Die kommunalen Haushalte sind völlig überlastet. Allein 2024 betrug das kommunale Defizit in Bayern 5,4 Milliarden Euro. Der Bund muss sich deutlich stärker an der Finanzierung der von ihm geschaffenen Aufgaben und Standards beteiligen, fordert Karmasin.
BSZ: Herr Karmasin, wo drückt der Schuh im Landkreis Fürstenfeldbruck?
Thomas Karmasin:Wir haben wie alle Landkreise in Bayern und Deutschland drei Probleme.
BSZ: Welche?
Karmasin: Finanzen, Finanzen und nochmals Finanzen. Die Finanzen spielen sich in einem Dreiecksverhältnis zwischen Bund, Freistaat und Kommunen ab. Der Wasserhahn der Sozialleistungen wird durch den Bund bedient. Diesen dreht er auf, wie er will, ohne für ausreichenden finanziellen „Zulauf“ zu sorgen. Die Kluft zwischen den vor Ort vorhandenen finanziellen Mitteln und dem, was aufgrund von Bundesbeschlüssen umgesetzt werden soll, ist immens. Unsere kommunalen Haushalte sind völlig überlastet. Allein 2024 betrug das kommunale Defizit in Bayern 5,4 Milliarden Euro. Der Bund muss sich deutlich stärker an der Finanzierung der von ihm geschaffenen Aufgaben und Standards beteiligen. Der Grundsatz „Wer anschafft, der zahlt“ muss wieder mit Leben gefüllt werden. Gleichzeitig darf nicht übersehen werden, dass wir uns in einer wirtschaftlichen Rezession befinden und sich das auch bei den Standards im sozialen Bereich widerspiegeln muss. Und schließlich besteht auch auf der kommunalen Ebene ein großer Investitionsbedarf.
BSZ: Wie sieht dieser aus?
Karmasin:Wir haben im Landkreis Fürstenfeldbruck 18 Schulen in eigener Trägerschaft. Diese müssen in Schuss gehalten und nach und nach saniert werden. Die Kosten dafür sind – neben einigen anderen Projekten – in den nächsten zehn Jahren mit mehr als einer halben Milliarde Euro prognostiziert. Ein Beispiel: Allein die aktuell laufende Generalsanierung des Gymnasiums in Olching schlägt mit 80 Millionen Euro zu Buche. Aber ein Neubau wäre mit 120 Millionen Euro noch teurer. Und überall begegnet uns ausufernde und teure Bürokratie. Die Behörden müssen ständig wachsen, weil es neue Aufgaben gibt.
BSZ: Was könnte man denn an bürokratischen Lasten über Bord werfen?
Karmasin: Unsere Handlungsfähigkeit hängt entscheidend davon ab, ob wir uns auf unsere Kernaufgaben konzentrieren können. Bürokratische Hürden und übermäßige Vorschriften, die oft in den Parlamenten und den Ministerien im Bund und im Freistaat entstehen, müssen abgebaut werden. In Deutschland haben wir das Bedürfnis, alles kontrollieren zu müssen. Gerade bei der Verwendung von Mitteln muss alles bis aufs Kleinste nachvollzogen werden. Wenn beispielsweise ein Bürgermeister einen Radweg bauen will, wird er von den daraus erwachsenden bürokratischen Pflichten nahezu erdrückt. Alles muss gerade bei Bauvorhaben ganz genau dokumentiert werden. Die Bürokratie fängt schon im Kleinen an.
BSZ: Zum Beispiel?
Karmasin: Beinahe jeden Tag begegnen mir neue Vorschriften und Regelungen. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kleben mir schon gelbe Zettel auf die Akten mit dem Hinweis, dass es die jeweiligen Vorschriften wirklich gibt und sie kein Aprilscherz sind. Da kommen Dinge zum Vorschein, die selbst mich als Juristen überraschen. Und das alles kostet Geld und Personal.
BSZ: Inwiefern?
Karmasin: Da ist zum Beispiel der kleine Polizeiverein, der Miniprojekte fördert, dessen Vorsitzender ich bin. Er braucht etwa einen Eintrag im „Transparenzregister“. Der Bayerische Landkreistag hat allein in den letzten Monaten über 300 Vorschläge zum Standard- und Bürokratieabbau zusammengetragen. Gemeinsam mit dem Freistaat Bayern arbeiten wir daran, diese auch umsetzen zu können. Aber es gibt auch Gesetze, die nicht per se unsinnig oder lächerlich sind, die aber unser Geld kosten. Nehmen Sie die Wohngeldreform des Bundes, die quasi über Nacht eingeführt wurde und die den Kreis der Berechtigten verdreifacht hat: Sie erfordert eine deutliche Personalaufstockung, aber wir haben mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen und eben das Geld dafür nicht.
„Vorschriften: Da kommen Dinge zum Vorschein, die selbst mich als Juristen überraschen“
BSZ: Knappheit gibt es auch in anderen Bereichen.
Karmasin: Ja. Die Migration ist nach wie vor ungeregelt und ungesteuert. Es gibt im Raum München sowieso zu wenig Wohnraum. Die Asylbewerber kommen seit vielen Jahren nicht aus den Aufnahmeeinrichtungen raus, sie finden keine Bleibe. Wir arbeiten im Landkreis immer noch mit Zelten. Von den Folgeproblemen durch beispielsweise Personalmangel im Bereich von Deutschkursen oder der medizinischen Versorgung brauchen wir erst gar nicht zu sprechen.
BSZ: Was sagen Ihre Bürgermeister im Landkreis dazu?
Karmasin: Deren Geduld geht zur Neige. Momentan entspannt sich das Zugangsgeschehen zwar etwas, aber die Unterkünfte sind bereits voll. Außerdem kommen zwar beispielsweise weniger Syrer oder Iraki, dafür aber mehr Ukrainer.
BSZ: Aber Sie haben vielleicht genug Platz für die Wirtschaft.
Karmasin: Wir sind ein flächenkleiner Landkreis mit einer mittelständischen Struktur und bemühen uns, den Bestand zu halten. Was Flächen für Neuansiedlungen betrifft, hatten wir große Hoffnungen in das Konversionsareal des Fliegerhorstes gesetzt. Ob das jetzt angesichts der neuen Bedrohungslage so kommt, wird sich zeigen. Und für die neuen Mitarbeitenden in den Betrieben gäbe es kaum Wohnraum, sodass der Fachkräftemangel auch dort zuschlägt, das ist leider ein Standortnachteil.
BSZ: Welche bedeutenden Unternehmen gibt es im Landkreis Fürstenfeldbruck?
Karmasin: Allen voran Coca-Cola, die hier für halb Deutschland abfüllen. Aber auch zum Beispiel die ESG, ein IT-Dienstleister im militärischen Bereich, ferner die international tätige Pressfinish Electronics GmbH, die spezialisierte Elektronik-Baugruppen herstellt oder – als hidden Champion – etwa die ebenfalls international tätige Phytron GmbH, die Schrittmotoren und Steuerungstechnik für Sonderanwendungen anbietet. Darüber hinaus einige bekanntere Unternehmen wie Cewe oder Doku-Ware.
BSZ: Damit die Wirtschaft brummt, sind auch gute Verkehrswege nötig. Wie sieht es da aus?
Karmasin: Uns wurde bestätigt, dass wir unter den Landkreisen bundesweit beim ÖPNV seit mehreren Jahren eine Spitzenposition einnehmen, was den Busverkehr angeht. Unser Landkreis wird von drei S-Bahn-Linien, die so funktionieren, wie man es eben kennt, erschlossen. Zwischen diesen Strängen haben wir tangential Buslinien etabliert. Aber im Straßenbereich fehlt zum Beispiel der vierspurige Ausbau der B 471. Auch eine Anschlussstelle an die Autobahn A 8 fehlt noch.
BSZ: Wie sieht es bei erneuerbaren Energien aus?
Karmasin: Photovoltaik läuft gut, aber wir haben Nachholbedarf bei Windkraft. Aktuell haben wir zwei Windkraftanlagen im Landkreis, eine dritte befindet sich im Bau und vier weitere sind genehmigt. Außerdem nutzen wir die Abwärme aus unserer Müllverbrennungsanlage für die Fernwärme. Diese bekommt jetzt Verstärkung durch eine Geothermieanlage, die bei der Müllverbrennungsanlage entsteht.
BSZ: Springen wir einmal in Ihre Rolle als Präsident des Bayerischen Landkreistags. Was fordern Sie vom Bund?
Karmasin: Da gibt es zwei große Forderungen, die sowohl der Deutsche als auch der Bayerische Landkreistag vertritt. Der geöffnete Wasserhahn bei den Sozialleistungen muss wieder zurückgedreht werden, sprich die Sozialleistungen auf den Prüfstand kommen. Wir müssen prüfen, ob man alles und ob man es so braucht. Das beginnt beim Bürgergeld und hört bei den Schulbegleitern noch nicht auf. Vor ein paar Jahren wurde die Schulbegleitung auf verhaltensauffällige Schüler ausgedehnt. Klar ist, dass ein schwer behindertes Kind einen Schulbegleiter braucht. Aber nicht jedes verhaltensauffällige Kind braucht einen eigenen Schulbegleiter. Da muss man schon differenzieren und überlegen, ob nicht auch Pooling, also ein Betreuer für mehrere, Sinn macht. Wir haben heute Klassen, in denen fünf Betreuer dabei sind. Bei uns im Landkreis machen die Schulbegleiter einen siebenstelligen Betrag aus. Eigentlich sollte für die Beschulbarkeit der Kinder der Staat sorgen, nicht der Jugendhilfeträger. Es gibt viele Dinge, die niemand wirklich braucht und die damit auch niemandem wehtun, wenn sie wegfallen. Man sollte sich immer differenziert fragen, wer was braucht. So könnte man in vielen Bereichen viel sparen.
BSZ: Wie?
Karmasin: Indem wir viel mehr „vor die Lage“ kommen, durch Unterstützung im Vorfeld, sodass insbesondere die teure stationäre Pflege – für die es auch zu wenig Fachkräfte gibt – vermieden wird.
BSZ: Was fordern Sie noch?
Karmasin: Der Bund hat mehrere Pakete für Sondervermögen beschlossen. Dieses Geld muss auch bei den Kommunen ankommen. Unser großer Wunsch ist es, dass es vor allem in der Infrastruktur ankommt. 100 Milliarden hat der Bund dafür beschlossen. 70 Prozent der Infrastruktur werden von den Kommunen gestemmt, also müssen auch 70 Prozent des Geldes hier ankommen. Das ist auch gut für die Wirtschaft, die dadurch kleinteilig überall angekurbelt werden könnte. Zudem fordern wir, dass das Geld für Krankenhäuser, das uns vom Bund vorenthalten wurde, endlich ankommt. Über Jahre wurden die laufenden Kostensteigerungen durch Berlin trotz Zuständigkeit nicht ausgeglichen. Wir brauchen jetzt Geld, damit unsere Krankenhäuser nicht unstrukturiert pleitegehen. Betten abzuschmelzen wäre auch angesichts der neuen Bedrohungslage kontraproduktiv. Sollte es zu weiteren militärischen Auseinandersetzungen im Osten kommen, gibt es ja Überlegungen, die Verletzten nach Deutschland zu bringen. Aber wo sollen die hin, wenn es keine Plätze gibt? Darum muss die Krankenhausreform nachgebessert werden. Und der Freistaat muss seine Krankenhausplanung weiter vorantreiben. (Interview: Ralph Schweinfurth)
Kommentare (0)
Es sind noch keine Kommentare vorhanden!