichstellung von Frauen und Männern“ – auch in der Kommunalpolitik. Dazu trafen sich die Rathauschefinnen zu einer zweitägigen Tagung im niederbayerischen Abensberg. Noch diesen Monat planen sie eine Popularklage vorm Verfassungsgerichtshof. Grund: Die Wahlgesetze behagen ihnen nicht.
Uwe Brandl hält sein Grußwort zur Tagung „Frauen führen Kommunen“ mit lockerem Witz. Keine ungewöhnliche Situation für den christsozialen Abensberger Rathauschef und Präsident des Bayerischen Gemeindetags. Nur eines ist anders als sonst: Brandl ist der einzige Mann im Saal des Abensberger Aventinums. Und statt einem Heer von Anzugträgern steht er einer ebenso entspannten wie entschlossenen und modisch schillernden Gruppe von Frauen gegenüber. Als der Präsident des Bayerischen Gemeindetags an diesem Tag die Tagung in Zusammenarbeit mit dem Verband eröffnet, begrüßt er neben der Frauenbeauftragten des Freistaats, Sozialministerin Emilia Müller (CSU) und der Präsidentin des Landesfrauenrats, Hildegund Rüger, auch rund 100 bayerische Rathauschefinnen in der Kommune im Landkreis Kelheim.
Von 2000 Gemeinden haben rund 150 eine Frau als Chef
Das mag auf den ersten Blick eine beeindruckende Zahl sein. Eingeladen waren sogar alle rund 150 Frauen, die in Bayerischen Kommunen den Ton angeben. Gemessen an der Zahl von mehr als 2000 Ersten Bürgermeistern im Freistaat erscheint sie aber geradezu verschwindend gering. Kommunalpolitik ist noch immer fest in Männerhand. Auch in Bayern, wo gerade einmal neun Prozent der Rathaussessel mit Ersten Bürgermeisterinnen besetzt sind. In den Landkreisen sieht die Bilanz noch düsterer aus. Hier regieren lediglich 5,5 Prozent Frauen.
Erhöht hat sich in den vergangenen Jahren lediglich die Zahl der Zweiten beziehungsweise Dritten Bürgermeisterinnen. Doch sind diese – von Metropolen wie München, Nürnberg oder Regensburg mal abgesehen – in den meisten bayerischen Städten nur ehrenamtlich tätig, lediglich im Urlaubs- oder Krankheitsfall dürfen sie befristet den Chef vertreten. Bei der Abgabe von Grüßgottaugust-Posten zeigen sich die Herren generös gegenüber den Damen.
Weniger als zehn Prozent der tatsächlichen kommunalpolitischen Führungspositionen – dazu gehören unter anderem auch berufsmäßige Stadträte – werden von Frauen ausgeübt. Und das obwohl Frauen 51 Prozent der Gesellschaft ausmachen. Emilia Müller ist das zu wenig. „Es sind doch gerade die Entscheidungen in der Kommunalpolitik, die unsere Lebenswelt ganz unmittelbar betreffen“, sagt die Politikerin, die auch schon mal Chefin der parteiinternen Frauen-Union war. Die Gesellschaftsstruktur wird in den Kommunalparlamenten nicht abgebildet wie es die Verfassung fordert.
Starke Frauennetzwerke gründen
Müller plädiert deshalb für starke Frauennetzwerke und ermutigt die Bürgermeisterinnen, den Begriff Macht neu und positiv zu besetzen. Politischer Gestaltungswille müsse es heißen. „Ich habe noch keine Frau in der Politik erlebt, die nicht ans Ziel gekommen wäre“, sagt sie. Als Selbstzweck will sie Macht jedoch nicht verstanden wissen. Auch die Gleichstellungspolitik, so stellt die Ministerin klar, sei keinesfalls Politik für Frauen, sondern für die gesamte Gesellschaft.
Die geringsten Berührungsängste mit dem herkömmlichen Machtbegriff hat die Jüngste in der Runde. Für die 28-jährige Bürgermeisterin von Leupoldsgrün im Landkreis Hof, Annika Popp (CSU), bedeutet sie schlicht „Freiheit“. Erfahrene Rathauschefinnen wie die Grünen-Politikerin Angelika Obermayr (Grafing b. München) oder die Christsoziale Birgit Höcherl (Stadt Schönsee) verbinden mit dem Begriff eher Verantwortung. „Ich habe meine Position nie als machtvoll empfunden, sagt Höcherl. „Ohne den Gemeinde- oder Stadtrat geht doch nichts. Es geht immer darum, Mehrheiten zu finden und Konsens zu suchen.“
„Hier mag schon der größte Unterschied im Führungsstil von Männern und Frauen liegen“, glaubt Christine Borst (CSU), Bürgermeisterin von Krailling im Landkreis Starnberg und Sprecherin der Arge „Frauen führen Kommunen“. Sie ist ätzt: „65 Jahre lang haben Männer das nach dem Motto geregelt: Da diskutieren wir gar nicht lang rum. Da stimmen wir jetzt einfach ab. In diesem Punkt müssen viele noch umdenken.“
Frauen sind integrativer und pragmatischer
Frauen gehen „integrativer aber auch pragmatischer an die Aufgaben heran“, glaubt auch Emilia Müller. Und tatsächlich vergeuden die anwesenden Bürgermeisterinnen im Zusammentreffen mit der Landespolitikerin keine Minute an Gedanken zur Gleichberechtigung. Stattdessen nutzen sie die Gunst der Stunde und fordern von der Staatsministerin für Integration für ihre Kommunen sehr praktische Lösungen in der aktuellen Flüchtlingspolitik.
Je kleiner die Kommune ist, desto geringer ist übrigens der Frauenanteil. Nur in drei von 25 Rathäusern kreisfreier Städte bekleidet eine Frau das höchste Amt. Darunter ist jedoch keine der acht Städte, die mehr als 100.000 Einwohner haben. Bayerns größte Stadt mit einem weiblichen OB ist das 72.000 Einwohner zählende oberfränkische Bayreuth, wo seit vier Jahren die parteifreie Brigitte Merk-Erbe regiert. Danach folgt das 61.000 Einwohner zählende oberbayerische Rosenheim, seit 14 Jahren mit der CSUlerin Gabriele Bauer an der Spitze. Die 64-Jährige darf aber zur nächsten Wahl aus Altersgründen nicht mehr kandidieren.
„Diese faktische Ungleichheit wollten wir nicht weiter hinnehmen“, droht Hildegund Rüger, Präsidentin des Bayerischen Landesfrauenrats (BayLFR). 2012 verabschiedete der BayLFR „Halbe Kraft reicht nicht – mehr Frauen in die Parlamente!“ Im Jahr darauf folgte eine gleichlautende Resolution der Bundeskonferenz der Landesfrauenräte. Darin forderten sie die Staatsregierung auf, die Wahlchancen von Frauen zu verbessern und das Wahlrecht dahingehend zu ändern. Möglich wäre dies über eine vorgeschriebene Parität auf den Wahllisten. Verfassungsrechtlich problematisch sind allerdings die Direktmandate. Die Gerichte prüfen derzeit, ob eine Quote möglicherweise die Wahlfreiheit einschränkt.
Der Gemeindetag gründete heuer eine eigene Arge
Im März 2014 formierte sich dann das bayerische Aktionsbündnis „Parité in den Parlamenten, um mehr Druck aufzubauen. Auch in den übrigen Bundesländern fordern Frauenverbände in ähnlichen Resolutionen, die Realität an den Verfassungsauftrag anzupassen.
Noch einen Schritt weiter wollen BayLFR und das Bündnis am Mittwoch, 30. November 2016 gehen. Einen Tag vor dem Bayerischen Verfassungstag am 1. Dezember soll eine Popularklage beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof eingereicht werden. „Die bestehenden Wahlgesetze erscheinen uns verfassungswidrig“, begründet Rüger die Klage. Für die Arbeit an der Basis hat der Bayerische Gemeindetag die Initiative ergriffen und im Februar dieses Jahres die Arbeitsgemeinschaft „Frauen führen Kommunen“ ins Leben gerufen.
„Gründe für die schleppende Entwicklung gibt es etliche“, meint Christine Borst. Sie wurden ausführlich in den drei Workshops – „Netzwerkbildung“, „Parität und Politik“ und „Politik und Verwaltung“ – diskutiert. Mehr noch als die unterschiedlichen Führungsstile spiele die Zaghaftigkeit der Parteien eine Rolle, Kandidatinnen aufzustellen.
Führungsansprüche rechtfertigen
Noch immer meinten Frauen, sich für Führungsansprüche rechtfertigen zu wollen – auch gestandene Bürgermeisterinnen, wenn es im Kollegenkreis beispielsweise darum geht, wer für den Posten des stellvertretenden Landrats – traditionell in vielen Landkreisen meist ein Rathauschef – oder des Kreisvorsitzenden des Gemeindetags kandidieren soll.
„In der Regel haben Frauen nur dann eine Chance, aufgestellt zu werden, wenn man sich ohnehin keine Aussicht auf einen Wahlsieg ausrechnet oder der Vorgänger komplett abgewirtschaftet hat“, so Brost. Zu diesem Ergebnis will eine Studie der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF) gekommen sein. Aber auch die Frauen seien oft zu zögerlich, sagt Borst. Politisch aktiv werden: ja. Politisch führen: nein. „Da kommt oft ein ,ich weiß nicht, ob ich das kann’“, sagt sie. Inzwischen ist auch die CSU-Bürgermeisterin für die Quote. „Sie macht es nicht nur den Männern leichter, sondern auch den Frauen, bestätigt die Grüne Angelika Obermayr – wohl wissend, dass „die Quote dennoch den Mut der Frauen braucht. Diese Erfahrung habe ich auch in meiner Partei gemacht, die Vorbildcharakter hat, wenn es um die Geschlechtergerechtigkeit geht“, sagt sie.
Die Frauen im Abensberger Aventinum haben ihren Mut bereits bewiesen. Wie man allerdings den politischen Nachwuchs für das erste Amt im Rathaus begeistern kann, darauf haben die Damen auch bei dieser Tagung keine Antwort gefunden. Für die Zukunft sieht die Arge daher eine Hauptaufgabe darin, Strategien zu entwickeln, wie man „Frauen aus allen gesellschaftlichen Bereichen motiviert, Führung und Verantwortung“ in Kommunen zu übernehmen.
(Flora Jädicke)
Kommentare (0)
Es sind noch keine Kommentare vorhanden!