Kommunales

Bislang war es für die meisten Jobcenter akzeptabel, dass Frauen mit Kindern nur eine Teilzeitstelle suchen - das soll sich ändern. (Foto: dpa/David Ebener)

06.11.2020

Hartz-IV-Mütter sollen stärker zur Vollzeitarbeit angehalten werden

Kommunale Sozialarbeiterinnen aus Bayern lehnen geplante Verschärfung der Bundesagentur für Arbeit ab

Einstweilen ist die jüngste Idee der Bundesarbeitsagentur Zukunftsmusik. Lediglich aus einem Bericht der internen Revision geht hervor, dass verschärfte Regeln für arbeitslose Mütter mit ebenfalls arbeitslosem Partner kommen sollen. Bislang war es für die meisten Jobcenter akzeptabel, dass Frauen mit Kindern nur eine Teilzeitstelle suchen. „Doch da es deutlich mehr offene Stellen in Vollzeit gibt als in Teilzeit, dauert die Jobsuche oft länger“, sagt Kilian Koßner, stellvertretender Geschäftsführer des Jobcenters in Würzburg.

Durch die geplante Neuregelung sollen sich die Chancen auf eine dauerhafte Rückkehr in den Arbeitsmarkt erhöhen. Klingt gut – doch Sozialarbeiterinnen sind besorgt wegen der geplanten Verschärfung, die greifen wird, sobald den Jobcentern fachliche Weisungen der Bundesagentur vorliegen. „Es fragt sich, wie sensibel die Neuregelung umgesetzt wird“, sagt Gerlinde Smutny von der Caritas im Landkreis Main-Spessart. Sie teilt die Befürchtungen vieler ihrer Kolleginnen in Bayern, dass arbeitslose Väter aufgrund persönlicher Probleme oft nicht die Kompetenz haben, sich den ganzen Tag um ihre Kinder zu kümmern – also Kontakt zur Schule oder Kita zu halten, den Haushalt zu führen und den Kindern bei den Schulaufgaben zu helfen.

"Eingriff in die elterliche Erziehungsfreiheit"

Mütter sollten wählen dürfen, ob sie Vollzeit oder Teilzeit arbeiten – oder sich sogar ganz um ihre kleinen Kinder kümmern: Diese Position vertritt der Katholische Familienbund in Bayern. „Wir lehnen die Regelverschärfung ab, weil sie massiv in die elterliche Erziehungsfreiheit eingreift und die Autonomie der Familien schwächt“, sagt die Landesvorsitzende Gerlinde Martin. Paare müssten selbst entscheiden können, wie sie die häuslichen Sorge- und Erziehungsaufgaben aufteilen. Auch der Familienbund sieht, dass einem Arbeitslosen, der eine chronische Krankheit oder soziale Schwierigkeiten hat, oft die Ressourcen zur Familienarbeit in Vollzeit fehlen. Gerlinde Martin: „Wer fragt eigentlich nach dem Wohl der Kinder?“

Das Jobcenter fragt durchaus danach, erklärt Kilian Koßner: „Das Wohl des Kindes ist ausdrücklich zu berücksichtigen.“ Ohnedies sollen keine Mütter mit Kindern unter drei Jahren gezwungen werden, 40 Stunden in der Woche arbeiten zu gehen. Und wenn sich eine Mutter mit älteren Kindern weigert? Koßner: „Eine Entscheidung ergibt sich möglicherweise aus den ausstehenden fachlichen Weisungen.“

Auch in Erlangen bestehen große Vorbehalte gegen die Neuregelung. Realität sei, dass sich Frauen auch dann, wenn ihr Partner erwerbslos ist, um ihre Kinder kümmern, und zwar oft neben einem Teilzeitjob, so Theresa Berndt von der Familienpädagogischen Einrichtung des Erlanger Stadtjugendamts. Zudem seien die partnerschaftlichen Beziehungen in vielen Bedarfsgemeinschaften schwierig, ergänzt ihre Kollegin Madeleine Wunderlich vom Familienstützpunkt im Stadtteil Büchenbach. Die Frage sei, inwieweit etwa eine Suchterkrankung des Partners vom Jobcenter berücksichtigt würde: „Solche Erkrankungen sind nach unserer Erfahrung ja oft nicht diagnostiziert.“

"Was wird als Arbeit definiert?"

Was führte dazu, dass jemand keinen Job findet? Welche Unterstützung braucht dieser Mensch wirklich? Diese Fragen müssten Sozialarbeiterinnen zufolge viel ernsthafter gestellt werden. Und noch etwas wäre endlich zu fragen, erklärt Gerlinde Martin vom Familienbund: Was wird in unserer Gesellschaft als Arbeit definiert? „Es wirkt wie Hohn, wenn Mütter, die Familienarbeit leisten, ‚arbeitslos‘ genannt und als solche zur Aufnahme einer Vollzeitstelle gezwungen werden sollen“, empört sich die Landeschefin. Im Lockdown habe man gesehen, dass es die Mütter waren, die das Rückgrat der Kinderbetreuung gebildet haben.

„Erziehungsleistung nicht als Arbeit anzusehen heißt, Mütter ungerecht zu behandeln“, findet auch Gerlinde Smutny von der Caritas in Main-Spessart. Sie sieht weitere Probleme: Nach wie vor ziehen Arbeitgeber kinderlose Frauen, Frauen mit erwachsenen Kindern oder Männer Bewerberinnen, die sich um Kinder zu kümmern haben, vor.

Häufig den Partner wechseln zu können wird erschwert

Die Problematik dürfte sich in der Corona-Krise weiter verschärfen, schicken doch einige Kitas Jungen und Mädchen zurück, wenn sie mit triefender Nase ankommen. Meist müssen dann die Mütter ihrem Chef erklären, dass sie heute nicht zur Arbeit kommen können. Schon jetzt berichten Frauen öfter, dass es ihnen beim Jobcenter schlecht ergangen sei, immer wieder klagen sie in der Sozialberatung über Druck.

Schwierig ist die geplante Verschärfung für Theresa Berndt aus Erlangen nicht zuletzt in Bezug auf die Frage, was die Neuregelung für Frauen bedeutet, die häufig den Partner wechseln: „Sie müssen jedes Mal preisgeben, dass sie sich getrennt haben oder eine neue Beziehung eingegangen sind.“ Das mache die Frauen „gläsern“. Veränderungen in einer Bedarfsgemeinschaft, bestätigt Kilian Koßner aus Würzburg, sind unverzüglich anzuzeigen. (Pat Christ)

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