Kommunales

Wird nach einem Wildunfall nicht die Polizei informiert, muss das verletzte Tier meist qualvoll verenden. (Foto: DAPD)

02.03.2012

Jäger-Lobby stört sich an Forscher-Studie

Die Zahl der Wildunfälle steigt, in Bayern ist besonders der Osten betroffen

Über 200 000 Unfälle mit Wild müssen Polizisten in Deutschland jährlich aufnehmen – die zahlreichen unentdeckten Vorfälle, bei denen sich der zweibeinige Crash-Beteiligte einfach aus dem Staub macht, noch gar nicht mitgerechnet. Für die dann unentdeckten verletzten Tiere bedeutet das oft einen qualvollen Tod. Auch die volkswirtschaftlichen Schäden der Wildunfälle sind immens. Allein die Kfz-Versicherungen müssen rund 500 000 Millionen Euro pro Jahr begleichen. Bis zu 50 Menschen sterben jährlich bei Wildunfällen, über 3000 werden verletzt.
Das Risiko ist regional in Deutschland allerdings sehr unterschiedlich verteilt. Es gibt Gegenden, vor allem waldreiche, wo es häufiger zu Unfällen kommt und solche mit selteneren Ereignissen. Wenn man dann noch berücksichtigt, dass die etwa Gelder für Warnhinweise ja nur einmal ausgegeben werden können, dann macht es durchaus Sinn, genauer hinzuschauen, wo investiert werden sollte.


Regionale Unterschiede


Die Wissenschaft hat sich dieser Aufgabe jetzt gleich doppelt angenommen. Jörg Müller hat sich im Auftrag der Technischen Universität München und des Nationalparks Bayerischer Wald mit dem Thema befasst, sein Kollege Torsten Hothorn für die Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Ihr Ergebnis: Zwischen 2002 und 2009 ist die Zahl der Unfälle im Freistaat um gut ein Drittel gestiegen.
Das Risiko ist auch innerhalb Bayerns geografisch ungleich verteilt: In Teilen Niederbayerns ist es pro Kilometer Straße beispielsweise viermal höher als im südlichen Unterfranken. Hothorn und Müller haben jetzt zumindest für Bayern eine Art Risikoatlas ermittelt. Da die Unfallgefahr naheliegender Weise mit der Wilddichte steigt, sehen die Statistiker das aus den Polizeistatistiken zu errechnende Risiko auch als ein indirektes Maß für den Wildbestand, der sich sonst nur mit aufwendigen Kartierungen bestimmen lässt.
Um ein standardisiertes Maß für das Unfallrisiko zu bekommen, bezogen die Statistiker die Zahl der Unfälle auf die Straßenkilometer. Der bayerische Durchschnittswert liegt für Staatsstraßen bei 0,91 Unfällen pro Kilometer und Jahr, aber es gibt erhebliche regionale Ausreißer nach oben und unten. Auf Bundes- und Kreisstraßen ist die Gefahr vergleichbar groß, auf den – nahezu vollständig gezäunten – Autobahnen, so Hothorn und Müller, erheblich geringer. Die Wissenschaftler sehen die Auswertung als wichtiges Hilfsmittel, um vergleichsweise einfach Hochrisikogebiete von Wildunfällen zu finden und entsprechende Vorsichtsmaßnahmen treffen zu können.
Die regionalen Schwankungen, so fanden die Wissenschaftler heraus, stimmen aber auch mit denen für die Intensität des Wildverbisses an jungen Bäumen überein, wie sie sich aus den „Forstlichen Gutachten zur Situation der Waldverjüngung“ herauslesen lassen. Außerdem lassen sie sich mit den regional unterschiedlichen Zahlen für das von Jägern erlegte Rehwild korrelieren.


Wilddichte ist schuld


Mit beidem sehen die Wissenschaftler die Annahme bestätigt, dass das Unfallrisiko mit der Wilddichte steigt. „Damit lässt sich aus der Statistik der Wissenschaftler aber auch ein Maß für den Wildbestand in Bayern herausfiltern, das zuverlässig und vergleichsweise einfach aus der offiziellen Unfallstatistik zu ermitteln ist“, sagt Hothorn. Die direkten Zahlen sind sonst nur in Ausnahmefällen mit aufwendigen Wildkartierungen im Gelände zu bekommen.
Diese Ergebnisse gefallen dem Bayerischen Jagdverband (BJV) ganz und gar nicht. „Die wichtigsten Faktoren werden dabei komplett ausgeklammert“, kritisiert BJV-Sprecherin Barbara Ettl. Hothorn komme in seiner Interpretation zu dem Ergebnis, dass die wenigsten Unfälle im südlichen Teil Unterfrankens passieren. Ausgerechnet dort, wo nach Angaben der Ämter für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten im Gutachten von 2009 der höchste Verbiss festgestellt wurde. „Somit kann dieses System nach Meinung des BJV keine flächendeckend belastbaren Informationen liefern“, urteilt Jürgen Vocke, der Präsident des Verbands.
„Laut der Studie, auf die Professor Hothorn sich bezieht, ging der größte Einfluss auf die Zahl der Wildunfälle vom Klima aus, gefolgt von der land- und forstwirtschaftlichen Nutzung. Der Wildverbiss zeigte laut Originalstudie den geringsten Einfluss. Jetzt in der Öffentlichkeit den Wildverbiss in den Mittelpunkt zu rücken, ist kühn und entspricht nur teilweise den Ergebnissen“, empört sich der Verbandschef.
Die Jäger-Lobby hat ihre eigene Theorie. Für Wildunfälle in unserer Kulturlandschaft gäbe es die verschiedensten Gründe. Zu Wildunfällen komme es, weil der Lebensraum der Wildtiere laufend kleiner wird und Störungen ständig zunehmen. „Straßen zerschneiden ihre Lebensräume und die Versiegelung von Freiflächen greift täglich weiter um sich“, ist sich Jürgen Vocke sicher.


„Am besten ganz ausrotten“


Seine Vereinigung setzt stattdessen auf so genannte Duftzäune, die mit ihrem Geruch das Wild von der Überquerung der Straße abhalten sollen. Besonders gut bewährt hätten sich die Wildwarnreflektoren, die seit 2006 entlang von Straßen angebracht werden. Über 200 000 Stück sind allein in Bayern mittlerweile installiert und 5000 Straßen-Kilometer so gesichert. Die Kosten belaufen sich auf über eine Million Euro. Laut einer Auswertung von 400 Testrevieren ging die Zahl der nächtlichen Unfälle um 70 Prozent zurück.
Diese Argumentation klingt nachvollziehbar, wenn man berücksichtigt, dass dem Bayerischen Jagdverband nicht daran gelegen sein kann, dass die Zahl der Wildtiere sich signifikant verringert. Schuld sind natürlich die anderen. „Neben dem Straßenverkehr nimmt der Druck auf Wildtiere durch Erholungssuchende wie Jogger, Wanderer und Radfahrer laufend zu“, klagt Vocke. „Die Wildtiere, denen immer weniger Raum und Ruhe zum Leben bleibt, werden geradezu auf die Straßen getrieben.“ Um dann zynisch zu werden: Um Wildunfälle gänzlich auszuschließen, bliebe nur die Möglichkeit, Bayerns Straßen mit Elektrodraht einzuzäunen oder das Wild gänzlich auszurotten. Beides kann doch keiner wollen.“ (André Paul)

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