Um Filz und Korruption zu verhindern, wird kontrolliert und überwacht. Und zwar immer akribischer. Das führt zu immer komplizierteren Verwaltungsprozessen. Gernot Winter (CSU), Bürgermeister von Großheubach im Landkreis Miltenberg, zeigt dies an einem banalen Beispiel auf: „Wir wollen die Lampen unserer Turnhalle auf LED umstellen.“ Dafür gäbe es sogar eine Förderung: „Allerdings nur, wenn wir ein Beleuchtungskonzept einreichen, das von einem Ingenieurbüro erstellt wurde.“ Darüber kann er nur den Kopf schütteln.
Was inzwischen in der Kommunalverwaltung alles gefordert wird, frisst unglaublich viel Arbeitszeit. Und viel Geld. „Das Beleuchtungskonzept zum Beispiel würde uns 2000 bis 3000 Euro kosten“, schildert Gernot Winter. Kurios: Die Maßnahme selbst hat nur ein finanzielles Volumen von höchstens 12 000 Euro. An Förderung seien allenfalls 3000 Euro zu erwarten: „Wir ließen das Ganze schließlich sein“, berichtet der resignierte Bürgermeister.
Gernot Winter erinnert sich an die erste Digitalisierungswelle für die Schulen. Großheubach stellte einen ausführlichen Förderantrag für Laptops: „Daraufhin erhielten wir ein Schreiben, dass wir einen Fehler gemacht hätten und deswegen nur 75 Prozent des Förderbetrags erhalten.“ Der Bürgermeister hakte nach. Und fand heraus, dass jeder Antrag aus Unterfranken beanstandet worden war. Keine einzige Gemeinde, sagt er, habe damals die komplette Förderung bekommen. „Ständig wird irgendetwas Neues gefordert, doch für was ist das gut?“, fragt sich der Bürgermeister. Seine Beschäftigten im Rathaus müssen sich permanent in eine andere, noch komplexere Vorschriftenmaterie vertiefen, so Gernot Winter: „Und wenn man dann verstanden hat, worum es genau geht – dann hat man nur noch sechs Wochen bis zum Verstreichen der Antragsfrist.“ Erschwert werde alles dadurch, dass es in den Verwaltungen an Personal fehlt: „Bei uns war zum Beispiel der Posten des Kämmerers zwei Jahre lang unbesetzt.“
Einzelfallgerechtigkeit blockiert Praktikabilität
Das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis scheint nicht mehr zu stimmen. „Wir sind tatsächlich überkomplex geworden“, bestätigt Bernd Sibler (CSU), der Landrat des Kreises Deggendorf. Er erkenne zwar immer noch den guten Willen: „Es soll alles bürokratisch wasserdicht sein.“ Der Drang zu größtmöglicher Einzelfallgerechtigkeit sorge jedoch dafür, dass alles immer unüberschaubarer wird: „Uns fehlen Vertrauen und Toleranz.“ Das Problem sind deshalb für Sibler letztlich „weniger die Lebensrealität ausblendende, restriktive Maßnahmen“ – sondern, dass „beim Erlassen auf den ersten Blick nachvollziehbarer neuer Gesetze der Vollzug selten mitgedacht wird“. Aber auch, dass viel zu schnell viel zu viel Neues kommt, sorge für ständige Unruhe in den Verwaltungen, weiß der Deggendorfer Landrat.
Für eine immense Arbeitserleichterung würde eine einheitliche Software in den Kommunalverwaltungen sorgen, meint Thomas Herker (SPD), Bürgermeister im oberbayerischen Pfaffenhofen. „Im Moment strickt sich jeder seine eigene Systemlandschaft zurecht“, bedauert der Rathauschef. In seiner Verwaltung gibt es aktuell 75 verschiedene Softwareanwendungen. Allein die technischen Betreuungskosten beliefen sich auf rund 400 000 Euro im Jahr.
Die Lage ist nach Ansicht von Maximilian Gotz (CSU), Oberbürgermeister der oberbayerischen Kreisstadt Erding, vor allem wegen der „desolaten politischen Beteiligung der Kommunen“ so verkorkst. Bei wichtigen Themen wie der Migrations- oder der Verkehrsinfrastrukturpolitik würden Kommunen so gut wie gar nicht mehr berücksichtigt, so Gotz, der auch Präsidiumsmitglied des Bayerischen Gemeindetags ist. Dadurch werde „höheren Ortes entschieden, was an der Basis kaum umsetzbar ist“.
Das betrifft laut OB Gotz zum Beispiel das „hochkomplizierte Bauleitverfahren“. Die Beteiligungserfordernisse nennt er „überbordend“. Über 40 Akteur*innen müssten bei einem einzigen Verfahren angehört werden. Dies betrifft zum Beispiel aktuell ein Hochwasserschutzprojekt in Erding. Nun verhält es sich hier im Augenblick so, dass die Stelle des staatlichen Bediensteten für Wasserrecht nicht besetzt ist. Dadurch stockt das Verfahren. Es könne, sagt Maximilian Gotz, bis zu einem Jahr dauern, bis diese zwingend erforderliche Stellungnahme endlich eintrudelt. Er würde sich wünschen, meint der OB, dass Bauleitverfahren ähnlich wie Baugenehmigungen ablaufen: Wer sich öffentlich äußern will, darf dies tun. Wer dies nicht will, tut es nicht.
Flüchtlingsunterkünfte ohne Bauleitpläne, Wohnhäuser aber nicht? Das sorgt für Unmut
Dass im Gegenzug Flüchtlingsunterkünfte ohne Bauleitpläne errichtet werden können, sorgt laut Gotz angesichts der Wohnungsnot in der Bevölkerung für riesigen Unmut. Im Landkreis Erding müssen derzeit im Schnitt rund 100 Flüchtlinge pro Monat aufgenommen werden. Alleine in der Stadt Erding gibt es derzeit 74 dezentrale Unterkünfte. Wegen des „Totalversagen des Bundes, auf europäischer Ebene eine Verteilung hinzubekommen“, so Gotz, würden Kommunalpolitiker vor Ort ständig beschimpft.
Nach Ansicht von Stefan Löwl (CSU), Landrat des Kreises Dachau, hemmen die „Kaskaden von Kontrollmechanismen“ die Behörden immer stärker. Als ein Beispiel von vielen nennt er die Tatsache, dass Mitarbeitende, die einen Dienstwagen benutzen oder Fahrzeuge des Bauhofs fahren, zweimal im Jahr ihren Führerschein vorweisen müssen. „Warum?“, fragt der Landrat sich. Es sollte doch genügen, wenn man die Mitarbeitenden – was letztlich sowieso selbstverständlich ist – darauf hinweist, dass sie den Entzug des Führerscheins melden müssen. Und dass man darauf vertraut. Stefan Löwl sieht keinen Grund, warum er den Mitarbeiter*innen seines Landratsamts misstrauen sollte – und befürchtet, dass Verwaltungen durch die immer schwierigere Umsetzung von Gesetzen allmählich „ersticken“.
Zahl der DIN-Normen hat sich seit 2003 vervierfacht
Die Umsetzungsprobleme liegen zum Beispiel daran, dass sich Gesetze oft auf DIN-Normen beziehen. Nun haben sich in den vergangenen 20 Jahren allein im Bauwesen die DIN-Normen vervierfacht. Aktuell gibt es hier rund 3800. Die Sachbearbeiter*innen in den Verwaltungen müssen sich darüber hinaus beim Gesetzesvollzug an Gerichtsurteilen orientieren.
Erschwerend kommt eine Mentalität der Absicherung hinzu. Selbst kleine Fehler werden medial skandalisiert und können gerichtlich verfolgt werden – nicht zuletzt dadurch wachsen Selbst- und Fremdkontrolle. Freiheiten, Freiräume und vor allem Eigenverantwortung schwinden dadurch. Stefan Löwl ruft in diesem Zusammenhang Art. 34 des Grundgesetzes in Erinnerung. Hier ist in Bezug auf schlechte Amtsausführung von „Vorsatz“ oder „grober Fahrlässigkeit“ die Rede. Und nicht von „kleineren Fehlern“, die menschlich seien. (Pat Christ)
Kommentare (0)
Es sind noch keine Kommentare vorhanden!