Kommunales

Der Verband deutscher Verkehrsunternehmen rechnet im Zuge der Einführung des 49-Euro-Tickets mit rund 5,6 Millionen ÖPNV-Neukund*innen sowie 11,3 Millionen Menschen, die von einem bisherigen Bus- oder Bahnabo wechseln. (Foto: dpa/Frank Leonhardt)

03.02.2023

"In dieser Form nur für das Jahr 2023 finanzierbar"

Burkhard Hüttl, kommissarischer Geschäftsführer des Landesverbands Bayern im Verband deutscher Verkehrsunternehmen, über Probleme bei der Einführung des 49-Euro-Tickets

Das 49-Euro-Ticket sollte ursprünglich schon im Oktober eingeführt werden, dann zum 1. April – und nun verspricht die Bundesregierung den 1. Mai. Doch der Deutsche Landkreistag warnt bereits, der Termin käme zu früh aufgrund einer zu kurzfristigen Vorbereitung. Und die Sozialverbände beanstanden, der Preis sei noch zu teuer.
 

BSZ Herr Hüttl, glauben Sie, dass der Termin zur Einführung des 49-Euro-Tickets zum 1. Mai 2023 haltbar ist?
Burkhard Hüttl Die Verkehrsunternehmen und Verkehrsverbünde sind vorbereitet. Wir können aber mit dem Verkauf erst dann starten, wenn die rechtlichen Voraussetzungen gegeben sind. Dafür sind Bund und Länder verantwortlich. Der Bund muss insbesondere rechtzeitig die beihilferechtlichen Voraussetzungen mit der europäischen Kommission klären, Bund und Länder müssen diese dann umsetzen. Außerdem müssen Bund und Länder die tarifrechtlichen Voraussetzungen schaffen.
 

BSZ Wie lange wird es bei diesem Preis bleiben und wann wird eine Erhöhung notwendig werden?
Hüttl Wie jedes andere Unternehmen auch, müssen die Verkehrsunternehmen ihre Kosten decken. Wenn die Kosten steigen, müssen entweder die Fahrpreise erhöht werden oder der Ausgleich der öffentlichen Hand muss steigen. Da der Preis den Deutschlandtickets durch die Politik entschieden wird, muss die Politik auch zu gegebener Zeit über die Finanzierung von steigenden Kosten entscheiden. Das Deutschlandticket ist der jetzigen Form nur für 2023 finanziert.
 

BSZ Rechnen Sie dadurch mit einer Steigerung der Passagierzahlen – und wenn ja: schätzungsweise in welchem Umfang?
Hüttl Nach den Erfahrungen des 9-Euro-Tickets und unserer Marktforschung rechnen wir mit hohen Verkaufszahlen. Unsere Prognose sind rund 5,6 Millionen Neueinsteiger*innen, die erstmals ein ÖPNV-Abo abschließen; und etwa 11,3 Millionen vorhandenen Kund*innen, die von einem bestehenden Abo zum Deutschlandticket wechseln. Als Folge rechnen wir mit steigenden Fahrgastzahlen in Bus und Bahn. Zuwächse erwarten wir vor allem dort, wo der Preisunterschied besonders groß ist, das heißt, vor allem im Pendlerverkehr über längere Strecken, und zugleich ein gutes Angebot vorhanden ist.
 

BSZ Gerade die S-Bahnen in urbanen Regionen und die Regionalzüge in Richtung München und Nürnberg sind jetzt schon zu den Stoßzeiten morgens und spätnachmittags völlig überfüllt: wo soll der Platz für die zusätzlichen Fahrgäste herkommen?
Hüttl Durch die Folgewirkungen der Corona-Pandemie sind die Fahrgastzahlen der Vor-Corona-Zeit derzeit nur zu 90 Prozent wieder erreicht. In vielen Fällen gibt es daher derzeit noch Kapazitätsreserven. Wir sehen das Deutschlandticket als große Chance und werden alles uns Mögliche tun, damit die Kund*innen zufrieden sind – auch wenn es mal voller wird. Mittelfristig muss das Angebot – auch für die weitere Verkehrsverlagerung vom Pkw auf Bahn und Bus zur Erreichung der Klimaschutzziele – weiter ausgebaut werden.
 

BSZ Aber das braucht doch weitere Schienenstrecken?
Hüttl Für den erforderlichen Angebotsausbau – insbesondere im Schienenverkehr – sind zumeist Planungen vorhanden. Insbesondere die gestiegenen Kosten für den Betrieb sind aber derzeit noch nicht nachhaltig finanziert. Beim Deutschlandticket finanzieren Bund und Länder nur die Erlösrückgänge der Verkehrsunternehmen und Verkehrsverbünde, aber nicht die erforderliche Erhaltung und den erforderlichen Ausbau des Angebots.
 

BSZ Braucht es dann auch neues Personal – und wenn ja: woher die Leute nehmen?
Hüttl Die Bahn- und Busbranche ist bereits sehr aktiv, um qualifiziertes Personal zu gewinnen und zu halten. Aufgrund erhöhter Krankenquoten und unbesetzter Stellen gab es in 2022 teilweise Fahrtausfälle. Wir führen dies auf die Nachwirkungen der Corona-Pandemie zurück. Inzwischen hat sich die personelle Lage aber wieder leicht entspannt.


 

BSZ Wie erfolgreich läuft denn Ihre aktuelle Personalaquise?
Hüttl Für den Angebotsausbau, aber auch aufgrund des demografischen Wandels infolge der Verrentung der Babyboomer, verstärken wir unsere Aktivitäten zur Personalgewinnung weiter. Beispielsweise richten Verkehrsunternehmen eigene Fahrschulen ein, damit geeignete Bewerber*innen den Busführerschein bei uns machen können. Und einige Unternehmen in Großstädten, zum Beispiel die MVG in München, bauen für neue Mitarbeitende zusätzliche Werkswohnungen. Auf bundesweiter Ebene setzt sich die Branche zudem für verbesserte beziehungsweise vereinfachte Rahmenbedingungen bei der Personalgewinnung ein und es gibt eine gemeinsame Arbeitgeberinitiative mit einer bundesweiten Stellenbörse.
 

BSZ Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) plädiert für ein rein digitales Ticket – eine Strategie, um die darin mitunter nicht ganz so fitten Älteren vom Kauf abzuschrecken und einer Überlastung vorzubeugen?
Hüttl Wir setzen uns dafür ein, dass die Fahrgäste das Deutschlandticket künftig auf Wunsch auch als Chipkarte kaufen können. Die Technik ist vorhanden und die flächendeckende Einführung ist bis Ende 2023 machbar. Für die Umsetzbarkeit vor Ort ist wichtig, dass in einer ersten Phase auch Lösungen mit Papier zulässig sind, weil beispielsweise Chipkarten aufgrund der weltweiten Halbleiterkrise nicht sofort lieferbar sind.
 

BSZ Welche konkreten Hilfsmaßnahmen fordern Sie von Bund, Freistaat und Kommunen im Zuge der Einführung?
Hüttl Wir wünschen uns, dass nach dem Deutschlandticket auch die Angebotsoffensive in Schwung kommt. Wir hoffen deshalb, dass die Verhandlungen von Bund, Ländern und Kommunen zum bundesweiten Ausbau- und Modernisierungspakt bald zu einem Ergebnis kommen. Die Verkehrsunternehmen, Verkehrsverbünde und Nahverkehrsorganisationen haben die Konzepte. Die Finanzierung klären muss die Politik.
(Interview: André Paul)


Bildunterschrift zum Foto im Text:
Burkhard Hüttl war zuvor Referent für Mobilitätsmanagement bei der Münchner MVG. (Foto: VBV)

 

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