Kommunales

Mit Bayerns ehemaligem Ministerpräsidenten Horst Seehofer (links) konnte es Uwe Brandl am besten, weil er als kritischer Kommunalpolitiker respektiert wurde. (Foto: dpa/Andreas Gebert)

23.06.2023

"Inhalt zählt wenig, Emotionen punkten"

Gemeindetagspräsident Uwe Brandl (CSU) über seinen Abschied als Bürgermeister, literarische Pläne und warum Kommunen immer schwieriger zu regieren sind

Erstmals seit 30 Jahren wird bei der Bürgermeisterwahl in Abensberg am 9. Juli 2023 nicht der Name Uwe Brandl auf der Liste stehen. Der Amtsinhaber, langjähriger Präsident des Bayerischen Gemeindetags, tritt nicht mehr an – auch wegen Streitereien mit seiner Partei, der CSU.

BSZ: Herr Brandl, Sie haben ja schon länger einen Nebenjob als Autor von Kurzgeschichten und Erzählungen: Gibts schon neue Manuskriptideen und wird die Schriftstellerei nun bald zum Haupterwerb?
Uwe Brandl: Haupterwerb wäre schön … aber dazu braucht’s Protegé und einen Verlag. Beides hab ich nicht. Trotzdem werde ich weiterschreiben, weil es mir einfach Freude macht. Einer meiner Mentoren – E.W. Heine, der leider vor Kurzem verstorben ist – hat mir das Versprechen abgerungen, nicht aufzuhören.

BSZ: Und was fließt aus der Feder?
Brandl: Ich arbeite grade an einem Roman … „der Erste“. Dabei gehts um künstliche Intelligenz, Kirche, Geheimdienste und die Templer … Eine unglaubliche Entdeckung, die die christliche Ordnung in ihren Grundfesten erschüttert. Parallel habe ich (selbstverliebt wie ich bin, wenn man der Süddeutschen Zeitung glauben will) angefangen, meine Biografie zu schreiben. Die wird zwar niemanden interessieren, aber sicher geeignet sein, einen schonungslosen Blick hinter die Kulissen der Politik in einer Kleinstadt zu werfen. Die Gratwanderung zwischen Fiktion und Wirklichkeit wird dabei nicht nur für mich eine Herausforderung werden. Ob ich letztendlich wirklich veröffentliche und damit neuerlich Unbill auf mich lade, wird die Zeit zeigen.

"In Verbänden wie dem Bayerischen Gemeindetag werden mein Einsatz und meine Geradlinigkeit geschätzt und anerkannt"

BSZ: Sie waren 30 Jahre Bürgermeister und stehen seit über 20 Jahren an der Verbandsspitze – gab es Momente, wo Sie dachten: Warum tue ich mir das an, ich könnte als studierter Volljurist auch stressfreier als Rechtsanwalt arbeiten?
Brandl: Für die Verbände – den Bayerischen Gemeindetag sowie den Deutschen Städte- und Gemeindebund – bin ich ja noch bis Mitte 2025 beziehungsweise bis Oktober 2026 tätig und das macht mir echt Freude, weil dort Einsatz und Geradlinigkeit geschätzt und anerkannt wurde. Was die Ortspolitik betrifft möchte ich nur so viel sagen: Ich habe mich mit Herzblut, Überzeugung und mit aller Kraft für meine Stadt eingesetzt und konnte mit meinen Mitarbeitern und Freunden viel Positives bewegen. Das hat mir Spaß gemacht und über vieles hinweggeholfen, was auf der Strecke blieb. Erst die massiv negativen menschlichen Erfahrungen, die ich seit der letzten Kommunalwahl machen musste, haben mich nachdenklich gemacht. Ob ich als Anwalt stressfreier gewesen wäre, bezweifle ich, denn auch da wäre ich mit Herzblut und Vollgas unterwegs gewesen.

BSZ: Kann angesichts der immer üppiger werdenden Bürokratie – etwa bei Förderanträgen – irgendwann überhaupt noch jemand anderes Bürgermeister werden als ein Jurist?
Brandl: Die Frage ist tatsächlich, wer sich künftig noch zur Verfügung stellt. Kollegen aus den neuen Ländern haben mir unlängst bei einer Tagung erzählt, dass sie schwerwiegende Probleme haben, Mandate überhaupt oder gar qualitäthaltig zu besetzen. Fest steht, unsere Gemeindeordnung schreibt fest, dass jeder/jede Bürgermeister werden kann. Wir erleben auf anderen Ebenen, dass hochrangige Mandatsträger nicht über abgeschlossene Ausbildungen verfügen. Das geht also alles, die Frage ist nur, ob es auch gut geht. Aber es passt in die Zeit, wo Inhalt wenig zählt und Emotion, Sprechblasen und Versprechungen beim Wähler punkten. Aber zur Frage: Umfassende Kenntnis von dem, was man tut, schadet sicher nicht, erleben werden wir eine Deprofessionalisierung mangels Angebot, oder noch schlimmer mangels kritischen Hinterfragens der Befähigung durch die Wähler.

BSZ: Als CSU-Vize Manfred Weber kürzlich den Bürgermeisterkandidaten der Partei für Abensberg vorstellte, hat er Sie mit keinem Wort erwähnt: Schmerzt es, in Disharmonie mit den eigenen Leuten aus dem Amt zu scheiden?
Brandl: Da befindet sich Herr Weber in guter Gesellschaft. Ich habe mich nie einer Parteiräson oder Parteientscheidung unterworfen, die mich nicht überzeugt hat. Der Preis dafür sind Ausgrenzung, Abkanzelung und Totschweigen. Ich habe mich nie um des Friedens willen zum Werkzeug machen lassen und muss deshalb damit leben, dass mich die Vertreter des Systems dafür ächten. Das schmerzt nicht, das adelt eher.

BSZ: Genau wie Ihr Parteifreund, Ex-Landkreistagspräsident Christian Bernreiter, galten Sie lange Zeit als ministrabel – kam mal die Überlegung: „Wenn ich mir bei der Kritik an der Staatsregierung ab und an mal auf die Zunge gebissen hätte, dann säße ich heute neben dem Christian am Kabinettstisch?
Brandl: Wer warum in die Landesregierung oder anderswohin berufen wird, hängt von so vielem ab. Ich glaube, jedem von uns ist ein Weg bestimmt. Meiner war und ist die Kommunalpolitik und Selbstverwaltung und offenbar scheine ich nicht alles verkehrt gemacht zu haben, obwohl oder weil ich auch deutlich artikuliere und nachweise, was schiefläuft. Dass ich damit für Positionen ausscheide, wo Befehl und Gehorsam Vorrang haben, und „kritikloses Immer-Lob“ erwartet wird, ist doch logisch.

BSZ: Aus Sicht des Gemeindetagspräsidenten, der vier Ministerpräsidenten erlebt hat – mit wem und warum war es das angenehmste Zusammenarbeiten: Edmund Stoiber, Günther Beckstein, Horst Seehofer oder Markus Söder?
Brandl: Eine gemeine Frage, weil ich da wieder nur in den Napf treten kann. Am intensivsten und angenehmsten, weil da auch meine Rolle als kritischer Kommunaler respektiert wurde und unser Verband ungefragt bei allen wichtigen Vorentscheidungen eingebunden war, war die Zeit mit Beckstein und Seehofer. Das war ein echt vertrauensvolles und sogar freundschaftliches Miteinander und ich glaube fruchtbar für beide Seiten.

"Wenn ein ohnehin knappes Gut wie Bauland politisch zusätzlich verknappt wird, hat das massive Teuerungen zur Folge"

BSZ: Als Sie 1993 Bürgermeister wurden, war der Kauf eines Einfamilienhauses in Abensberg bei einer anständigen Arbeit kein Problem – nun tun sich, nicht nur in Ihrer Stadt, sondern in vielen dieser Größe – selbst Gutverdienende schwer damit: Eine unvermeidliche Entwicklung, oder hätte die Politik etwas dagegen unternehmen können?
Brandl: Die Preisentwicklung bei selbst oder fremd genutzten Wohnungen ist Ausfluss unserer marktwirtschaftlichen Ordnung. Wenn ein ohnehin knappes Gut wie Bauland politisch zusätzlich verknappt wird, indem Neuausweisungen erschwert und ständig neue überbordende Standards gesetzt werden – dann hat das massive Teuerungen zur Folge. Wir haben die dafür verantwortliche Bundes- und Landespolitik immer wieder darauf hingewiesen und umfassende Vorschläge gemacht. Umgesetzt wurde bislang wenig. Im Gegenteil, die Spirale dreht sich weiter und führt zu enormen Wohlstandsdisparitäten. Das reiche Deutschland ist beim Wohneigentum Schlusslicht in der EU.

BSZ: Sie gehörten zu jenen, die schon zeitig vor den Folgen eines ungebremsten Asylzuzugs warnten: Werden die jetzt auf EU-Ebene getroffenen Maßnahmen helfen, das Ruder rumzureißen – oder ist es dafür schon zu spät?
Brandl: Wir werden erst abwarten müssen, ob die Entscheidungen der Innenminister vom EU-Parlament übernommen oder verwässert werden. Unabhängig davon sind viele wichtige Detailfragen wie zum Beispiel die Residenzpflicht, die Umsetzung der Kontingentzuweisung, die Finanzierung und Trägerschaft der Ankunftszentren offen. Wenn die Maßnahmen wirken, dann allenfalls in ein paar Jahren, und gemessen an den aktuellen Zahlen wird die Entlastung nur marginal sein. Wir brauchen internationale Bemühungen zur Fluchtursachenbekämpfung und vor allem ein völlig anderes Leistungssystem in der Bundesrepublik. Das Prinzip Fordern und Fördern ist bei uns zu einem Grundsatz der (ungebremsten) Aufforderung zum Fördern pervertiert. Und wir wundern uns über den massiven Zustrom gerade zu uns.

"Was helfen Versprechen, die man nicht finanzieren oder halten kann?"

BSZ: Eine weitere Ihrer Forderungen lautet, dass man in den Kommunen erkennen muss, was man sich noch leisten kann und was nicht: Aber wenn bei Leistungen gestrichen wird, dann gibts wohl künftig viele Bürgermeister*innen und Landrät*innen mit nur einer Amtszeit?
Brandl: Das glaube ich nicht. Denn was helfen Versprechen, die man nicht finanzieren oder die man faktisch nicht halten kann? Eine Politik, die zum Zweck der Machterreichung oder Machterhaltung verspricht, was das Zeug hält, und rücksichtslos künftige Generationen verschuldet, ist pervers. Verantwortungsbewusste Politik muss den Menschen ein einfaches Prinzip in Erinnerung rufen: Ich kann nur das tun und versprechen, was ich auch mit den verfügbaren Einnahmen bezahlen kann. Das gilt für den verantwortungsbewussten Privathaushalt genauso wie für die öffentlichen Kassen.

BSZ: Im Bund und in vielen Ländern sind, weil die AfD als Paria gilt, kaum noch Koalitionen ohne die Grünen denkbar – die das nutzen und ihre Agenda durchdrücken: Färbt das auch auf die Stadt- und Gemeinderäte ab?
Brandl: Von welcher Agenda sprechen wir? Fakt bleibt die aktuelle Bevormundungs- und Verängstigungspolitik, aber auch die immer wieder gebrochenen Versprechen der Volksparteien führen zu einer sachfernen Emotionalisierung breiter Wählerschichten. Genau das nutzen die „Paria“, die Einfacherklärer, die selber nicht beweisen müssen, dass sie Alternativen haben und die auch funktionieren. Die Behauptung, die Legende einer Alternative, reicht völlig aus. Das macht mir mehr Sorgen als eine zunehmende Einflussnahme der Grünen.

BSZ: Die Gemeinden werden trotzdem immer schwieriger zu verwalten, klagen viele Ihrer Kolleg*innen.
Brandl: In einer Zeit, in der sich – dank „digitaler Unwissensgesellschaft“ – Politik auf Tagesschlagzeilen beschränkt, finden solche Ansätze fruchtbaren Boden. Natürlich wird diese neue Realität auch in den Kommunen landen. Sei es in Koalitionen mit den Grünen, sei es mit hohen Ergebnissen der AfD. Ich glaube nicht, dass wir das mit Ausgrenzung und bockigem Ignorieren verhindern werden. Ich glaube, wir brauchen eine andere Strategie, eine Strategie, die die abgesonderten Luftblasen platzen lässt. Das gelingt aber nur, wenn eine sachbezogene demokratische Auseinandersetzung stattfindet.

"Die massiv negativen menschlichen Erfahrungen, die ich seit der letzten Kommunalwahl machen musste, haben mich nachdenklich gemacht"

BSZ: Auf welche Maßnahme in Ihrer Stadt sind Sie wirklich stolz?
Brandl: Da gibt es so vieles, was zu nennen wäre. Wir haben eine erfolgreiche nachhaltige Innenstadtsanierung durchgezogen und den Umbruch der veränderten Gebäudenutzungen gut gemeistert. Wir sind in Sachen Energiewende und Nachhaltigkeit vorbildlich unterwegs, haben unser umfassendes Bildungs- und Betreuungssystem und die Ortsteile konsequent ausgebaut, uns modern aufgestellt, was unser Stadtmarketing und unsere Stadtwerke betrifft, und vieles mehr. Am meisten freut es mich aber, dass es mir immer gelungen ist, Menschen zu motivieren, sich an richtig große Projekte ranzutrauen. Dazu gehören unter anderem die Revitalisierung des brachliegenden Westflügels des Karmelitenklosters durch einen Privatinvestor, der Bau eines Innenstadthotels und eines Siedlungsquartiers in der Altstadt, zahlreiche private Gebäudesanierungen, die Entwicklung einer modernen, energieautarken Siedlung, der Bau eines modernen ökologischen Ärztehauses und so weiter. Highlights sind aber unser Theater am Bahnhof und die Ägidiuskapelle, das Dorfgemeinschaftshaus Arnhofen sowie die FW-Häuser in Offenstetten und Sandharlanden. Alles Ehrenamtsprojekte mit vielen Arbeitsstunden und Materialspenden. Die beiden erstgenannten Bauwerke sind von Bürgern geplant und zuschuss- und spendenfinanziert ohne dass die Stadt Geld geben musste. In bescheidenem Umfang habe ich da selbst mitgeholfen.

BSZ: Und welches Projekt lief im Nachgang nicht so gut?
Brandl: Nicht so toll läuft es immer dann, wenn Einzelinteressen über das Allgemeinwohl gestellt werden, was aus Sicht von Investoren und Eigentümern ja nachvollziehbar sein mag. Bei mir ruft es aber absolutes Unverständnis hervor, wenn sich Mitglieder des Stadtrats in den Dienst völlig überzogener Einzelinteressen stellen. Das gilt für Straßen, Veranstaltungen, Bauvorhaben und anderes.

BSZ: Der Ärger darüber nagt?
Brandl: Im Nachhinein ist man immer klüger. Ich glaube einfach, man muss zu dem stehen, was man in der konkreten Situation entschieden hat, wohlwissend, dass kein Mensch ohne Fehler ist. Für mich war und ist immer entscheidend, was vorrangig dem Gemeinwohl dient, danach habe ich mich orientiert. Klientelpolitik oder Politik auf Zuruf und Kosten anderer ist nicht mein Ding und auch der Grund, warum ich mit dem Kurs der CSU in der Orts- und Kreispolitik nicht klarkomme.

BSZ: In Abensberg entscheiden allein die Wähler*innen über Ihre Nachfolge, aber im Gemeindetag könnten Sie schon Einfluss nehmen: Wollen Sie das auch – im Sinne der Kontinuität und des weiterhin entschlossenen Kampfes für die gemeindlichen Interessen?
Brandl: Dieses Thema besprechen und erörtern wir bereits offen in den Gremien des Verband    s. Wir haben noch bis Oktober 2026 Zeit und ich bin sicher, dass wir im Präsidium unter Einbeziehung aller Bezirks- und damit Kreisverbände eine gute und zukunftsorientierte Lösung finden werden. Geschlossen und konsensual, denn darauf gründet sich unsere Stärke. Entscheiden wird die Landesversammlung mit ihren über 150 Delegierten. Es ist eine demokratische Wahl, bei der auch mehrere Vorschläge möglich und zulässig sind.
(Interview: André Paul)

 

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